zum Hauptinhalt
Bei Anruf Verrat. Sogenannte „Expert Networks“ handeln an der Wall Street mit heißer Ware, indem sie Investoren mit Insiderinformationen aus Unternehmen versorgen.

© REUTERS

Insider-Geschäfte: Auf der Jagd nach den Wall-Street-Gangstern

Der New Yorker Staatsanwalt Preet Bharara versucht, Börseninsidern auf die Schliche zu kommen. Dafür hat er seine ganz eigenen Methoden.

Wenn Preet Bharara zum Hörer greift, dann zittert die Wall Street. Der 43-jährige Staatsanwalt von Manhattan hat das Telefon zur Waffe gemacht, und er richtet sie gegen Insider, die mit geheimen Informationen Millionen verdienen und gewaltige Schäden anrichten. Für Bharara ist Insider-Handel die Kardinalsünde der Wall Street: Seit den großen Skandalen um Enron und Worldcom hat der durchschnittliche Investor begriffen, dass er keine wirkliche Chance hat. Die besten Renditen werden nicht von ehrlichen Anlegern eingefahren, sondern von gut vernetzten Fonds, die Informationen aus den Konzernzentralen bekommen, bevor sie an die Öffentlichkeit gelangen.

Bestes Beispiel für den illegalen Informationsaustausch: eine Telefonkonferenz, die Bharara im November 2009 abhörte. Da berichtete Sam Adondakis, Analyst von Primary Global Research (PGR), seinen Kunden Neues aus dem Hause Dell. Der Computerbauer habe seine Absätze im laufenden Quartal von 60 000 auf bis zu 200 000 Einheiten pro Tag steigern können, hieß es, unter anderem dank des damals neuen Betriebssystems Windows 7. Zu den Umsatzzahlen gab es Prognosen über das weitere Wachstum und die Preisstrategie von Dell – alles zuverlässig, denn die Infos kamen direkt aus dem Unternehmen, wo PGR den Supply-Manager Dan DeVore mit 145 000 Dollar bestochen hatte. Die Infos von DeVore gingen in der Telefonkonferenz an einen Fondsmanager von Level Global und acht weitere Hedgefonds, die für den exklusiven Zugang zu Insiderdaten PGR bezahlten. Bharara wertete das Gespräch aus und nahm Dell-Insider DeVore im Dezember 2010 fest. Mit dessen Verurteilung wegen Betrugs und Verschwörung ist erst 2013 zu rechnen, derweil arbeitet Bharara an weiteren Fällen. Die Liste seiner Erfolge kann sich sehen lassen: Bharara verhaftete Anthony Chiasson, Mitbegründer von Level Global, und auch der bereits verurteilte Galleon-Chef Raj Rajaratnan sowie frühere McKinsey-Chef Rajat Gupta gehen auf sein Konto.

Als größter Fisch gilt John Horvath von Sigma Capital, einer Firma mit Verbindungen zum 14 Milliarden Dollar schweren Fonds von Wall-Street-Legende Steven Cohen. Cohen und seiner Firma werden direkt keine Vorwürfe gemacht. Sie sind nur Randfiguren, denen im Zusammenhang mit den laufenden Ermittlungen dennoch gewaltige Schäden drohen.

Darin liegt die Kritik, die manche an Preet Bharara üben. Der Staatsanwalt arbeite zwar im Rahmen seiner legalen Möglichkeiten und höre Konferenzen und private Telefongespräche nur mit Untersuchungsbeschluss ab. Doch schade er mit seiner Vorgehensweise und einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit auch Fonds, in denen nur einzelne schwarze Schafe säßen. Level Global ist seit der Kooperation mit PGR Geschichte, und von Front Point Partners, einst sieben Milliarden Dollar schwer, blieb nach der Verhaftung eines Analysten nicht mehr übrig als eine Hülle.

