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Wirtschaft: „In Deutschland gibt es keinen Konsens für Reformen“

EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer über Deutschland, die Folgen des Irak-Krieges und die Staatsdefizite der Euro-Länder

Frau Schreyer, noch herrscht Krieg im Irak. Irgendwann aber muss wieder aufgebaut werden. Was kommt dann auf die EUMitgliedsstaaten zu?

Im Moment kann keiner sagen, wann und unter welchen Umständen dieser Krieg beendet werden wird. Deshalb kommen mir die Fragen nach dem Wiederaufbau wie eine Art Übersprungshandlung vor. Sie sollen die Illusion fördern, dass alles Leid eines Krieges hinterher einfach repariert werden könnte. So ist es ja nicht.

Aber deshalb kann man ja nicht so tun, als müsse es keinen Wiederaufbau geben.

Die Diplomatie muss natürlich daran arbeiten, wie und durch wen nach dem Krieg eine Zivilverwaltung aufgebaut und Sicherheit hergestellt werden kann. Wir sollten uns hierfür die Rückkehr der Politik unter das Dach der Vereinten Nationen wünschen. Aber wenn Sie mich als Haushaltskommissarin nach dem Wiederaufbau fragen, kann ich nur sagen, dass bisher jede Grundlage für eine Kalkulation von Kosten fehlt. Ich kann doch nicht die Bomben zählen und mit einem durchschnittlichen Schadensbetrag multiplizieren. Die EU-Kommission konzentriert sich jetzt auf die Leistung humanitärer Hilfe.

Wieviel Geld will die EU bereit stellen?

Die EU leistet schon jetzt über die internationalen Hilfsorganisationen Hilfe vor Ort. Im EU-Budget hatten wir ursprünglich 15 Millionen Euro für Hilfe im Irak vorgesehen. Jetzt haben wir die Notreserve aktiviert, so dass insgesamt 100 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Aber es ist unabdingbar, dass die großen Beträge aus dem Programm Öl für Lebensmittel von den Vereinten Nationen für humanitäre Hilfe eingesetzt werden können.

Wie wird sich der Krieg auf die Konjunktur in Europa auswirken?

Einige Branchen wie zum Beispiel der Flugverkehr sind ja ganz unmittelbar betroffen. Ein Krieg schafft Risiken, schafft Verunsicherung. Das wird die schwierige wirtschaftliche Situation in Europa weiter belasten.

Ist an den wirtschaftlichen Problemen Europas nur der Irak-Krieg schuld?

Die Vorteile, die der Binnenmarkt bieten kann, werden längst noch nicht ausreichend genutzt. Die Staats- und Regierungschefs aller EU-Mitgliedsstaaten haben sich gemeinsam das ehrgeizige Ziel gesetzt, die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum zu machen. Aber viele der Vorschläge der Kommission hierzu liegen noch unerledigt auf dem Tisch des Rates. Für den letzten Gipfel wurde die Bilanz gezogen, dass die Hausaufgaben noch nicht erledigt sind.

Welche Hausaufgaben muss Deutschland noch machen?

Die Reform des Arbeitsmarktes und der Sozialversicherungssysteme stehen ganz oben auf der Liste. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat dies in seiner Regierungserklärung betont, und die EU-Kommission hat es in ihren wirtschaftspolitischen Leitlinien festgehalten. Ich finde es besorgniserregend, dass es in Deutschland aber offensichtlich nicht einmal Konsens über diese Notwendigkeit gibt. Viele gesellschaftlichen Kräfte kämpfen mehr um die Sicherung der Arbeitslosigkeit als um mehr Sicherheit, einen Job zu kriegen. Wenn Deutschland seine überdurchschnittliche Wohlstandsposition behalten will, geht an Reformen kein Weg vorbei.

Nimmt Deutschland den Krieg als Vorwand, um den Stabilitätspakt zu lockern?

Finanzminister Hans Eichel betont immer wieder, dass er an dem Stabilitätspakt nicht sägen will. Die Kommission begrüßt diese Haltung von Herrn Eichel sehr. Ein Krieg ist allerdings ein außergewöhnliches Ereignis – das kann man doch nicht abstreiten. Diese von meinem für Währungsfragen zuständigen Kollegen Pedro Solbes jüngst geäußerte simple Feststellung ist aber nicht als Lockerung des Stabilitätspaktes zu verstehen. Sie wird gegebenenfalls am Jahresende bei der Beurteilung der Defizitsituationen zu berücksichtigen sein.

