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Wirtschaft: In Deutschland stimmt die Chemie

Lanxess-Chef Axel Heitmann über Expansionspläne des Konzerns und die Bürokratie in der EU

Herr Heitmann, sind Sie im Jagdfieber?

Wir sind zumindest bereit für Zukäufe.

Erstaunlich, dass Sie sich das antun wollen. Sie haben gerade eine harte Sanierung hinter sich.

Das war eine große Kraftanstrengung. Nachdem wir vor knapp zwei Jahren an die Börse gegangen sind, haben wir unsere Unabhängigkeit genutzt, die Ärmel hochgekrempelt und Aufgaben an allen Ecken des Konzerns angepackt. Wir haben den Anteil der profitablen Geschäfte verdoppelt und unser Ergebnis um 30 Prozent gesteigert. Jetzt fühlen wir uns gestärkt für den nächsten großen Schritt.

Wen würden Sie sich denn gerne einverleiben?

Ich denke, dass wir in Kürze ein Geschäft außerhalb Europas realisieren werden, das durchaus globale Wirkung haben könnte. Es handelt sich um einen Bereich, in dem wir bereits heute weltweit eine führende Position einnehmen.

Ihr früherer Arbeitgeber Bayer hat gerade angekündigt, dass die Chemietochter Wolff Walsrode noch bis Ende des Jahres verkauft werden soll, um damit den Schering-Kauf mitzufinanzieren. Eine weitere Gelegenheit?

Ich bin dafür, Sachen zum Abschluss zu bringen und erst dann drüber zu sprechen. Mehr kann ich jetzt noch nicht sagen. Wichtiger für uns ist ohnehin die geplante große Übernahme. Und die könnte ich mir in den nächsten zwölf bis 24 Monaten vorstellen.

Was spricht dafür?

Uns kommt entgegen, dass der Markt gerade sehr in Bewegung ist. Viele Unternehmen oder Unternehmensteile stehen zum Verkauf. Und an diesem Veränderungsprozess wollen wir teilnehmen.

Eine Milliarde Euro haben Sie nach früheren Angaben in der Kasse, die Sie ausgeben könnten, ohne Ihre Kreditwürdigkeit zu gefährden. Würden Sie bei einer attraktiven Braut noch mehr drauflegen?

Wir haben mehr Handlungsspielräume als je zuvor. Und können zusätzlich natürlich auf bekannte Finanzierungsinstrumente wie Kapitalerhöhung oder Verschuldung zurückgreifen. Das muss man von Fall zu Fall betrachten. Das Vertrauen in den Märkten haben wir. Wir werden jedenfalls nur Akquisitionen planen, die eine zusätzliche Wertschöpfung für den gesamten Konzern bedeuten.

Für die große Hochzeit fehlt nur noch die geeignete Partnerin. Die Auswahl in Deutschland ist begrenzt. Der Energiekonzern RAG hat seine Chemietochter Degussa gerade von der Börse genommen, um den eigenen Börsengang vorzubereiten.

Genau deshalb stellt sich die Frage nach einer Übernahme der Degussa durch Lanxess zurzeit nicht. Die RAG verfolgt derzeit scheinbar andere Ziele. Sollte sich an ihren Plänen allerdings etwas ändern, stehen wir bereit. Ich kann mir vorstellen, dass wir für die Chemie eine große Lösung finden, die besonders für Nordrhein-Westfalen, aber auch für Deutschland als Chemiestandort insgesamt sehr interessant wäre.

Sie reden gern über Zukäufe. Was macht Sie so sicher, dass Lanxess nicht selbst übernommen wird? Der Streubesitz liegt bei 100 Prozent.

Wir versuchen, intensiv gegenzusteuern. Aber grundsätzlich ist Deutschland aus Sicht ausländischer Investoren natürlich ein interessanter Markt. Die deutsche Chemie hat einen ausgezeichneten Ruf. Wir verfügen über sehr gut ausgebildete Mitarbeiter und haben insgesamt eine positive Stimmung. In den vergangenen Jahren haben sich eine Reihe von Chemiekonzernen sehr verändert, sind zum Teil nicht mehr in Deutschland angesiedelt, viele sind bereits in der Hand von Finanzinvestoren.

Ist das eine Gefahr für den Standort?

