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Immobilien: Wo die Nachbarn meist zu Hause sind

Vor zwei Jahren war der Seniorenwohnpark Nächst Neuendorf eine Investitionsruine – heute entsteht hier ein ganzes Dorf

Heidi Böcker repräsentiert eine Minderheit: Mit ihren 43 Jahren liegt sie deutlich unter dem Altersdurchschnitt der Bewohner im Seniorenwohnpark Nächst Neuendorf nahe Zossen, eine Autostunde südlich von Berlin. Die Nachbarn von Frau Böcker in den 56 schlichten Reihen- und Mehrfamilienhäusern sind im Schnitt 70 Jahre alt, sagt Thomas Gilow, der Leiter des Wohnparks. In den beiden Pflegeheimen der Siedlung liegt das Durchschnittsalter sogar bei 80 Jahren.

„Es ist herrlich ruhig hier“, bekommt man nicht nur von Heidi Böcker als Antwort auf die Frage, warum jemand in ihrem Alter in einem Seniorenwohnpark lebt, zu hören. Seit gut anderthalb Jahren wohnt die Finanzberaterin in einer Doppelhaushälfte mit 55 Quadratmetern Wohnfläche, zwei Zimmern, einer Abstellkammer unter dem rot gedeckten Satteldach und einer kleinen Terrasse davor. Für die ruhige Umgebung nimmt Frau Böcker die tägliche Autofahrt zur Arbeit nach Charlottenburg in Kauf. Zu den meisten ihrer Nachbarn hat sie einen guten Draht. Außerdem könne man hier alles auf der Terrasse stehen lassen, meint Frau Böcker. „Es kommt nichts weg.“ Die meisten Nachbarn seien schließlich immer zu Hause.

Dabei hätte vor rund zwei Jahren wohl kaum jemand damit gerechnet, dass hier überhaupt mal jemand leben würde. Denn da war der erste Betreiber des Vorhabens, der Immobilienfonds eines inzwischen nach Kanada ausgereisten Unternehmers, mit vielen Schulden gerade in die Insolvenz gegangen. Gescheitert war das Unternehmen an viel zu hohen Kosten.

Das war die Chance für die Procurand. Die 1999 ins Leben gerufene Aktiengesellschaft hat sich auf die Sanierung Not leidender oder insolventer Seniorenimmobilien, Reha-Kliniken, Hotels und Wohnanlagen spezialisiert. Bundesweit betreibt die Procurand 15 Objekte, mit dem Schwerpunkt in Brandenburg, hier sind es allein zwölf. Im kommenden Jahr sollen zwei oder drei weitere Objekte dazukommen. Die Investitionsruine in Nächst Neuendorf übernahm die Betreibergesellschaft, die aus der Unternehmensberatung BPT hervorgegangen ist, für knapp fünf Millionen Euro von der Landesbank Berlin (LBB) und macht mit ihren 700 Mitarbeitern nun alles anders.

Die Firma verlangt weniger als die Hälfte der zuvor kalkulierten Einnahmen und vermietet einige Wohnungen sogar an sozial bedürftige Menschen. Das Konzept geht auf: Da inzwischen fast alles vermietet ist, wird schon ein zweiter Bauabschnitt geplant. „Wir wollen hier kein Ghetto für Alte schaffen“, sagt der Wohnparkleiter. Das Neben- und idealerweise Miteinander von Jung und Alt, Behinderten und Nichtbehinderten gehört zum Konzept der Procurand AG.

Unter den älteren Bewohnern der Siedlung ist dieses Konzept allerdings umstritten. Im „Ginko-Blättchen“, der Hauszeitung des Wohnparks, fragt der Mieterbeirat, ob das Prinzip ,Jung zu Jung und Alt zu Alt’ nicht doch die natürlichere und befriedigendere Form der Lebensraumgestaltung“ sei.

Dabei stehen im Seniorenwohnpark Nächst Neuendorf die Wohn- und Lebensbedürfnisse betagter Menschen im Mittelpunkt. Alle 145 Ein-, Anderthalb- und Zwei-Zimmer-Wohnungen der Siedlung sind barrierefrei. Sie sind mit seniorengerechten Bädern und breiten rollstuhlgerechten Türen ausgestattet und lassen sich bei Bedarf an ein Notrufsystem anschließen, wirbt ein Procurand-Prospekt. Nicht nur die Wohnungen und Terrassen, das gesamte 60 000 Quadratmeter große Areal einschließlich aller Wege, Straßen und Gärten ist seniorengerecht angelegt. „Hier finden sie keine Stufe und keine Bordsteinkante, über die man stolpern kann“, sagt Gilow.

