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Eigentümer Roth (rechts) und Sailer vor ihrem Wasserturm in Heinersdorf.

© Georg Moritz

Wohnen in Wassertürmen: Mit Ecken und Kanten

Leben in Industriedenkmälern am Beispiel Heinersdorf. Eine große Idee – und das Warten auf den Investor-

Wind und Wetter trotzte er, die anderen Häuser meterhoch überragend. Täglich begegnete Martin Roth ihm auf dem Weg zur Uni. Dann beendete Roth sein Bauingenieurstudium und beschloss, es sei an der Zeit, den alten Bekannten zu kaufen. Mit einem Freund, dem Architekten Sebastian Sailer, kratzte er Erspartes zusammen – jetzt sind beide Besitzer des Wasserturms Heinersdorf. Im kommenden Jahr wird das Bauwerk 100 Jahre alt. Roth und Sailer haben Großes mit ihm vor.

„Dort hinten sieht man ihn schon“, ruft der Ingenieur und deutet auf den massiven, 45 Meter hohen Vierkant am Ende der Straße. Der Wasserturm ist wirklich nicht zu übersehen, wenn man über die großen Achsen vom Prenzlauer Berg Richtung Pankow steuert. Wenn es doch genauso einfach wäre, einen potenten Investor für ihn zu finden. „Wir wissen, wir suchen nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Roth und parkt sein Auto vor dem dazugehörigen 1700 Quadratmeter großen Grundstück. Die Freunde suchen nach dem vermögenden Unbekannten, nach dem „einzigen, leidenschaftlichen Nutzer“. Nach jemandem, der sich all das erträumt, was sich Sailer, 31 Jahre, und Roth, 30, bereits in den schönsten Farben ausgemalt haben. Ein Wohntraum auf 1000 Quadratmeter Fläche mit acht Geschossen ganz für sich allein. Die 80 Quadratmeter große Dachterrasse würde sich bestens dazu eignen, Gäste zur Poolparty einzuladen.

„Ist das nicht eine tolle Aussicht?“, fragt Sailer. Der Wind pfeift, es ist kalt, noch klettert man über eine kleine wacklige Treppe voller Taubenkot auf das Dach. Vor dem Besucher erstreckt sich Berlin: Fernsehturm, Potsdamer Platz mit dem markanten Dach des Sony-Centers, Teufelsberg. Sailer und Roth haben die Hände in die Hüften gestemmt, zufrieden stehen sie nebeneinander auf ihrem Turm, lassen den Blick über ihre Stadt gleiten. Dort errichten sie bisher vor allem hochwertige Neubauten. Dem Projekt unter ihren Füßen haben sie eigens eine Internetseite eingerichtet: www.theturm.com. Die Adresse sagt alles darüber, wie stolz die beiden Turmherren sind.

Sind sie tollkühn? Ein Luxusbauprojekt in Heinersdorf, wo der nächste Bioladen ein paar Kilometer entfernt im Prenzlauer Berg liegt? Der Kaufpreis: „Ab zwei Millionen“, schätzt Roth. Wenn alles so umgesetzt wird, wie das die zwei planen. „Wir wissen auch, dass die Gegend hier nicht der neue Grunewald wird“, sagt Roth. Aber man sei eben auch in 15 Minuten sowohl in Mitte als auch im Grünen.

Und das Innere spricht für sich. „Das sind zwölf Meter Höhe“, sagt Sailer. Er ist wieder nach unten geklettert und muss den Kopf in den Nacken legen, um bis an die Decke zu schauen. In der Halle windet sich eine Wendeltreppe nach oben. Es ist der größte Raum im Gebäude. Die beiden Planer würden ihn gern so belassen, nur ein oder zwei Ebenen mit einer umlaufenden, offenen Galerie einbauen. In ihrem Katalog, der mit dem Slogan „Du im Turm“ potenzielle Käufer anlocken soll, ist dieser Bereich unter dem Motto „Sammeln und Präsentieren“ zusammengefasst. Eine kleine Kunstsammlung hätte hier schon Platz. In den unteren Geschossen könnte man die eigene Wohnung, Arbeitsräume und sogar ein Gästeapartment unterbringen. Und wenn sie doch nicht den alleinigen Eigentümer finden, teilen sie das ganze Bauwerk eben in vier Wohneinheiten auf.

„In die Fassade werden wir Fensterbänder einsetzen“, sagt Roth, Glasscheiben von oben bis unten. Dann wird es hell werden auf dem düsteren Abenteuerspielplatz Wasserturm. Noch bahnen sich die Besitzer ihren Weg mit Taschenlampen und erzählen begeistert davon, wie sie das erste Mal eingestiegen sind, mit Stemmeisen, weil alle Türen zugemauert waren. Dabei mussten der Architekt und der Bauingenieur schon ganz andere Widerstände aus dem Weg räumen. Als die beiden den denkmalgeschützten Turm ersteigerten – den Preis verraten sie nicht–, war keinerlei wohnliche Nutzung erlaubt. „Das wird viele Mitbieter abgeschreckt haben“, glaubt Roth, „aber wir dachten, wir lösen das Problem selbst.“ Mit dem Kaufvertrag in der Tasche zogen sie durch die Ämter, brachten Behörden, den Denkmalschutz und die Nachbarschaft an einen Tisch. Mit Erfolg: Die Geschäftsmänner dürfen den steinernen Riesen zu Wohnraum umfunktionieren und ihm sogar einen Treppenturm an die Seite stellen. „Eigentlich wollten alle, dass endlich was mit dem Turm passiert“, sagt Roth.

1910 wurde der Wasserturm in Heinersdorf – damals mit nur 850 Einwohnern – erbaut. Er war sogar noch einige Meter höher als heute und trug eine schmückende Kuppel. Doch nur wenige Jahre nach der Errichtung wurde Heinersdorf an das Berliner Wassersystem angeschlossen, der Turm nutzlos. Im Zweiten Weltkrieg diente das Bauwerk als Flakstellung. Zu DDR-Zeiten beobachteten die Russen von hier aus den Flugverkehr von Tegel.

Umso erstaunlicher, dass die Bausubstanz immer noch in gutem Zustand ist. Roth und Sailer haben deshalb keine Eile, bald mit einer Sanierung zu beginnen. „Wir glauben, dass jemand, der den Turm wirklich will, ihn auch finden möchte“, sagt Roth. Mit anderen Worten: Sie wollen das Bauvorhaben nicht an die große Glocke hängen und auf den einschlägigen Internetseiten bewerben. Lieber wollen sie sich eine Strategie überlegen, wie sie einen Fuß in exquisite Gesellschaftskreise bekommen, um ihren Traum vom Turm über Mundpropaganda zu streuen. „Udo Lindenberg und Marius Müller-Westernhagen zum Beispiel sollen auf der Suche nach einer Wohnung in Berlin sein“, spekuliert Roth.

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