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Dieses historische Kaisenhaus wurde vor dem Abriss bewahrt und in einen Erinnerungsort zur Geschichte der Bremer Kaisenhäuser verwandelt. In der Freien und Hansestadt Bremen wird nach Informationen der Vorsitzenden des Vereins Kaisenhäuser, Cecilie Eckler-von Gleich, aktuell darüber nachgedacht, verfallene Parzellen für die Erstunterbringung von Flüchtlingen herzurichten.

© Kaisenhaus

Wohnen auf der Parzelle: Nur kein Wildwuchs im Grünen

Trotz Flüchtlingen: Politiker sind gegen das Wohnen in Kleingärten wie einst in den Bremer „Kaisenhäusern“. Begründung: Die Notsituation nach dem Krieg sei mit der heutigen nicht zu vergleichen.

Für aufrechte Bürokraten muss es ein Gräuel gewesen sein, was Bremens Bürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs anordnete: Er erklärte das bis dahin verbotene, aber bereits vielfach praktizierte Wohnen in Kleingärten für legal. „Der Bau neuer und die Vergrößerung vorhandener Notwohnungen in Kleingärten ist zulässig“, verkündete er in einer Verordnung vom 1. August 1945, die als „Kaisen-Erlass“ in die Bremer Geschichte einging. Wohnen auf der Parzelle, einfach so, mit nur wenigen Auflagen – der Albtraum jeder Baupolizei.

Gut 70 Jahre ist Kaisens Blankovollmacht jetzt her, und längst ist in Deutschland das Wohnen zwischen Buchsbaum und Gartenzwerg grundsätzlich wieder verboten. Aber wäre es nicht an der Zeit, das Modell der sogenannten Kaisenhäuser wiederzubeleben? In all jenen Kommunen, wo es an Sozialwohnungen und speziell an Flüchtlingsunterkünften mangelt?

Dafür müsste zunächst das Bundeskleingartengesetz geändert werden. Bisher gestattet es nur den Bau einer Laube „in einfacher Ausführung mit höchstens 24 Quadratmetern Grundfläche einschließlich überdachtem Freisitz“. Und: „Sie darf nach ihrer Beschaffenheit, insbesondere nach ihrer Ausstattung und Einrichtung, nicht zum dauernden Wohnen geeignet sein.“

Das soll auch so bleiben, findet das von Barbara Hendricks (SPD) geführte Bundesbauministerium, das zugleich für Umwelt und Naturschutz zuständig ist. „Wir packen das Kleingartengesetz nicht an“, sagt der stellvertretende Ministeriumssprecher Andreas Kübler im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Kleingärten sind gut für die Natur und für soziale Aspekte – das gibt man nicht für Flüchtlingsunterkünfte auf.“ Für eine Erstunterbringung samt Betreuung wären Gartenhäuschen ohnehin „viel zu dezentral“, sagt Kübler, und für die langfristige Unterbringung setzt das Ministerium lieber auf Wohnungsbauprogramme.

„Helft Euch selbst!“, lautete das Motto von Bürgermeister Kaisen

Wenn der Bund schon keine Neubesiedlung erlauben will - könnte er dann nicht zumindest bereits vorhandene Schwarzbauten und ihre Dauernutzung legalisieren? Auch davon hält das Ministerium nichts. Laut Kübler bietet es sogar Schulungen für Kleingartenvereine an, damit sie regelmäßig nach solchen Rechtsverstößen Ausschau halten. Anderenfalls würden die Vereine nämlich ihre Privilegien verlieren – vor allem die günstige Pacht, die sie an die Grundstückseigentümer zahlen, also meist an die Kommunen oder an die Deutsche Bahn.

