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Design statt Dauerwelle. „adding“-Initiatorin Anke Rommel verkauft im früheren Friseursalon „Orchidee“ in der Weddinger Transvaalstraße ihre T-Shirts mit Berliner Stadtmotiven – bis ein fester Mieter gefunden ist.

© Kitty Kleist-Heinrich

Zwischennutzung als Geschäftsmodell: Friseursalon der schönen Dinge

Das Netzwerk „adding“ vermittelt leer stehende Läden an Nutzer auf Zeit. Vor allem junge Kreative ergreifen diese Chance – und werten ihren Kiez auf.

Längst werden im Friseursalon „Orchidee“ keine Haare mehr geschnitten, die alten Mieter sind ausgezogen. Nur der Schriftzug hängt noch über der Tür. Und er passt noch immer. Denn das, was sich in den Räumen der Weddinger Transvaalstraße 13 eingerichtet hat, ist auch eine Orchidee – ausgefallen und ungewöhnlich, ein zartes Pflänzchen im Kiez. Anke Rommel hat es zum Blühen gebracht.

Die Architektin und Innenarchitektin hat Anfang des Jahres die Initiative „adding“ gegründet, ein Netzwerk, das Ladeninhaber, Makler und interessierte Mieter für eine temporäre Nutzung von leer stehenden Geschäften zusammenbringen soll – denn davon gibt es einige im Bezirk. Sie selbst ist zusammen mit anderen Kreativen in den Friseursalon gezogen, bis die Immobilienfirma einen dauerhaften Mieter gefunden hat.

Anke Rommel betreibt das Label „aroshi“ und bedruckt T-Shirts und Kapuzenpullis mit stilisierten Stadtansichten, die aussehen wie Architekturmodelle. Ihr Motiv mit der Museumsinsel und der sich teilenden Spree wird sogar im Shop des Bode-Museums verkauft. Dennoch wollte sie einen eigenen Laden. „Ich bin immer wieder durch die Gegend gelaufen und habe nach einem günstigen Ort gesucht.“ Ihr fielen die zahlreichen toten Schaufenster auf. „Ehrlich gesagt, geht mir der Leerstand auf den Sender“, sagt sie und lehnt sich an einen Kleiderständer. Sie hat schon versucht, konkrete Zahlen herauszubekommen, „aber keiner weiß sie genau“.

Mit ihrer Plattform hat sie nun beides erreicht: Sie hat ihr eigenes, zumindest zeitweiliges Ladengeschäft und wertet mit der Zwischennutzung den Kiez auf. Lassen sich Mieter und Vermieter auf den ungewöhnlichen Deal ein, können beide eigentlich nur profitieren. Bedingung ist, dass die temporären Nutzer die Betriebskosten übernehmen. Die Eigentümer haben so Zeit, bis der passende Interessent hereinschneit. „Außerdem sieht es immer besser aus, wenn man einen Laden zeigen kann, der in Betrieb ist“, sagt Innenarchitektin Rommel. „Wir beleben den Laden und machen Werbung.“

Wer mitmacht, bekommt ein Schild fürs Schaufenster: „Anziehendes Ladenlokal zu vermieten“, steht darauf. Darunter sind alle beteiligten Zwischennutzer aufgelistet. Vor allem junge Kreative nutzen diese ungewöhnliche Chance, sich auf diese Weise öffentlich zu präsentieren. Doch fällt es Anke Rommel immer noch schwer, Eigentümer von den Vorteilen des Projekts zu überzeugen. Die meisten seien es einfach gewohnt, dass Läden auch mal leer stehen. „adding“ bedeutet aber kaum Mehraufwand. „Ich will zeigen, dass auch ein Mietvertrag von einer Seite Länge ausreicht“, sagt die Gründerin. Außerdem gilt eine 14-tägige Kündigungsfrist.

