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Wirtschaft: Ingeborg Adrian

Geb. 1930

Nicht BDM, nicht FDJ! Als sie die Zeit dazu hatte, ging sie zur SPD. Nicht, dass sie mit ihren dreizehn Jahren die großen politischen Zusammenhänge durchschaut hätte. Doch was hatte ihr Vater in Russland verloren? Die Überlegenheit der arischen Rasse war für Ingeborg Adrian keine befriedigende Erklärung. Das Krakele, das aus dem Radio schallte, nährte ihren Widerstandsgeist nur. Genau wie der bellende Befehlston, der in dem Büro herrschte, in das man sie zitierte. Als sie hinausging, war sie immer noch nicht Mitglied beim Bund Deutscher Mädel.

Wenige Jahre später ist sie in dasselbe Gebäude in Buch zitiert worden. Zu einer ähnlich herrischen Rede mit fast identischem Inhalt. Diesmal war es Erich Honecker, Vorsitzender der Freien Deutschen Jugend, der vor Ingeborg Adrians Sturheit kapitulieren musste.

Später erzählte sie diese Anekdote oft. Aber dass sie nach dem Gespräch ihr Abitur nicht machen durfte, erzählte sie nicht. Von Selbstmitleid hielt sie nichts. Einzig ihre ausdauernde Abneigung gegen jede Form von Organisation zeigte, dass die Erlebnisse nicht spurlos an ihr vorbeigegangen waren. Und vielleicht die Zielstrebigkeit, mit der sie die Ausbildung ihrer Söhne beförderte. Als der jüngste die Grundschule beendete, hörte sie von der exklusiven zweisprachigen Ausbildung am Französischen Gymnasium, also schickte sie ihn hin.

Die Schulkameraden wohnten in schicken Villen am Wannsee, wo die Eltern antike Puppenhäuser sammelten. Wo vom Skiurlauben in St.Moritz und dem Nobelfriseur in Paris erzählt wurde, der Alexandre hieß. Ingeborg Adrian holte ihren Sohn gerne ab aus dieser fremden Welt, um dort selbst einen Blick hineinzuwerfen. Doch sie lud die Wannsee-Kinder auch nach Reinickendorf ein. Und die liebten diese andere Welt. Weil die Mutter dort in der strahlend weißen Küche Kuchen buk, mit Obst aus dem Schrebergarten, und alle mithelfen durften, auch wenn sich der Mehlstaub im ganzen Raum verteilte. Weil es dort eine ganz andere Form von Luxus gab: Behaglichkeit im Überfluss.

Das braune Sofa, in dem man so tief versank, dass man kaum aufstehen konnte. Der Wandteppich mit dem Sonnenwagen, den sie aus Dänemark mitgebracht hatte. „Auf der Ladefläche liegt die Sonne“, erzählte sie, „die wird damit nachts von Westen wieder nach Osten gebracht.“

Die Biografie-Bücher, die Ingeborg Adrian zu Dutzenden verschlang, stehen im Wohnzimmer immer noch auf der Kommode. Auch die Theaterprogramme füllen nach wie vor Schubladen. Shakespeare oder Komödie am Kurfürstendamm – sie sah sich alles an. Seit sie sich mit einer Inspizientin der Staatlichen Bühnen angefreundet hatte, saß sie schon bei den Proben, stundenlang. Vielleicht war das Theater der einzige Ort, an dem es sich die kleine Frau mit dem energischen Kinn erlaubte zu träumen.

Außerhalb des Theaters schüttelte sie den Kopf über Menschen, die Luftschlösser bauten. Nach dem Fall der Mauer überwand Ingeborg Adrian deshalb sogar ihre Abneigung gegen Parteien und Vereine und trat der SPD bei. Sie war inzwischen pensioniert und hatte Zeit, sich zu engagieren. Jetzt, fand sie, war es so weit, schließlich wusste sie von den Besuchen bei der Verwandtschaft, wie es aussah im Osten. Bei den Wahlen 1998 ging sie für Gerhard Schröder auf die Straße, betreute die Informationsstände der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen und schrieb kleine Artikel über die Lokalpolitik in der regionalen Parteizeitung.

Und merkte bald, dass ihre Vorstellung von Engagement eine andere war als die vieler Parteikollegen. Warum drückten ihr Leute vor internen Wahlen Listen in die Hand, auf denen stand, wo sie ihr Kreuz zu machen hatte? Was sollte dieses Argument: Der ist jetzt einfach mal an der Reihe. – Warum das denn?, fragte sie zurück. Und schmiss den Wahlzettel weg, wenn sie keinen der Kandidaten für qualifiziert genug hielt.

Sie hatte lange den Krebs in sich, aber der war für sie kein Thema, über das man lange reden musste. Die Bush-Wahl und HartzIV sind doch viel wichtiger. Darüber konnte sie sich noch in ihren letzten Tagen streiten.

Anne Seith

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