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Wohnungsnot bremst Berlins Wirtschaft: Kein Platz für indische Programmierer

Ausländische Fachkräfte verzweifeln bei der Wohnungssuche in Berlin. Firmen und Verbände beklagen einen Standortnachteil infolge der Diskriminierung durch Vermieter.

Von Christian Hönicke

Die Wohnraumfrage wird zum größten Hindernis für Berlins wirtschaftliche Entwicklung. Das jedenfalls befürchten immer mehr Experten. „Wohnen ist gerade ein superheißes Thema und ein Engpass für viele Firmen“, sagt Burkhard Volbracht. Er arbeitet bei der landeseigenen Wirtschaftsfördergesellschaft „Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie“ im Bereich Talent Services und soll hochqualifizierten Fachkräften den Weg in die deutsche Hauptstadt ebnen. Doch Volbracht hat wie viele andere längst mitbekommen, dass Berliner Firmen zunehmend Probleme haben, ausländische Fachkräfte anzusiedeln, weil diese keine Wohnungen finden. „Das kann Berlin richtig auf die Füße fallen“, befürchtet Volbracht.

Besonders bedrohlich ist die Lage für die Gründerszene, die der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) als „wesentlichen Treiber der dynamischen Wirtschaftsentwicklung Berlins“ bezeichnet hat. „Bisher war es für Berlin ein Standortvorteil, dass es genügend Wohnraum und Gewerbeflächen auch in Innenstadtlagen gab“, sagt Paul Wolter, der Sprecher des „Bundesverbands Deutsche Startups“. Sein Verband betrachtet mit Sorge, dass sich dieser Vorteil gerade ins Gegenteil verkehrt. „Es wird problematischer, internationale Fachkräfte wie Programmierer in die Stadt zu holen“, sagt Wolter.

Monatelang von einer Notlösung zur nächsten

Das spürt Jens Wohltorf gerade in seiner eigenen Firma. 2011 hat er das Unternehmen Blacklane mitgegründet, das weltweit Chauffeurdienste anbietet. Aus dem Start-up ist inzwischen eine Firma mit 250 Mitarbeitern geworden. Nun stagniert das Wachstum in der Schöneberger Zentrale. „Ich könnte jeden Monat zehn bis zwanzig neue Mitarbeiter einstellen“, sagt Wohltorf. „Doch die Wohnungssuche ist die Achillesferse.“

Der gebürtige Berliner beschäftigt Arbeitnehmer aus 26 Nationen und berichtet davon, dass frustrierte Mitarbeiter oft monatelang nur von einer Notlösung zur nächsten weitergereicht werden. „Ein Kollege aus Indien schläft seit fast einem Jahr auf der Couch bei Freunden“, sagt er. „Gefühlt sind ausländische Mitarbeiter gegenüber Deutschen im Hintertreffen. Je exotischer die Namen klingen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie überhaupt an Besichtigungstermine kommen.“

Der Eindruck täuscht nicht. Vor kurzem ergab eine Studie von „Spiegel“ und „Bayerischem Rundfunk“, dass Mietinteressenten mit ausländisch klingenden Namen unabhängig von sozialen oder finanziellen Aspekten signifikant auf dem deutschen Mietmarkt diskriminiert werden. Das kann auch Nele Allenberg bestätigen. Sie leitet das Willkommenscenter in der Potsdamer Straße, das seit einem Jahr als erste Anlaufstelle für ausländische Neuberliner dient. Neben dem Namen „kann auch das Aussehen und ein Akzent zu Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt führen“. Eine weitere Hürde: Mietverträge werden vermehrt mit Mindestlaufzeiten etwa über zwei Jahre abgeschlossen. Wer noch auf Probezeit im neuen Job arbeitet, hat bei Vermietern kaum eine Chance. Offenbar verhilft aber auch ein unbefristeter, gut dotierter Arbeitsvertag wie bei den Blacklane-Mitarbeitern nicht zur erhofften Wohnung.

