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Wirtschaft: In der Industrie herrschen andere Sitten

Daimler-Chrysler und Telekom wehren sich gegen die Ersatzforderungen von Stolpe – gegen eigene Lieferanten sind sie strenger

Wären DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp und Telekom-Chef Kai- Uwe Ricke anstelle von Verkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) Auftraggeber der Maut – sie hätten den Vertrag längst gekündigt. Die Industrie geht mit ihren Lieferanten weitaus strenger um, als der Verkehrsminister es getan hat. Vor allem in der Automobilindustrie, gibt es keine Verträge, in denen bei unpünktlicher Lieferung oder mangelnder Qualität keine saftigen Vertragsstrafen fällig wären – oder der auftraggebende Konzern seine Zahlungen einstellt. Und natürlich gibt es die Möglichkeit – unter bestimmten Konditionen – aus dem Vertrag auszusteigen.

Die Automobilzulieferer beklagen sich seit langem über ein immer schlechter werdendes Klima in der Industrie. Sie kritisieren, dass sie von den Automobilkonzernen unter immer größeren Preis- und Kostendruck gesetzt werden. Die Folge seien Pannen und Qualitätsprobleme. Und die gehen zu Lasten der Zulieferer. In einem internen Papier der IG Metall ist von einer „neuen massiven Runde der Preisdrückerei“ der Automobilkonzerne die Rede. Der Preisdruck in diesem bisher nicht gekannten Ausmaß führe zu einer existenziellen Bedrohung vieler kleiner und mittlerer Zulieferer.

Etwas anders sind die Sitten in der Softwarebranche. Hier sei es üblich, dass Haftung und Gewährleistung seitens des Lieferanten ausgeschlossen sind, sagen Branchenexperten. Der Hersteller der Software etwa hafte nicht dafür, wenn ein Fehler im Programm dazu führen sollte, dass ein Unternehmen seine Waren nicht ausliefern könne und ihm dadurch Einnahmen entgehen. Aber auch hier gilt: Bezahlen tut der Auftraggeber erst, wenn die vereinbarte Leistung auch erbracht wurde. Anders sei die Lage jedoch, wenn ein Unternehmen – wie im Falle Toll Collect – nicht einfach nur eine Software liefere. Denn der Auftrag Toll Collects umfasst ja die Errichtung und den Betrieb des Mautsystems. Dann sei es üblich, dass der Auftraggeber einen Ersatz für die entgangenen Einnahmen verlangt.

Vergleichbar ist dies mit dem Anlagenbau. Hier hat es in der Vergangenheit eine Reihe von Beispielen gegeben, in denen die Erbauer dieser Anlagen in Finanznot geraten sind, weil sie die strikten Zeitpläne nicht einhalten konnten und hohe Vertragsstrafen fällig wurden – oder einfach die Bezahlung ausblieb. Jüngstes Beispiel: die Bremerhavener Lloyd-Werft. Nach dem Kentern des im Bau befindlichen Kreuzfahrtschiffs „Pride of America“ musste das Unternehmen Insolvenz anmelden. Der Auftraggeber hatte eine fällige Rate nicht bezahlt, weil die Arbeiten nach dem Unglück zunächst eingestellt werden mussten.

Doch auch wenn die Sitten in der Industrie rau sind, streiten kann man über die Höhe des Schadenersatzes, den der Verkehrsminister nun von Daimler-Chrysler und Telekom fordert. Es sei unseriös, bei einer so innovativen Technik mit solchen Druckmitteln zu arbeiten, sagt ein ansonsten Telekom-kritischer Experte. Wenn der Staat Innovationen verlange und fördern wolle, könne er am Ende nicht das komplette Risiko auf die Unternehmen abwälzen. Tsp

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