Die Chemieindustrie ist die viertwichtigste Branche in Deutschland. Sie spielt eine bedeutende Rolle als Innovations- und als Wachstumsmotor. 440 000 Menschen arbeiten direkt, ein Vielfaches indirekt in der Chemie. Vor diesem Hintergrund halte ich es für wichtig, dass wir als Unternehmen eine aktive Rolle spielen, aber auch die Politik sich klar zum Chemiestandort Deutschland bekennt.

Deutsche Chemieunternehmen investieren gerade viele Millionen in China, um neue Werke aufzubauen. Ist das ein Bekenntnis zum Standort Deutschland?

Wenn Kunden Aktivitäten nach Asien verlagern, zwingt uns das, dort neue Anlagen zu bauen. Aber wir haben uns bereits klar zum Standort bekannt. Rund die Hälfte unserer weltweit 17 000 Mitarbeiter arbeitet in Deutschland. Und von den 250 bis 270 Millionen Euro, die wir in diesem Jahr investieren, bleiben 60 Prozent im Land. Von den übrigen 40 Prozent fließt allerdings ein zunehmender Teil nach China.

Gegen heftigen Widerstand der Industrie hat sich das EU-Parlament gerade auf neue Regeln für die Chemie geeinigt. Danach müssen die Hersteller gefährliche Stoffe künftig von einer Art Tüv testen und genehmigen lassen. Warum hat sich die Industrie so lange dagegen gesträubt?

Aus unserer Sicht hat sich die chemische Industrie nie dagegen gesträubt, Chemikalien EU-weit zu registrieren und zuzulassen. Im Gegenteil: Wir haben immer den konstruktiven Dialog gesucht und uns aktiv für einen kohärenten und praktikablen EU-Rechtsrahmen eingesetzt, der die Verbraucher und die Umwelt entsprechend schützt. Es muss aber gewährleistet sein, dass die Wettbewerbsfähigkeit und Sicherung der Arbeitsplätze der europäischen Industrie nicht gefährdet werden. Darum geht es in der Debatte.

Können Sie mit der jetzigen, abgeschwächten Fassung leben?

Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen, die Details noch unklar. Deshalb wäre eine grundlegende Einschätzung heute verfrüht. Eines ist aber klar: Wir sind nach wie vor sehr besorgt über den Grundsatz einer Substitutionspflicht, das heißt der zwingende Ersatz von bestimmten Stoffen, auch wenn deren sichere Verwendung gewährleistet werden kann. Eine solche Regelung würde die europäische Chemieindustrie unnötig belasten.

Welche Kosten kommen auf Lanxess zu, und wann fallen die an?

Reach ...

... das ist die Kurzform für die EU-Verordnung ...

... ist sicherlich eine administrative und finanzielle Belastung. Ausgehend von früheren Berechnungen, kostet uns Reach über die gesamte elfjährige Registrierungsphase rund 200 Millionen Euro.

Trotz Sanierung arbeiten Ihre Konkurrenten immer noch wesentlich profitabler. Was tun Sie dagegen?

Wir wollen in drei Jahren gleichziehen. Für 2006 peilen wir eine Gesamtrendite von neun bis zehn Prozent an ...

... der Branchenschnitt liegt bei zwölf bis 15 Prozent …

... und das, obwohl sich die Energie- und Rohstoffsituation stark verändert hat. Vor diesem Hintergrund sind wir schon erstaunlich weit. Aber es ist unsere erklärte Strategie, den Umbau kontinuierlich voranzutreiben.

Erreichen Sie das Ziel ohne weiteren Personalabbau?

Ich will nicht ausschließen, dass noch etwas nachkommen kann. Erst vor kurzem haben wir für unseren Bereich „Technical Services“ eine Erhöhung der Arbeitszeiten von 35 auf 40 Stunden pro Woche ohne vollen Lohnausgleich ab 2007 angekündigt. Wir konkurrieren mit vielen neuen Unternehmen in China, Indien und auch in Mittelost, wo die Energiekosten nicht einmal ein Zehntel von denen in Europa ausmachen.

Planen Sie, weitere Unternehmensteile zu verkaufen?

Dort, wo wir den Anschluss verpasst haben oder ihn nicht bekommen können, müssen wir uns zurückziehen und uns auf unsere Stärken konzentrieren. Auch durch Verkäufe. Es bleibt uns auch gar nichts anderes übrig, wenn wir die chemische Industrie in Deutschland halten wollen.

Das Gespräch führten Maren Peters und Moritz Döbler.

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