Sich um Talente bemühen

Das ist umso bemerkenswerter, weil rund um die Ansiedlung von ausländischen Fachkräften ein ganzer Verwaltungszweig entstanden ist. „Köpfe sind der Wirtschaftsfaktor Nummer eins“, hat Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) gerade erst verkündet, entsprechend müsse man sich um Talente bemühen. Es gibt eine große Zahl von Hilfsangeboten, die das Land Berlin geschaffen hat, etwa den Business Immigration Service (BIS) der Ausländerbehörde. Das BIS bietet Unterstützung bei Behördengängen und der Erlangung von Aufenthaltserlaubnissen für die Talente an. Die Belange der Start-ups vertritt die „Berlin Startup Unit“, die auch bei der Suche nach Gewerbeimmobilien unterstützt.

Allen Anlaufstellen und Beratungsangeboten gemein ist jedoch: Konkrete Unterstützung bei der Wohnungssuche für die Zuzügler aus aller Welt, die Berlin voranbringen sollen, bieten sie nicht an. Meist wird lediglich auf die einschlägigen Suchportale verwiesen. „Berlin Partner“ führt immerhin eine Liste mit sogenannten Relocation-Services, die auf Wunsch an Firmen herausgegeben wird.

International rekrutierte Arbeitnehmer erwarten bei der Wohnungssuche Unterstützung

Relocation-Services sind Firmen, die zahlungskräftigen Kunden umfangreiche Umzugsdienstleistungen offerieren. Ab einem vierstelligen Betrag zapfen sie ihre Netzwerke in der Stadt an, die schnell bei Schul-, Kita- und Wohnungssuche und allen Behördengängen helfen sollen. In den USA sind derartige Dienstleistungen längst etabliert, in Deutschland und gerade auch in Berlin wächst dieses Segment angesichts des Konkurrenzkampfs um Einrichtungsplätze und Wohnraum derzeit rasant. „Das Thema Wohnung spielt in Vertragsverhandlungen inzwischen eine wichtige Rolle“, sagt Theresa Walther von der Berliner Relocation-Firma Progedo. „International rekrutierte Arbeitnehmer erwarten meist, dass sie dabei unterstützt werden.“ Immer mehr Firmen, die bisher nur die Visaangelegenheiten von Relocation-Services erledigen ließen, buchen nach Walthers Einschätzung deshalb nun auch den Baustein Wohnungssuche.

Deutsche Vermieter bevorzugen deutsche Mieter

Selbst die professionellen Umzugshelfer haben jedoch große Probleme, ausländische Fachkräfte als Mieter zu vermitteln. „Seit Jahren wird die Situation immer schwieriger. Wir haben Fälle, wo Kunden trotz eines unbefristeten Jobs und 15 Bewerbungen keine Wohnung finden“, sagt Britta Trendelenburg von International Relocation Consultants (IRC) Berlin. Sie bestätigt, dass Name und Herkunft dabei entscheidend sind: „Unsere Erfahrung zeigt, dass deutsche Doppelverdiener, am liebsten ohne Kinder, gegenüber Ausländern und Alleinstehenden bevorzugt werden.“ Unter den ausländischen Bewerbern wiederum „gibt es noch einmal Abstufungen“, sagt Theresa Walther.

Vermieter fürchten mangelnde Hygiene und fremde Lebensgewohnheiten

Nach den Erfahrungen der Wohnungsvermittler sind Bewerber aus Westeuropa deutlich chancenreicher als jene aus Südamerika oder dem Mittleren oder Fernen Osten. Vermieter fürchten häufig mangelnde Hygiene und fremde Lebensgewohnheiten. Walther: „Menschen aus Indien und Pakistan eilt zum Beispiel das Vorurteil voraus, stinkend zu kochen.“ Deswegen verschweigen die meisten Relocater gerade im Umgang mit privaten Vermietern die Nationalitäten ihrer Klienten, solange es irgend geht.

