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Angesichts von Bildern wie diesem kann man wohl nicht von einem "interessanten Schaden" sprechen.

© Hajo Dietz/dpa

Widerspruch: "Der schönste Schaden" ist Schadenfreude pur

Eine Fotoausstellung mit fragwürdigem Motto flankiert den "Tag der Sachverständigen Berlin-Brandenburg".

Am Tag der Sachverständigen Berlin-Brandenburg wird die Architektenkammer Berlin gemeinsam mit den beteiligten Bestellungskörperschaften für Sachverständige aus Berlin und Brandenburg am 29. September 2016 eine Fotoausstellung eröffnen. Der Fotowettbewerb trägt den Titel: „Mein schönster Schaden“. Die Auslober bitten um Einsendung der interessantesten, schönsten oder eigenwilligsten Fotos aus der Sachverständigentätigkeit mit einer kurzen schriftlichen Erläuterung

Der erste Gedanke setzt im Gedächtnis die Suche nach einem spektakulären Schaden frei. Gefolgt von einem zweiten Gedanken, der den ersten sofort stoppt: „Kann ein Schaden überhaupt schön sein“?

"Der Titel der Ausstellung grenzt an Geschmacklosigkeit"

Schäden entstehen in der Regel als Folge menschlichen Versagens, komplex wirkender Alterung und Abnutzung sowie durch Naturkatastrophen. Im günstigsten Fall hat ein Schaden nur wirtschaftliche Folgen. Es können aber auch Leib und Leben betroffen sein. Was soll daran „schön“ und spektakulär sein?

Ist es also schön und spektakulär, vielleicht die Reste eines verkohlten Kinderbettes nach einem Wohnungsbrand oder Überreste menschlichen Gewebes nach dem Brückeneinsturz am 15. Juni 2016 in Hessen zu fotografieren und voyeuristisch zu präsentieren?

Der Titel der geplanten Fotoausstellung grenzt an Geschmacklosigkeit. Hat die zunehmende Empathielosigkeit in der Gesellschaft nun auch unsere Kammern des öffentlichen Rechts erreicht und breitet sich dort aus?

Es ist erstaunlich, dass die bestellenden Sachverständigenkammern von Berlin und Brandenburg wenig Einfühlungsvermögen bewiesen, dem geplanten Fotowettbewerb einen passenden Namen zu geben. Umso mehr vor dem Hintergrund, dass unlängst das Strafgesetz für Voyeuristen im Straßenverkehr und Gaffer erweitert und berechtigt verschärft wurde. Vielleicht hat man ja in aller Euphorie nur die Begriffe „Schaden“ und „Mangel“ verwechselt, deren Bedeutung eine wesentliche Grundlage der Sachverständigentätigkeit ist.

"Wer den Schaden hat, braucht keine Schadenfreude"

Wer den Schaden hat, braucht sicher keinen Fotowettbewerb – und keine Schadenfreude

Hätte man im Fotowettbewerb dazu aufgerufen, den skurrilsten Mangel vorzustellen, wäre aus meiner Sicht Sachverstand und Angemessenheit aller Beteiligten eingehalten und gesellschaftspolitisch korrektes Auftreten gewahrt geblieben.

Die moderne Sachverständigentätigkeit ist heute präventiv auf Schadensvermeidung ausgerichtet, denn Schäden sieht man nicht gern und der, der den Schaden hat, schon gar nicht. Zu guter Letzt: Wer den Schaden hat, braucht sicher keinen Fotowettbewerb – und keine Schadenfreude.

Dr. Ing. Stephen-Michael Dworok ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger der IHK zu Berlin für Schäden an Gebäuden.

Und das sagt Bernhard Freund von der Architektenkammer zur Kritik des Sachverständigen

Eine Borsalzmischung schießt Henry Rüting in das Mauerwerk der Stralsunder Mönchstraße. Mehr als 500 Häuser in der als Welterbe geschützten Stralsunder Altstadt sind vom Hausschwamm befallen.
Eine Borsalzmischung schießt Henry Rüting in das Mauerwerk der Stralsunder Mönchstraße. Mehr als 500 Häuser in der als Welterbe geschützten Stralsunder Altstadt sind vom Hausschwamm befallen.

© Stefan Sauer dpa/lmv

Um das oft zu Unrecht als trocken empfundene Sachverständigenwesen über den engen Kreis hinaus zu thematisieren und durch eine Ausstellung einer breiteren Kollegenschaft nahezubringen, haben sich die Veranstalter zum Tag der Sachverständigen am 29. September etwas ausgedacht.

In der Auslobung des Fotowettbewerbs heißt es: „Am Tag der Sachverständigen ist eine Ausstellung geplant, auf der Sie die interessantesten, schönsten oder eigenwilligsten Fotos aus Ihrer Sachverständigentätigkeit mit einer kurzen schriftlichen Erläuterung ausstellen können. (...) Jeder Schaden hat eine Geschichte, die mit einem Foto und einer Erklärung erzählt werden kann. Ein Foto ist Abbild der Wirklichkeit und Teil des Sachverständigenbeweises bei Gerichts- wie auch bei Privatgutachten. Ein Mittel der Dokumentation zum Zeitpunkt der Aufnahme.“

"Ästhetische Aufnahmen"

Wir alle kennen die teilweise durchaus ästhetischen Aufnahmen von oft wenig angenehmen Tatsachen, sei es der echte Hausschwamm oder skurrile Situationen auf der Baustelle.

Die Jury, in der auch ein Fotograf vertreten sein wird, beurteilt deshalb die zahlreich eingegangenen Beispiele sowohl nach der Qualität des Fotos als auch nach der inhaltlichen Verknüpfung. Nicht zuletzt geht es immer auch um Fortbildung zur Schadensverhinderung, wenn Sachverhalte interessant dargestellt sind und Kolleginnen und Kollegen daraus lernen.

Der Sachverständige Herr Dr. Dworok hätte – vor Abfassung seiner Kritik – nicht nur die Überschrift „Mein schönster Schaden“, sondern wenigstens zunächst die Zeile unter der Überschrift lesen sollen: „Mein interessantestes Schadensfoto“. Und als erfahrener Sachverständiger auch den Auslobungstext. Hierin wird dazu aufgefordert, das interessanteste, schönste und eigenwilligste Foto einzusenden, mit einer Erläuterung. Bei welch „normal“ denkendem Sachverständigen mit Empathie für den Geschädigten kommt dabei Schadenfreude auf?

"Vorwurf der Empathielosigkeit liegt daneben"

Bauschaden-Sachverständige beurteilen einzig und allein Schäden an Gebäuden und nicht Menschen, die zu Schaden gekommen sind. Deshalb liegt der Vorwurf der „Empathielosigkeit in der Gesellschaft“ an dieser Stelle völlig daneben. Und geschmacklos formulierte Hinweise auf „verkohlte Kinderbetten“ oder zu Tode gekommene Arbeiter beim Brückeneinsturz haben keinen Bezug zur Tätigkeit eines Bauschaden-Sachverständigen und damit auch keinen zu der geplanten Ausstellung.

Mit solchen Äußerungen verunglimpft Herr Dr. Dworok den Berufsstand. Er sollte sich anlässlich des Tags der Sachverständigen hierfür bei uns Kollegen entschuldigen.

Bernhard Freund ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Architektenleistungen und -honorare und Vorsitzender des Ausschusses Sachverständigenwesen der Architektenkammer Berlin.

Stephen-Michael Dworok, Bernhard Fre

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