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Victoriahof: Luxuriöse Lofts statt Kofferproduktion

Das geräumige Musterloft im Victoriahof bietet alles, was das Herz des Liebhabers alter Industriearchitektur höher schlagen lässt: preußische Kappendecken, ein Stahlpfeiler mitten im Raum, Klinker an der Wand.

Dazu alle Annehmlichkeiten zeitgemäßer Ausstattung: Fußbodenheizung, Design-Bad, dunkler Parkettboden, Aufzug mit Halt direkt in der Wohnung. Auch das Äußere des imposanten, 1910 nach Plänen des Architekten Kurt Berndt errichteten Gewerbehofs in der Köpenicker Straße 126 hat ästhetisch einiges zu bieten.

Doch welch einen Kontrast bietet das Umfeld! Links neben dem Victoriahof ragt ein riesiger, als Hostel genutzter Plattenbau in die Höhe. Rechts befindet sich ein verlassenes Autohaus. Auf der anderen Seite der Köpenicker Straße, Richtung Spree, dehnt sich eine weitläufige Brache aus, auf der seit Jahren das Deutsche Architekturzentrum (DAZ) der unwirtlichen Umgebung trotzt. Außerdem in der Umgebung: heruntergekommene Plattenbauten, das Heizkraftwerk Mitte, die Zentrale der Gewerkschaft Verdi.

Das ist nicht unbedingt das Umfeld, das sich anspruchsvolle Käufer wünschen. „Wir haben lange mit der Frage gerungen, ob die Lage schon für dieses Projekt reif ist“, sagt Nikolaus Ziegert, Chef des gleichnamigen Berliner Maklerunternehmens. Bereits 2006 begannen Ziegert und die Bauherren mit der Erarbeitung des Konzepts, doch erst in diesem Jahr wagten sie sich an die Vermarktung. Und siehe da: Von den zwölf 170 bis 210 Quadratmeter großen Wohneinheiten des ersten Bauabschnitts sind mittlerweile neun vergeben.

„Man muss auch mal etwas Mutiges machen“, sagt Julian Streletzki vom Investor, der Victoriahof Grundstücks- und Verwaltungs-GmbH. Julian ist der Sohn von Ekkehard Streletzki, der als Eigentümer des Hotels Estrel bekannt ist. Doch die Familie Streletzki ist nicht nur in der Hotelbranche tätig, sondern besitzt auch ein umfangreiches Portfolio an anderen Immobilien, zu dem Anteile am Filmpark Babelsberg sowie an den Gewerbeparks in Görlitz und Bautzen gehören. Den Victoriahof und angrenzende Liegenschaften erwarb Ekkehard Streletzki Anfang der neunziger Jahre – in der Erwartung eines raschen Aufschwungs dieses in unmittelbarer Nähe der einstigen Mauer gelegenen Gebiets, wie Sohn Julian erzählt.

Doch der Aufschwung ließ auf sich warten. Den Victoriahof konnte Streletzki zwar an die Berliner Wasserbetriebe vermieten; aber seit deren Auszug steht der Komplex weitgehend leer. Angesichts des hohen Büroleerstands in Berlin kamen die Eigentümer auf die Idee, es mit Wohnungen zu versuchen. Aufgrund der guten Erfahrungen mit dem ersten Bauabschnitt bereiten die Streletzkis und Ziegert jetzt den zweiten Bauabschnitt mit noch einmal 24 Wohnlofts vor. Weil in den Räumen einst Koffer hergestellt wurden, vermarkten sie das Projekt als „Lofts in der Kofferfabrik“.

Die Verantwortlichen sehen sich dabei als Schrittmacher für die Entwicklung des Gebiets. „Diese bisher noch wenig bekannte und erschlossene Ecke von Mitte wird sich bald zu einer attraktiven und begehrten Innenstadtlage entwickeln." Davon ist Nikolaus Ziegert überzeugt. Diese Lagequalität ist derzeit noch kaum zu spüren – doch ein Blick auf den Stadtplan verrät, dass der Victoriahof tatsächlich nur wenige hundert Meter vom Engelbecken entfernt ist. Dort, auf dem ehemaligen Mauerstreifen zwischen Mitte und Kreuzberg, sind derzeit mehrere Neubau-Wohnprojekte in Planung oder Bau, deren größtes, die Engelgärten, 82 Einheiten umfasst.

Die Entwicklung der Luisenstadt, wie der jahrzehntelang durch die Mauer getrennte Stadtteil heißt, ist auch ein Anliegen der Bezirksämter von Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. „Die Luisenstadt“, heißt es bei den bezirklichen Planern, „hat gute Voraussetzungen für ein innerstädtisches Quartier mit hoher Anziehungskraft.“ Durch eine städtebauliche Rahmenplanung wollen die Bezirksämter deshalb die historische Stadtstruktur wieder erlebbar machen und die Wohnnutzung ausbauen.

Eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Luisenstadt dürfte spielen, was sich auf der Brachfläche an der Spree gegenüber den Lofts in der Kofferfabrik tut. Die rund zehn Hektar große Fläche, historisch „Holzufer“ genannt und nach der Wende als „Spreeport“ vermarktet, gehört mehreren Eigentümern, darunter dem Essener Baukonzern Hochtief. Dieser plant dort den Bau eines Bürogebäudes für seine Berliner Tochtergesellschaften. Zu Details will sich Hochtief nicht äußern, da noch Gespräche zur Erlangung des Baurechts laufen. Offen ist deshalb auch, ob darüber hinaus Wohnungsbau geplant ist, wie ihn ein vor mehreren Jahren in einem Gutachterverfahren ausgewählter Plan des Architekturbüros gmp vorschlägt.

Jedenfalls ist das Gebiet derzeit noch etwas für Entdeckungsfreudige. Interessanterweise stammen die meisten Käufer der Kofferfabrik-Lofts aus dem Ausland. „Das sind Interessenten“, sagt Ziegert, „die die Entwicklung des Berliner Marktes beobachten und entdeckt haben, dass sich in dieser Ecke etwas entwickelt. Sie lieben das Gebrochene und sagen sich: Das ist eine Lebensherausforderung.“

Einen Anreiz stellen allerdings auch die angesichts der luxuriösen Ausstattung relativ günstigen Preise dar. Sie betragen zwischen 2300 Euro pro Quadratmeter für eine Erdgeschosswohnung und 2900 Euro für ein Penthouse. Zum Vergleich: Laut dem Marktforschungsinstitut BulwienGesa kosten Neubauprojekte in der östlichen Innenstadt durchschnittlich 3350 Euro pro Quadratmeter. Von steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten profitieren die Kofferfabrik-Käufer übrigens nicht, da der für die Lofts vorgesehene Teil des Victoriahofs nicht unter Denkmalschutz steht. Offenbar können die Käufer das finanziell verschmerzen: Der eine oder andere Interessent, erzählt Streletzki, plant, sein rund eine halbe Million Euro teures Berliner Domizil als Ferienwohnung zu nutzen. Ch. Hunziger

Ch. Hunziger

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