Seit Juni kümmert sich eine Fachstelle um die Diskriminierung auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Sie heißt „Fair wohnen – Fair mieten“. Mitarbeiter Remzi Uyguner macht allerdings wenig Hoffnung, auf diesem Weg eine Wohnung zu finden. „Es geht darum, die Diskriminierung zu dokumentieren, im besten Fall kann es eine Entschädigung geben", sagt er. Sein Tipp: „Wenn sich jemand aus der oberen Managementebene der Firmen mit dem Vermieter in Verbindung setzt, kann das eine Wirkung haben.“

Jens Wohltorf stellt seinen Mitarbeitern immerhin Empfehlungsschreiben aus – mit überschaubarem Effekt. Der Blacklane-Chef sieht die Politik unter Zugzwang. „Berlin muss mehr tun, um Fachkräfte zu halten. Als Möchtegern-Silicon-Valley könnte man Kontingente für Fachkräfte in landeseigenen Wohnungsunternehmen schaffen.“ Er schlägt zudem eine Anlaufstelle in der Berliner Verwaltung vor, die bei Privatvermietern Wohnraum für ausländische Fachkräfte akquiriert. Nele Allenberg regt an, solche Anlaufstellen in jedem Bezirk zu schaffen. So könne vor Ort sofort praktische Hilfe geboten und der Einzelne wirklich bei der Wohnungssuche begleitet werden.

Berlin bei Attraktivität hinter Kopenhagen, Madrid und Cardiff

Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Zwar hat der Regierende Bürgermeister Müller die weitere Stärkung der Start-up- Metropole Berlin als zentrales politisches Ziel definiert. Wohnungsvermittler, Unternehmen und Verbände kritisieren jedoch unisono das fehlende Engagement der Landespolitik. Niemand kümmere sich um das Thema Wohnraum für Fachkräfte, andere Standorte würden sich deutlich professioneller um die Ansiedlung der Zuzügler kümmern. Dazu passt eine Studie der Organisation „Bizkaia Talent“, die Europas Städte auf ihre Attraktivität für internationale Mitarbeiter hin untersuchte. Sie führt Berlin nur auf Platz zehn, hinter Kopenhagen, Madrid oder Cardiff.

Die Industrie- und Handelskammer Berlin fordert deshalb Politik und Verwaltung auf, die Wirtschaft „stärker als bisher“ in der Wohnungsfrage zu unterstützen. Die Lebensbedingungen seien „wichtige Standortfaktoren – gerade bei der Anwerbung von Personal und Fachkräften“, sagt IHK-Sprecherin Claudia Engfeld.

Und die Zeit drängt, gerade für die Start-ups. Sie haben meist einen knappen Finanzierungsrahmen und müssen schnell wachsen. „Wenn die Mitarbeitersuche sich wegen solcher Probleme hinzieht, kann das existenzbedrohend werden“, sagt Start-up-Verbandssprecher Paul Wolter. Weil das Berliner Wohnungsproblem längst auch im Ausland bekannt sei, „verlieren wir im Kampf um Mitarbeiter immer öfter gegen die echten Start-up-Metropolen“, sagt Blacklane-Chef Wohltorf.

Um nicht abgehängt zu werden, helfen sich manche Unternehmen selbst. Zalando hat wie andere auch einen festen Bestand möblierter Wohnungen angemietet. „Um insbesondere neuen Mitarbeitern aus dem Ausland den Start zu erleichtern und ihnen mehr Zeit für die Wohnungssuche zu geben“, sagt Firmensprecherin Linda Hübner. Auch Relocation-Services bringen ihre Kunden für die ersten drei Monate meist in möblierten Apartments unter, um alle Unterlagen für die richtige Wohnungssuche zusammenzustellen. Das Geschäft mit solchen „Boarding Houses“ floriert, die Betreiber stehen ausländischen Mietern qua Geschäftsmodell deutlich aufgeschlossener gegenüber als herkömmliche Vermieter. Eine Dauerlösung ist dieses Wohnmodell schon angesichts der deutlich höheren Mieten aber nicht.

Jens Wohltorf beschäftigt sich deswegen mit anderen Alternativen. Blacklane hat eine Zweigstelle in Singapur eröffnet, auch in Barcelona und den USA werden Mitarbeiter eingestellt. „Die Zentrale bleibt in Berlin, aber es kann gut sein, dass die anderen Städte vom Wachstum der Zukunft profitieren“, sagt er. „Wenn wir die Talente nicht in Berlin unterbringen können, müssen wir es eben anderswo tun.“

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