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Der Schreibtisch im Wohnzimmer. Wer zu Hause arbeitet, ist konzentrierter und produktiver. Laut Studien ist man sogar glücklicher. Damit die Heimarbeit gelingt, sind klare Strukturen und Absprachen mit Kollegen und Vorgesetzten wichtig. Foto: fotolia

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Wirtschaft: In den eigenen vier Wänden

Das Home Office hat viele Vorzüge – wenn man sich an bestimmte Regeln hält.

Montagmorgen. Statt sich den Mantel überzuziehen und mit der U-Bahn ins Büro zu fahren, klappt Gerlinde Kröner (Name geändert) am heimischen Schreibtisch ihr Laptop auf. Sie beantwortet wichtige E-Mails und nimmt sich dann die Präsentation vor, die sie kommende Woche halten soll. „Arbeiten, bei denen ich Ruhe benötige, erledige ich gerne von Zuhause aus“, sagt die Mitarbeiterin der Telekom. Ihr Teamleiter ist einverstanden, denn er weiß, dass Gerlinde Kröner eigenverantwortlich arbeiten kann. Was zählt, sind für ihn die Ergebnisse, die sie bringt und nicht wo sie arbeitet.

Nicht nur Freiberufler, auch Angestellte verlagern ihre Arbeit zumindest gelegentlich nach Hause, wenn ihre Tätigkeit das zulässt. Laut einer Online-Umfrage des Software-Herstellers TeamViewer unter 1547 Berufstätigen arbeitet bereits jeder Dritte zumindest teilweise im Home Office. An vier oder mehr Tagen pro Woche sind nur zehn Prozent der Befragten Zuhause tätig. Besonders Frauen und Arbeitnehmer mittleren und gehobenen Alters wünschen sich mehr Heimarbeit. Sie würden dafür sogar auf ihren Urlaubsanspruch, eine Beförderung oder Extras wie den Firmenwagen verzichten. Offenbar macht das Home Office auch glücklich: 88 Prozent der Befragten waren „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“.

„Die Nachfrage steigt erwiesenermaßen“, sagt Josephine Hofmann. Sie leitet beim Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) das Competence Center Business Performance Management. Gründe sind für die Arbeitnehmer eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Außerdem sparen sie lange Wegezeiten, Geld und verringern die CO2-Belastung. „Viele Menschen sind aber Zuhause auch produktiver, insbesondere in konzentrierten, konzeptionellen Arbeitsphasen“, sagt Josephine Hofmann.

Trotz guter Argumente müssen viele Angestellte erst einmal Überzeugungsarbeit leisten, bevor sie vom Home Office aus arbeiten dürfen. Laut Josephine Hofmann befürchten Chefs den Verlust von Kontrolle, haben Angst, dass Mitarbeiter nicht sofort ansprechbar sind oder dass weniger geleistet wird. „Prinzipiell sind alle Befürchtungen nicht unrealistisch, lassen sich aber bei einer bewussten Gestaltung und sorgfältigen Aufgabenvergabe und Auswahl der Mitarbeiter gut vermeiden“, so die Expertin für Arbeitsorganisation.

Business-Coach Thomas Becker von der Trainergemeinschaft Berlin leitete früher selbst die Personalentwicklung eines großen Konzerns. Er sagt: „Überzeugen kann man die Vorgesetzten mit einem schlüssigen Konzept, in dem die Bedenken zu Erreichbarkeit und Arbeitsergebnissen ausgeräumt werden.“ Helfen können konkrete Vorschläge zur Kommunikation via Telefon und E-Mail, eine Rufumleitung oder der Zugriff auf firmeneigene IT-Laufwerke. „Nicht nur der Chef, sondern auch die Kollegen wollen in das ‚Home-Office Konzept’ eingebunden sein“, gibt Thomas Becker zu bedenken. Auch sie müssen wissen, wie der Heimarbeiter erreichbar sei und welche Absprachen es mit ihm gibt.

Darüber hinaus sollte man bedenken, dass sich nicht alle Tage als Home-Office-Tag eignen. „Vielmehr sollte ein Wochentag ausgewählt werden, an dem keine regelmäßigen Teambesprechungen stattfinden. Gerade für Mitarbeiter mit Teilzeitvertrag und Home Office ist an diesen Terminen Präsenz vor Ort wichtig“, sagt Thomas Becker.

Wenn der Vorgesetzte trotz guter Argumente noch Zweifel hege und sich nicht dauerhaft festlegen wolle, könne ein Probemonat helfen. Viele Chefs lassen sich doch noch überzeugen, wenn sie feststellen, dass die Arbeitsleistung und das Ergebnis stimmen.

Keine große Überzeugungsarbeit müssen die Mitarbeiter des Autoherstellers Daimler leisten. Bereits seit Ende der 80er-Jahre haben Mitarbeiter grundsätzlich die Möglichkeit, von Zuhause aus zu arbeiten, sofern es die Aufgaben und Tätigkeiten zulassen. Dafür bietet der Konzern auch die entsprechende technische Ausstattung an. Abhängig vom Arbeitsbereich und der persönlichen Situation gehört dazu ein firmeneigener PC, ein Sicherheits-Token, um auf interne Netzwerke zuzugreifen, ein Mobiltelefon und – wenn nötig – ein Multifunktionsgerät mit Drucker und Fax. Auch die Kosten für den DSL-Anschluss werden übernommen.

Jürgen Hesse vom Büro für Berufsstrategie sieht in der Verbreitung des Heimarbeitens einen Trend zu mehr Vertrauen der Chefs in die Eigenverantwortung der Mitarbeiter. Er arbeitet selber viel am heimischen Schreibtisch, zum Beispiel wenn er an seinen Büchern schreibt. „Eine gewisse Arbeitsatmosphäre sollte man sich schaffen“, sagt er. Wer Zuhause arbeiten will, sollte das möglichst nicht am Küchentisch tun. „Der Partner und die Kinder sollten wissen, dass man konzentriert arbeiten möchte und momentan für sie nicht ansprechbar ist“, sagt er.

Allerdings werden Jürgen Hesses Ansicht nach die Ablenkungen in den eigenen vier Wänden oft übermäßig dramatisiert. Schließlich sei man auch am Arbeitsplatz Ablenkungen ausgesetzt, sei es durch ein Gespräch mit Kollegen, einen privaten Anruf oder einen Blick auf die Facebook-Seite. Er sieht eher die Gefahr zur Selbstausbeutung, nämlich dass man sich Zuhause auch noch am späten Abend an den Rechner setzt, weil man fürchtet, tagsüber nicht genug geleistet zu haben. Klare Zielvorgaben können dem vorbeugen.

Auch wenn Heimarbeit im Hinblick auf die Work-Life-Balance heute ein wichtiges Stichwort sei, mit denen Firmen wie Daimler Mitarbeiter an sich binden, rät Jürgen Hesse davon ab, diese Option als Bewerber von sich aus im Vorstellungsgespräch anzusprechen. „Es muss sich erst ein Vertrauensverhältnis mit dem Chef aufbauen, um ihn davon zu überzeugen, dass man auch außerhalb der Firma produktiv arbeitet“, sagt er.

Laut Josephine Hofmann vom IAO wird das Phänomen des Home Office in den nächsten Jahren mehr und mehr zur Normalität werden. „Es wird sich aber nicht uferlos ausbreiten. Auch die direkte Begegnung, die direkte Zusammenarbeit und Allokation von Mitarbeitern in der Nähe hat immer noch unschlagbare Vorteile für Wissensmanagement, Kommunikation, soziales Miteinander und Commitment“, sagt sie.

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