Das Insider-Problem ist hausgemacht

Der Betrug mit Insider-Informationen geht längst nicht auf einzelne Sünder zurück, sondern ist institutionalisiert. Spätestens seit der strikten Trennung von Analyse und Handel vor fast zehn Jahren hat sich an der Wall Street eine ganz neue Branche etabliert: die sogenannten „Expert Networks“, die zahlende Klienten mit Insidern aus börsennotierten Unternehmen für ganz genau den Informationsaustausch zusammenbringen, den das Gesetz strikt untersagt.

Somit wurzeln die Betrugsfälle in Bhararas Blickfeld in den neuen Spielregeln, die während der Amtszeit seines Vorgängers Eliot Spitzer beschlossen wurden. Der hatte als Staatsanwalt für eine strikte Trennung von Analyse und Trading gesorgt, nachdem aufgeflogen war, dass sich Unternehmen geschönte Analysen kauften, denen letztlich kleine Investoren auf den Leim gingen.

Bharara, der Sohn von Einwanderern aus Indien, ist nach Spitzer und dessen Vorgänger Rudy Giuliani der dritte New Yorker Staatsanwalt, der sich mit dem Kampf gegen das falsche Spiel an der Wall Street einen Namen macht. Giuliani, der die legendären Insider-Trader Mike Milken und Ivan Boesky ausschaltete und damit die Basis zum Michael-Douglas-Streifen „Wall Street“ legte, war später Bürgermeister von New York City. Spitzer wurde Gouverneur von New York, bevor er 2008 über einen Sex-Skandal stolperte.

Foto: picture alliance/dpa
Foto: picture alliance/dpa

© picture alliance / dpa

Wohin Bhararas Karriere führt, ist offen. Wo sie ihre Wurzeln hat, ist unumstritten: in der klassischen Einwanderergeschichte. Geboren im nordindischen Ferozepur, nahe der pakistanischen Grenze, kam Bharara als Zweijähriger mit seiner Familie nach New Jersey. Dort wuchs er mit dem Bild eines rechtschaffenen Amerikas auf, während der Vater von der Korruption in der alten Heimat berichtete. „Ich erinnere mich wie er immer von Bestechung erzählte, die selbst unter Ärzten üblich war“, sagte Bharara dem „Time Magazine“. Ihm sei früh klar geworden „dass es so nicht gehen konnte“.

Bharara studierte in Harvard und an der Columbia Law School und arbeitete bald im Büro des „Southern District“, dem er heute vorsteht. Seine ersten Erfahrungen machte er im Umfeld der New Yorker Mafia, wo Bharara an den Ermittlungen gegen die Colombo- und Gambino-Syndikate beteiligt war und zum ersten Mal erfuhr, welchen Wert abgehörte Gespräche bei der Strafverfolgung haben können.

Bharara hatte seine Waffe gefunden. Sein aktuelles Rezept: Bharara hört massenweise Gespräche in der Branche ab und bietet im Erfolgsfall einigen seiner Opfer Strafminderung bei Kooperation an. Darauf gehen viele ein, und mithilfe der Informanten arbeitet sich Bharara durch die Hierarchie der Fonds. Die Bilanz bisher: 63 Verhaftungen, die zu 56 Verurteilungen führte – sieben Verfahren laufen noch, verloren hat er keins.

Bhararas weiterer Erfolg und inwiefern seine Taktik die Abläufe an der Wall Street langfristig ändern kann, steht zur Zeit auf dem Prüfstand. Viele seiner wohlhabenden Opfer investieren massiv in ihre Berufung vor höheren Instanzen und hoffen, dass sie wegen Formalien freikommen. So gibt es etwa keine bindende Definition für den Begriff der Insider-Information. Auch ist strittig, ob Bharara immer ausreichend Verdachtsmomente hatte, um Gespräche abzuhören. Über viele Fragen werden amerikanische Gerichte in den nächsten Jahren noch entscheiden. Bharara setzt derweil seinen Kreuzzug fort und tut sein Bestes, um dem Handel das längst verlorene Vertrauen der Investoren zurückzugeben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false