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Immobilien: Wohliger wohnen

Die Bedürfnisse der Nutzer sind entscheidend, nicht die Technik – sagen Architekturpsychologen

Die Erwachsenen hatten die neue Schule so schön geplant. An alles war gedacht, auch an die richtigen Farben – meinten sie. Rote und gelbe Farbtöne sollten das Gebäude freundlich und einladend gestalten. Doch die Jungen der Schule wollten sich damit so gar nicht anfreunden. Erst ein hinzugezogener Architekturpsychologe fand den Grund heraus: Rot passt in den Augen der Knaben nur für Mädchen.

Nach Schätzungen gibt es hierzulande nur etwa 25 Experten auf dem Gebiet der Architekturpsychologie. Sie fragen und forschen, wie Räume, Gebäude, Straßen und ganze Städte auf ihre Bewohner wirken. Sie wollen wissen, wie die Menschen die bebaute Umwelt wahrnehmen: Fühlen sie sich in ihren Wohnungen, an ihren Arbeitsplätzen, in der Schule und sogar in der Kirche wohl? Sie sind überzeugt, dass Architektur das Verhalten der Menschen beeinflussen kann, beschreibt die Bochumer Umweltpsychologin Anke Blöbaum das Fachgebiet.

Es ist eine Fachrichtung, die in Deutschland noch ein Schattendasein führt. Einen Ausbildungsgang gibt es nicht, einen Lehrstuhl für Architekturpsychologie erst recht nicht. Der Architekturnachwuchs schnuppert während des Studiums für ein paar Wochenstunden in das Thema rein, Psychologiestudenten neigen schon eher dazu, auch mal Umweltfaktoren in ihre Analysen einzubeziehen – ansonsten ist weit und breit wissenschaftliches Ödland. Fachleute wie die Diplom-Psychologin Rotraut Walden und der Pädagoge Manfred Schönberg untersuchen die Macht der Mauern. Für sie ist Wohnen mehr als nur ein Dach über dem Kopf, Wohnen ist wohlfühlen in den eigenen vier Wänden, arbeiten in einer inspirierenden Umgebung. „Wir bauen für Menschen“, sagt Schönberg, der im niederrheinischen Xanten eine „Werkstatt für humane Architektur“ betreibt.

Nach US-amerikanischen Studien steigt die Arbeitsleistung der Beschäftigten um bis zu 50 Prozent, wenn die Firmen architekturpsychologische Erkenntnisse bei der Gestaltung der Arbeitsplätze berücksichtigen. Dazu gehören der Abbau von Stressfaktoren wie Lärm, falsche Beleuchtung oder mangelnde Kommunikationsmöglichkeiten.

Doch Architekten stellten immer noch zu sehr die Technik in den Mittelpunkt ihrer Planungen, achteten weniger auf die Bedürfnisse der Nutzer, lautet die gängige Kritik. Häufig ende die Arbeit mit der Schlüsselübergabe. Wie sich die Menschen in dem von ihm erbauten Gebäude verhalten, erfährt der Erbauer nicht.

Architekturpsychologen untersuchen dagegen „funktionale, ästhetisch-gestalterische, sozial-psychische, ökologische sowie organisatorische und wirtschaftliche Aspekte“, erläutert Rotraut Walden, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie der Universität Koblenz-Landau. „Wenn ich weiß, warum eine Fassade als hässlich erlebt wird, kann ich diese Hässlichkeit vermeiden“, ergänzt Antje Flade, Diplom-Psychologin für angewandte Wohn- und Mobilitätsforschung in Hamburg.

Mithilfe der empirischen Sozialforschung und der Statistik erstellt Walden zum Beispiel einen rund 250 Merkmale umfassenden Fragenkatalog. Schönberg setzt sich mit den künftigen Nutzern an einen Tisch, um ihre Bedürfnisse herauszufiltern. Im weiteren Verlauf der Beratung versucht er gemeinsam mit Architekt und Bauherr, die Wünsche umzusetzen. Denn sind die Pläne erst einmal in Beton gegossen, lassen sich Fehler nur noch schwer korrigieren.

So sollen zum Beispiel durch eine zweckmäßige und einladende Gestaltung des Eingangsbereichs einer Beratungsstelle Schwellenängste bei den Besuchern abgebaut werden, sagt Schönberg. Und auch das hat seine Berufserfahrung gezeigt: Zufriedene Nutzer einer Wohnung oder Einrichtung gehen pfleglicher mit den Räumen um. So ließe sich auch Vandalismus in Wohnsiedlungen eindämmen.

Und was die rot-gelbe Schule angeht: Da haben die Erwachsenen nach dem Gespräch mit dem Architekturpsychologen noch einmal zum Pinsel gegriffen.

www.architekturpsychologie.org

Rolf Stegemann (epd)

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