Durchaus erlaubt wäre es, wenn Städte und Gemeinden ganze Gartenkolonien per Bebauungsplan zu Wohngebieten umwidmeten. Dann fielen sie nicht mehr unter das strenge Kleingartengesetz. Eine Lösung, mit der sogar der Bundesverband Deutscher Gartenfreunde (BDG) als Kleingärtner-Dachorganisation leben könnte – aber nur bei „Leerstandsflächen“, wie BDG-Geschäftsführer Stefan Grundei betont. Dort könnte er sich auch Behelfsunterkünfte vorstellen, „vorübergehend als Notmaßnahme“. Ansonsten ist er gegen jede Parzellenbesiedelung: „Damit ruinieren Sie auf Dauer das Kleingartenwesen.“

Eine Art Amnestie für illegale Bewohner lehnt er ebenfalls ab, „weil damit im Nachhinein regelwidriges Verhalten belohnt würde“. Auch in der Stadt der Kaisen-Häuser halten zumindest die Behörden nichts von einer Wiedergeburt dieses Modells. Jens Tittmann, Sprecher des grünen Umwelt- und Bausenators Joachim Lohse, verweist auf den „gigantischen Aufwand“, der nötig wäre, um die Kolonien vernünftig zu erschließen – mit Strom- und Wasseranschlüssen, Abwasserkanälen, Hydranten für die Feuerwehr. Da wäre es doch sinnvoller und sogar zeitsparender, völlig neue Wohnquartiere zu schaffen, sagt Tittmann.

1945, das ist ihm wichtig, war die Lage völlig anders als heute. 61 Prozent der Bremer Wohnungen lagen in Schutt und Asche. „Das war eine absolute Notsituation, die überhaupt nicht mit heute zu vergleichen ist.“

„Helft Euch selbst!“, lautete damals das Motto von Bürgermeister Kaisen. Die ausgebombten Bremerinnen und Bremer ließen sich nicht lange bitten. Emsig sammelten sie Steine, Dachziegel, Stahlträger – was immer sie auf Trümmergrundstücken fanden und mit Handkarren abtransportieren konnten. Besonders Bedürftige bekamen Baumaterial zugeteilt, wie die Historikerin Kirsten Tiedemann in einem Buch über die Kaisen-Häuser schreibt.

"Wenn zwei Personen zu Besuch kommen, muss einer von uns rausgehen"

Völlig ungeregelt durfte allerdings nicht gemauert werden: Die Kleingartenvereine mussten die „Behelfsheime“ jeweils genehmigen, und es galten Größenvorgaben: eingeschossig, maximal 30 Quadratmeter.

Viele Behausungen waren sogar noch kleiner. Historikerin Tiedemann zitiert ein erwachsenes Geschwisterpaar, das auf 18,5 Quadratmetern lebte: „Wenn zwei Personen zu Besuch kommen, muss einer von uns rausgehen, um Platz zu machen.“

Schon 1949 war es wieder vorbei mit der Bau-Anarchie: Der Kaisen-Erlass wurde aufgehoben. Doch viele Menschen werkelten illegal weiter, als Architekten und Bauarbeiter in Personalunion. An langen Osterwochenenden, wenn kein Kontrolleur die Runde machte, legten Nachbarn gemeinsam Hand an, um Anbauten oder ganze Häuser hochzuziehen. „Krisenmanagement von unten“ nennt Tiedemann die Selbsthilfe.

1955, so schätzte damals der Landeskleingärtnerverband, lebten über 80.000 Bewohner der Halbmillionenstadt „auf Parzelle“ So viel Wildwuchs passte den Behörden gar nicht. Ein Stadtbaudirektor fürchtete 1951 „ernste Schäden für Gesundheit und Moral des Stadtorganismus“. Jahrzehntelang gab es mal Zwangsabrisse, mal Duldungen und immer wieder heiße Debatten.

2015 waren laut Baubehörde noch 500 Kaisen-Häuser bewohnt. Wer hier lebt, darf in aller Regel bleiben. Nach Auszug oder Tod kommt der Abrissbagger, auf Staatskosten. 300 weitere Bauten stehen leer, „zum Teil in völlig marodem Zustand“, so Tittmann. Aber nicht nur deshalb wären sie als Flüchtlingsunterkünfte ungeeignet: Die meisten von ihnen seien in Privatbesitz und könnten deshalb nicht einfach von der Stadt belegt werden. Also doch kein Beitrag zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms.

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