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Hip, doch zum Wohnen zu laut: die Bergmannstraße in Kreuzberg.

© Imago

Wohnen in Berlin: Kultur und mehr: Was die Hauptstadt so attraktiv macht

Ein Zweitwohnsitz in Berlin ist angesagt. Es muss nicht mal in einem Szenebezirk sein.

Nach 30 Jahren im Ausland zog es Anke Arnt (Name geändert), die bei der EU in Brüssel arbeitet, zurück nach Deutschland – zumindest am Wochenende. „Bis zur Pensionierung wollte ich nicht warten“, erzählt die Ostfriesin. Sie hat sich eine Zweitwohnung in Berlin gekauft. Zwei Zimmer in Reinickendorf. „Ich bin zu alt, um in Kreuzberg zu sitzen", sagt Anke Arnt. Zu laut sei es da und Reinickendorf werde sowieso unterschätzt. Sie findet den Stadtteil gut. Mit dem Fahrrad ist sie von dort aus binnen einer Viertelstunde am Plötzensee, mit der U8 schnell im Zentrum. Dort erkundet sie zusammen mit ihrer Frau die Lesbenszene und genießt das überreiche Kulturangebot.

Die Frau aus Brüssel ist eine von vielen, die Berlin als Zweitwohnsitz entdeckt haben. 16 600 Menschen zahlten im vergangenen Jahr Zweitwohnungssteuer. Mit knapp drei Millionen Euro trugen sie zum Steueraufkommen Berlins bei. Doch das Finanzamt erfasst nur diejenigen, die brav einen Zweitwohnsitz in Berlin anmelden. Dass sogar Bundestagsabgeordnete es nicht so genau damit nehmen, ging vergangenes Jahr durch die Presse.

Die Beobachtungen eines großen Immobilienvermarkters ergeben: Ein Zweitwohnsitz in Berlin ist schick geworden. „Noch vor zehn Jahren war eine Ferienwohnung an der Küste, in Marbella oder an der Côte d’Azur, attraktiver. Heute wollen die Menschen lieber dorthin, wo das Leben richtig interessant ist“, sagt Thomas Zabel von der Zabel Property Group.

Die Preise sind verlockend

Aktuell schauen sich seine Kunden Objekte wie das „Guardian“, „The Mile“ oder das „Palais Varnhagen“ in Mitte an. Zabels Angaben zufolge werde etwa ein Drittel aller Käufer ihre Immobilie als Zweitwohnsitz nutzen. Drei Viertel von ihnen kämen aus dem Ausland. Kein Wunder, kosteten Wohnungen in Berlin gemessen am internationalen Level „nicht viel“. In London oder Paris könne man sich nichts Vergleichbares leisten, um ein Viertel unter dem Niveau von Hamburg oder München lägen die Preise in der Hauptstadt.

Nicht nur die Wohnungen, auch das Leben selbst ist in Berlin „erstaunlich billig“, findet die Frau aus Brüssel. „Man geht in den Supermarkt, macht den Einkaufswagen voll und erwartet einen bestimmten Betrag. Dann bezahlt man ein Drittel“, sagt sie. Auch wenn sie die Wohnung in Berlin nicht als Renditeobjekt gekauft hat, sondern um mal wieder Deutsch zu sprechen, sei das doch ein Unterschied zu London oder Paris. Diese Städte lägen eigentlich als Wochenendziele für sie viel näher.

Die Finanzen spielen auf jeden Fall eine Rolle bei Thomas Zabels Kunden: Osteuropäer möchten ihr Geld aktuell in einen sicheren Hafen bringen, sagt er, genau wie Anleger auf der Suche nach einem Investment in Zeiten von Niedrigzinsen: „Bevor sie es auf die Bank tragen, legen sie es lieber in einer Immobilie an.“

Verspießert Berlin?

Gleichzeitig sei Berlin mit seinem Kulturangebot erste Wahl für Zuzügler: „Welche Stadt hat schon drei Opernhäuser?“, fragt Zabel. Gerade Menschen vom Land, Ältere und Kulturinteressierte liebten das „Hauptstadtfeeling“. Ein Umzug sei für sie nicht vorstellbar – für eine Zeit in der Hauptstadt zu leben, eventuell in der Nähe der Kinder, aber schon.

Familie und Freunde nutzen auch Anke Arnts Wohnung, wenn sie nicht selbst in Berlin ist: „Meine Mutter trifft sich dort mit der Mutter meiner Frau, und sie gehen zusammen in die Philharmonie.“ Dass Berlin unter dem Andrang älterer Herrschaften und wohlsituierter Ausländer „verspießert“, glaubt Thomas Zabel nicht. „Friedrichshain und Kreuzberg sind doch immer noch sehr lebendig“, findet er.

Der Immobilienvermarkter muss keine Bedenken haben, durch den Verkauf von Eigentumswohnungen zum Druck auf den Berliner Wohnungsmarkt beizutragen. Die Wohnungen, die er veräußert, sind keine umgewandelten Mietwohnungen, sondern werden neu errichtet. 2013 aber wurden über 9000 Berliner Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt, doppelt so viele wie 2010.

Das Umwandlungsverbot soll Alteingesessene schützen

„Erfahrungsgemäß zahlen Mieter von privaten Eigentumswohnungen eine höhere Miete als jene, die Wohnungsgesellschaften gehören“, sagt Wibke Werner vom Berliner Mieterverein. Das könne daran liegen, dass private Käufer einen anderen Finanzierungsdruck hätten und nicht die Möglichkeit einer Quersubventionierung wie Gesellschaften.

„In den alten Arbeiterbezirken Kreuzberg und Prenzlauer Berg ist die Umwandlungsrate besonders hoch“, sagt Wibke Werner. „Zugezogene möchten besonders gern in diesen In-Bezirken wohnen und Investoren können die Wohnungen dort besonders gut an den Mann bringen.“ Der Berliner Mieterverein ist deshalb schon seit vielen Jahren für ein Umwandlungsverbot. Bald soll es in 21 sogenannten Milieuschutzgebieten in Kraft treten. Die meisten davon liegen in Friedrichshain, Kreuzberg und Pankow, einige auch in Mitte, Tempelhof und Schöneberg. Alteingesessene soll das Umwandlungsverbot vor Vertreibung schützen.

„Ich verstehe nicht, warum die Mieter in Kreuzberg ihre Wohnung nicht selber kaufen“, sagt Anke Arnt etwas unbedacht. Doch auch sie selbst hätte ja nicht das Geld für eine Wohnung in dem Szenebezirk gehabt, räumt sie ein. Wahrscheinlich wird Berlin auch weiterhin solvente Menschen anziehen und die Rollkofferdichte in der Stadt erhöhen. „Alles so zu erhalten, wie es war, wird auf Dauer nicht möglich sein“, sagt Thomas Zabel.

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