Ist die Vorgabe der Kommission noch haltbar, dass die Mitglieder bis 2006 ausgeglichene Haushalte vorweisen müssen?

Diese Zielsetzung gilt. Gerade ein großes und gewichtiges Mitgliedsland wie Deutschland trägt besondere Verantwortung. Es geht ja um die Stabilität der Währung. Und wir sollten unseren Kindern nicht immer größere Schuldenberge hinterlassen. Wir müssen auch den demografischen Wandel im Auge haben und deshalb die rechtzeitige Reduzierung der Schuldenlasten anstreben.

Schon nächstes Jahr sind wir nicht mehr 15, sondern 25 in der EU. Das heißt auch, dass die ostdeutschen Regionen nicht mehr zu den Ärmsten gehören. Werden sie dann keine Fördergelder mehr bekommen?

Momentan bekommt Deutschland nach Spanien das meiste Geld aus den Strukturfonds. Hier hatte die Bundesregierung 1999 erfolgreich verhandelt. Bis 2006 liegen die Summen fest. Ich hoffe, sie werden in den neuen Bundesländern gut genutzt, um den wirtschaftlichen Abstand teilweise aufzuholen. Für die neue Finanzplanung ab 2007 erarbeitet die Kommission unter der Leitung von Kommissionspräsident Prodi und mir in diesem Jahr neue Vorschläge. Ostdeutschland wird mit Sicherheit weitere Förderung erhalten. Genaueres ist aber derzeit noch in der Diskussion.

Sind Sie denn zufrieden mit der Nutzung der europäischen Mittel in Ostdeutschland?

Die Projekte aus der derzeitigen Förderperiode von 2000 bis 2006 kommen ja gerade erst ins Laufen. Im Vergleich mit anderen Mitgliedsstaaten habe ich den Eindruck, dass Regionen, denen wir nur kleine Summen zur Verfügung stellen, das Geld manchmal kreativer nutzen.

Wie?

In dem Sinne, dass weniger Geld für traditionelle Infrastrukturprojekte und mehr für Humankapital und die Vernetzung von regionalen Wirtschaftspotenzialen ausgegeben wird. Das Ziel einer wissensbasierten Gesellschaft sollte in Zukunft für die Strukturfonds generell eine größere Rolle spielen.

Also mehr Brain, weniger Beton ?

Ja, wobei eine volle Nutzung des Binnenmarktes allerdings eine gute Infrastruktur braucht.

Die EU-Mitglieder haben sich in den vergangenen Wochen wegen des Irak-Krieges zerstritten. Kann eine erweiterte EU noch funktionieren?

Die Geschichte der Europäischen Union zeigt, dass die Gemeinschaft aus Krisen lernt. Auch bei der Balkankrise, dem Balkankrieg herrschte in den Neunziger Jahren Zerstrittenheit. Man bekam nicht einmal gemeinsame Resolutionen hin, geschweige denn einen Beitrag zur Lösung des Konflikts. 1999 hat man dann Konsequenzen gezogen, gemeinsam gehandelt und hat neue politische Schritte für eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik beschlossen. Jetzt führt die EU eine gemeinsame Polizeimission in Bosnien durch und morgen wird die EU-Eingreiftruppe die Nato-Mission in Mazedonien übernehmen. Das zeigt, dass wir einen Beitrag zum Frieden in der Welt leisten können, wenn wir gemeinsam handeln.

Warum stellen Sie gerade jetzt, wo in der EU soviel schief läuft, Ideen für eine EU-Steuer in den Vordergrund – das kann doch keine Zustimmung finden.

Es wird momentan im Konvent ein Verfassungsvertrag für die EU erarbeitet. Der wird selbstverständlich auch eine Finanzverfassung umfassen. Und dazu gehört auch die Frage, wie das EU-Budget finanziert wird. Auch jetzt sind es ja die Steuerzahler, die den EU-Haushalt finanzieren. Aber es erfolgt über den Umweg der nationalen Haushalte. Das ist undurchsichtig für die Steuerzahler. Das halte ich für schlecht. Wer weiß denn schon, dass das EU-Budget nicht mehr als 2,2 Prozent vom gesamten Steueraufkommen der EU umfasst?

Sie wollen mehr Geld?

Es geht bei dem Vorschlag nicht um zusätzliches Geld. Bisher konnte ich bei allen Haushalten, für die ich die Verantwortung trug, weit unter den gesetzten Höchstgrenzen bleiben.

Das Gespräch führten Antje Sirleschtov und Flora Wisdorff

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