Es gibt durchaus schon Erfolgsgeschichten zu erzählen. In eine ehemalige Kneipe mit Butzenscheiben und Holzvertäfelung ist dank der Vermittlung durch „adding“ inzwischen ein Fotostudio fest eingezogen. Auch ein Laden in der Kameruner Straße ist wieder an einen kleinen Verlag vermietet, nachdem dort für kurze Zeit Modedesigner die Immobilie bespielt haben. Vermieterin und Weddingerin Doris Gramm lobt das Projekt: „Das war ganz wunderbar; etwas Lebendiges fürs Haus und tut der Mietsache gut.“ Die Nutzer seien rücksichtsvoll mit der Immobilie umgegangen. Besonders gefällt ihr an dem Projekt, dass es die Menschen im Kiez zusammenbringt.

Bei „adding“ läuft viel über Mundpropaganda

Denn immer wieder finden in den zwischengenutzten Räumen auch Kulturveranstaltungen statt. So liest etwa der Schauspieler Christoph Quest, bekannt als Kriminalkommissar aus der Fernsehserie „SK Kölsch“, eigene Gedichte und Erzählungen im ehemaligen Friseursalon (7. Dezember, 19.30 Uhr). Nach einem Vortrag über die Geschichte des Volksparks Rehberge, erzählt Anke Rommel, verschwand eine Zuhörerin, um schnell einen selbst gebackenen Kuchen aus der nahen Wohnung zu holen. „Sie hat sich so gefreut, dass etwas in ihrer Nachbarschaft passiert.“ Das sind Momente, in denen Anke Rommel merkt, dass ihre Idee aufgehen könnte.

Die 70 Quadratmeter des ehemaligen Friseurs in der Transvaalstraße teilt sich die Designerin mit anderen findigen Kreativen; viele von ihnen wohnen selbst in Wedding. Die Fotografin Lara Melin stellt ihre Bilder aus, Christoph Alff ist mit seinen selbst genähten Taschen und Schals („Lieblingsstücke“) bereits ein „adding“-Stammkunde und hat schon in mehreren Läden im Kiez ausgestellt. Bernhard Zarneckow baut unter dem Namen „Urmurks“ alte, tragbare Heizlüfter aus den 50er bis 60er Jahren zu witzigen MP3-Playern um.

Erst seit zwei Wochen präsentiert Johanna Gramann selbst genähte Kleider und Accessoires („Zeuiks“) in den Räumlichkeiten. Die Modedesignerin ist auch als Kundschafterin für das Netzwerk unterwegs. Sobald sie einen leeren Laden entdeckt, meldet sie ihn. Sie ist seit drei Jahren selbstständig und vertreibt ihre Ware normalerweise deutschlandweit auf Märkten und Messen. „Ich möchte in den nächsten Jahren vielleicht einen eigenen Laden eröffnen“ sagt Gramann. „Das Projekt bietet mir die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und mich auszuprobieren.“

Bei „adding“ läuft viel über Mundpropaganda und übers Internet. Anke Rommel investiert viel Zeit, um über Facebook und andere Portale das Projekt bekannt zu machen. Das funktioniert. Ein Geschäftsmodell hat die Label-Besitzerin aber nicht, sie arbeitet ehrenamtlich, verlangt keine Courtage für die Vermittlung, freut sich aber über Spenden oder Nachlässe, die Vermieter einräumen, um das Projekt zu unterstützen. Bewusst hält sie sich von Fördertöpfen fern.

„Das ist immer an Bedingungen geknüpft und geht zulasten der Flexibilität.“ Anke Rommel und ihre Mitstreiter wollen etwas in der Stadt bewegen – nicht nur in Wedding, auch wenn der Bezirk im Namen des Netzwerks „adding“ anklingt und die Aktion hier startete. Im Englischen bedeutet das Wort außerdem „hinzufügen“.

Anke Rommel zog vor einigen Jahren aus Düsseldorf nach Berlin und ließ sich in Wedding nieder. Wegen der günstigen Verkehrsverbindungen und der lebendigen Nachbarschaft, sagt sie. Dass der Kiez einmal ein In-Bezirk werden könnte, hört Anke Rommel seit zehn Jahren immer wieder. Die Architektin winkt ab. „Er entwickelt sich, aber eher von innen heraus als von außen.“ Dank Initiativen wie der ihren.

Das Netzwerk findet man im Internet unter www.a-dding.de. Wer leere Ladenlokale melden möchte, kann mailen an: info@a-dding.de

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