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Protest. Indische Frauen fordern eine Regulierung der Mikrobanken.

© AFP

Indien: Vorwurf: Mikrobanken treiben Schuldner zum Selbstmord

In Indien stehen Banken, die Kleinstkredite vergeben, in der Kritik. Die Vorwürfe sind ungeheuerlich: Die Institute sollen Schuldner in den Selbstmord getrieben haben.

Ausgerechnet die Mikrokredit-Institute, die einst gegründet wurden, um den Ärmsten der Armen zu helfen, sollen immer mehr Menschen in die Schuldenfalle treiben. 54 säumige Schuldner hätten sogar Selbstmord begangen, nachdem Geldeintreiber sie rüde unter Druck gesetzt hätten. Das behaupten Politiker und Funktionäre im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh, mit 40 Prozent der größte Mikrokredit-Markt Indiens. Prompt erließ die Landesregierung neue rigide Regeln. Indische Medien sehen die Branche in der schwersten Krise ihrer Geschichte.

Auch Doris Köhn macht sich Sorgen. Sie verantwortet bei der bundeseigenen KfW-Entwicklungsbank in Frankfurt am Main den Bereich Mikrokredite. Und da ist die KfW mit 2,15 Milliarden Euro der weltweit größte Investor. Zu den Berichten über Selbstmorde sagt Köhn: „Das ist schrecklich. Es hat Exzesse gegeben.“ Die KfW habe aber keine Verbindungen zu den in der Kritik stehenden Instituten. Trotzdem hat man in Frankfurt größtes Interesse, dass die Vorgänge aufgeklärt werden. Denn ein wichtiges und erfolgreiches Instrument der Entwicklungshilfe,für das Muhammad Yunus, der Gründer der Grameen Bank, 2006 mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt wurde, droht Schaden zu nehmen. „Mikrokredite sind kein Allheilmittel, aber gute Mikrobanken sind ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Armut“, sagt Köhn. Gerade hat die KfW ihre erste Mikrofinanzanleihe aufgelegt, um Geld einzusammeln, vor allem aber um an den Finanzmärkten mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu erregen.

Auch Indiens Finanzminister Pranab Mukherjee warnte davor, die Branche zu verteufeln. Er sei sehr besorgt über die Klagen, sagte er, betonte aber zugleich, er wolle die Mikrokredit-Institute regulieren und „nicht strangulieren“. Selbst Mitarbeiter von Mikrokredit-Instituten räumen ein, dass es Auswüchse gibt. Die Branche ist viel zu schnell gewachsen, allein von 2009 auf 2010 haben sich die Umsätze beinahe verdoppelt. Indien ist heute der weltgrößte Markt für Minikredite.

Aber bei aller begründeten Kritik scheint der Feldzug auch politisch motiviert. Denn vor allem Politiker und Funktionäre, die den organisierten Selbsthilfegruppen nahestehen, schwingen sich zu Chefanklägern auf. Dabei sind die Selbsthilfegruppen die staatlich geförderte Konkurrenz der Mikrobanken. Sie verbreiten nun, dass sich seit September mehr als 50 Schuldner von Mikrobanken umgebracht hätten. Doch ist dies nicht belegt. Zudem hat Indien generell hohe Suizidraten. So zynisch es klingt, aber bei sechs Millionen Kunden in Andhra Pradesh sind rund 50 Selbstmorde wenig.

Die Kritiker argumentieren, dass die Mikrokredit-Institute den Armen Mehrfachkredite aufschwatzen und der Markt überhitzt sei. Damit begründete Andhra Pradesh auch einen Eilerlass, der die Mikrobanken reguliert, die Selbsthilfegruppen aber verschont. Zugleich schürten Politiker bei Kunden von Mikrokredit-Instituten Hoffnungen auf einen Schuldenerlass. Das hatte fatale Folgen: Die Rückzahlungsquote brach von 98 Prozent auf fast null ein. Dies machte die Banken nervös, bei denen die Mikrobanken ihr Geld leihen. Sie drehten den Geldhahn zu. Als Folge stehen viele Mikrokredit-Institute kurz vor dem Kollaps, heißt es.

Eine repräsentative Umfrage bei 2000 Haushalten in Andhra Pradesh vom Centre of Microfinance lässt die Vorwürfe gegen die Institute allerdings übertrieben erscheinen: Demnach waren zwar 93 Prozent aller Haushalte verschuldet, aber nur elf Prozent bei Mikrobanken. 37 Prozent standen dagegen bei einer Bank, 53 bei den Selbsthilfegruppen und 82 Prozent bei Kredithaien oder Freunden in der Kreide. Zwar hatten 84 Prozent aller Haushalte gleich Mehrfach-Kredite am Hals. Aber dies beschränkte sich nicht auf die Mikrokredit-Institute.

Tatsächlich wächst der Eindruck, dass die Institute auch zum Opfer politischer Erwägungen wurden, die staatlichen Selbsthilfegruppen zu stärken. Billigkredite für diese Gruppen sind traditionell sehr zugkräftige Wahlgeschenke. Indiens Finanzminister Mukherjee versucht derweil, die Debatte zu versachlichen. Er hat die Zentralbank beauftragt, Licht in das Dunkel von Vorwürfen und Gegenvorwürfen zu bringen. Erst dann will er über neue Gesetze entscheiden.

Über die von Entwicklungsbanken aus den Industrieländern getragene Organisation CGAB versucht auch die KfW für Aufklärung zu sorgen. Experten sind vor Ort. Köhn räumt ein, dass es auch in Osteuropa, etwa in der Ukraine und in Bosnien, einzelne Probleme gibt. „Aber von einer weltweiten Mikrofinanzkrise zu sprechen ist absurd. Die Mikrofinanzmärkte funktionieren weiter erstaunlich gut und robust.“ Demnach hat die überwiegende Mehrheit der Millionen von Menschen, die in Osteuropa, Afrika, Asien und Lateinamerika Kleinstkredite bei Mikrobanken aufgenommen haben, keine Probleme. Und sie zahlen pünktlich und korrekt zurück. Die Ausfälle bewegen sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich und sind deutlich geringer als bei normalen Geschäftsbanken. „Mikrofinanzierung bleibt eine Erfolgsgeschichte“, sagt Köhn.

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