Die Ausstattung der Wohnungen und die Gestaltung der Außenanlagen ist aber nur die eine Seite – ohne altenspezifische Service- und Dienstleistungsangebote funktioniert eine Wohnanlage für Senioren nicht. Zumal wenn sich die Einrichtung in einer 600-Seelen-Gemeinde wie Nächst Neuendorf – ohne nennenswerte Infrastruktur für das tägliche Leben – befindet. Deshalb versucht Gilow Gewerbetreibende für das Geschäftshaus im Wohnpark zu begeistern. Mit wechselndem Erfolg. Vor über einem Jahr eröffnete ein Friseur- und Kosmetiksalon und ein Arzt hält ein Mal pro Woche Sprechstunde in dem Wohnpark. Einen Betreiber für seinen „Tante-Emma“-Laden fand Gilow nicht. Eine Tochterfirma der Procurand bewirtschaftet heute das Geschäft. Mittelpunkt des Seniorenwohnparks ist das Sozialgebäude mit dem Empfangsbereich und einem großen Speise- und Veranstaltungssaal. Hier können die Bewohner Mittag essen und Kaffee trinken, beieinander sitzen oder in einer kleinen Bibliothek Bücher ausleihen.

„Wir wollen unseren Mietern möglichst lange eine selbstständige Lebensführung in der eigenen Wohnung ermöglichen“, erklärt Thomas Gilow das Konzept des Seniorenwohnparks. Mit zunehmender Hilfebedürftigkeit können Mieter verschiedene Serviceleistungen, einzeln oder in Paketen, abrufen. Für einen monatlichen Aufschlag von 75 Euro auf die Miete, bietet der Wohnparkbetreiber einen „haustechnischen Wohnungsservice“, Unterstützung bei Anträgen und Behördengängen und eine telefonische Verbindung zur ständig besetzten Notrufzentrale im Sozialgebäude. Die Komfortversorgung für monatlich 199 Euro umfasst unter anderem Unterstützung bei der persönlichen Hygiene, die Reinigung der Wohnung und der Wäsche sowie einen Fahrdienst mit dem hauseigenen Kleinbus. Ist eine Betreuung in der eigenen Wohnung nicht mehr möglich, können die Senioren in eines der beiden Pflegeheime des Wohnparks ziehen.

Das Procurand-Konzept scheint aufzugehen: Nach Auskunft Gilows sind die 145 Seniorenwohnungen vermietet und 75 Prozent der 85 Pflegeplätze belegt. „Wir sind keine elitäre Einrichtung“, begründet er die gute Auslastung der Wohnanlage. Bei Warmmieten zwischen 266 Euro für eine Ein-Zimmer-Wohnung mit 30 Quadratmetern und 544 Euro für eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit 55 Quadratmetern bewege man sich im „mittleren Marktsegment“. Der Eigenanteil für einen Pflegeplatz beträgt je nach Pflegestufe zwischen 941 und 1331 Euro. „Bei Sozialhilfeempfängern“, sagt Gilow, „lassen wir beim Preis etwas nach und das Sozialamt macht auch einige Kompromisse.“ Irgendwie finde sich meist eine Lösung. Die Zahl der Pflegeplätze für Sozialfälle ist jedoch beschränkt auf maximal zehn Prozent.

Gilow ist der Erste, der sich in Nächst Neuendorf mit solchen Detailfragen beschäftigen muss. Denn lange sah es so aus, als ließe sich der Seniorenwohnpark überhaupt nicht wirtschaftlich betreiben. Bevor die Procurand AG vor gut zwei Jahren die Siedlung erwarb, habe man sogar über den Abriss der gesamten Anlage nachgedacht, erzählt Gilow. Jahrelang war der für knapp 32 Millionen Euro auf einem Spargelfeld an der B 246 errichtete Wohnpark eine Geisterstadt – und für fast 200 Privatanleger ein Albtraum.

Diese hatten 1996 und 1997 einem promovierten Herren namens Jürgen Hanne 16,5 Millionen Euro anvertraut, um den Geschlossenen Immobilienfonds „Seniorenresidenz Nächst Neuendorf“ zu initiieren. Die Fondsgesellschaft ging in die Insolvenz, und das Geld der Anleger war verloren. Jürgen Hanne wurde im April 2000 wegen Kapitalanlagebetrugs in zwei anderen Fällen zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Inzwischen lebt er in Kanada.

Für die Procurand läuft das Geschäft so gut, dass die Firma expandieren will. „Auf unserer Warteliste für die Seniorenwohnungen stehen etwa 50 Interessenten“, sagt Gilow, „wir müssen reagieren.“ Im kommenden Jahr sollen zunächst weitere Appartements für betreutes Wohnen auf dem Gelände des Wohnparks entstehen. Gilow denkt aber schon weiter. Auf der anderen Straßenseite der B 246 liegt eine 30000 Quadratmeter große Ackerfläche. Hier könnten 20 bis 30 behindertengerechte Wohneinheiten – Eineinhalb- bis Drei-Zimmer-Wohnungen – entstehen. Das entspräche mehr den heute von Senioren gewünschten Wohnungsgrößen.

„Für die Realisierung dieser Pläne benötigen wir aber auf jeden Fall Fremdkapital“, sagt Thomas Gilow. Die Bereitschaft der Banken, sich zu engagieren, sei gegenwärtig jedoch nicht sehr groß. Zu Jürgen Hannes Zeiten seien Kreditinstitute noch wesentlich risikofreudiger gewesen.

Eine Übersicht über die Projekte des Bauträgers ist im Internet zu finden unter: www.procurand-senioren.de.

Jörn Pestlin

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