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211 Unternehmen und Bildungsinitiativen haben sich am Montag vorgestellt, um Geflüchtete über Arbeitsmöglichkeiten zu informieren. Die Idee zu der Messe hatte der Eigentümer des Estrel, Ekkehard Streletzki, im vergangenen Herbst. Unterstützung bekam er von der Berliner Wirtschaft und der Agentur für Arbeit Berlin Süd. Foto: Michael Kappeler

© dpa

Jobmesse für Flüchtlinge: Erfahrungen ja, Zeugnisse nein

4000 Flüchtlinge kamen am Montag zu einer Jobbörse in Berlin-Neukölln. Mit der Hoffnung, Arbeit zu finden. Ein Rundgang mit Bewerbern aus Syrien.

In Syrien hatte er 20 Jahre lang Hosen gekürzt und Kleider geflickt. Er war glücklich, Kaputtes heil zu machen. Doch dann zerstörten Bomben seinen Laden, seine Stadt, und Kamil Bikandi floh nach Deutschland. Hier sucht der gelernte Schneider seit mehr als einem Jahr einen Job. Ohne Erfolg. „Es gibt viele Läden“, sagt er in gebrochenem Deutsch. „Aber die sind alle türkisch, türkisch.“

Am Montag besucht Kamil Bikandi eine Jobbörse für Geflüchtete im Kongresshotel Estrel in Berlin-Neukölln. Er ist recht klein, hat schwarze Haare und einen wachen Blick. 4100 Frauen und Männer, die meisten aus Syrien, haben sich angemeldet. Die Idee zu der Messe hatte der Eigentümer des Estrel, Ekkehard Streletzki. Unterstützung bekam er von der Berliner Wirtschaft und der Agentur für Arbeit Berlin Süd.

Auf der Ausstellerliste stehen Zalando, Securitas und Rewe. 211 Unternehmen und Bildungsinitiativen stellen sich vor. „Eine Dimension, die es so noch nicht gegeben hat“, sagt Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD). Theoretisch könnten hier 1000 Praktikumsstellen besetzt werden.

„Viele kommen mit ganz illusorischen Vorstellungen"

Kamil Bikandi geht von Stand zu Stand und fragt, ob jemand einen Schneider sucht. Obwohl er sich auf Deutsch und Englisch ganz gut verständigen kann, ist er froh, nicht alleine hier zu sein. Seine Deutschlehrerin Tanja Schuhmann ist an seiner Seite und hilft. Ein Schneider? Die Mitarbeiterin der Arbeitsagentur überlegt. „Schwierig. Hier sind eher große Firmen und keine kleinen Betriebe“, sagt sie. Kamil Bikandi steckt trotzdem ihre Visitenkarte ein und schreibt seine Handynummer auf einen Zettel. Er lächelt, dreht sich zu seiner Lehrerin um und sagt leise: „Keine Chancen“.

An den Wochenenden kann Kamil Bikandi ein bisschen arbeiten. Geld verdienen. Einen Teilzeit- oder Vollzeitjob hat er noch nicht gefunden. „Wie soll das auch gehen?“, fragt Tanja Schuhmann. „Da müssen sie ja zum Deutschkurs.“ Sie sammelt Flyer, die sie in der nächsten Stunde in Ruhe erklären wird. Pausen gibt es für sie nicht. Dann zeigen ihr die Flüchtlinge Briefe vom Jobcenter und fragen, wann sie endlich arbeiten können. „Es ist hart“, sagt sie. „Viele kommen mit ganz illusorischen Vorstellungen und sind nach einer Weile total enttäuscht.“

Wie wichtig die Sprache ist, zeigt die Messe selbst

Ob er gut Deutsch kann? Er macht gerade einen Kurs. Wie alt er ist? 21. Mohammed Al Saleh möchte als Automechaniker arbeiten und holt seinen wichtigsten Besitz aus dem Rucksack: einen Schnellhefter. Die Mitarbeiterin der Arbeitsagentur blättert die Zettel durch und notiert auf einem Formular: Name, Adresse, Nummer beim Jobcenter. Aufenthaltstitel: Aufenthaltserlaubnis. Bildung: Schule, aber keine Ausbildung. Arbeitserfahrungen: ja. Zeugnisse: sind in Syrien. Trotzdem habe Mohammed gute Chancen, denn er sei jung. Anders als Kamil Bikandi. Wenn er weiter Deutsch lernt, soll er sich in ein paar Monaten noch einmal melden.

Wie wichtig die Sprache ist, zeigt die Messe selbst. An vielen Werbetafeln gehen die Flüchtlinge wortlos vorbei. Sie können die fremden Zeichen nicht lesen, wissen nicht, um welchen Beruf es geht. Deswegen konnten sich die Aussteller symbolische Bilder aussuchen und aufstellen. Auf einem ist ein Männchen zu sehen, das Holz zersägt. Ein anderes streicht eine gelbe Wand grün. Die Bundesagentur für Arbeit hat den Schriftzug „Information und Beratung“ auf Arabisch übersetzt.

An manchen Ständen steht ein Übersetzer und hilft

An manchen Ständen spricht ein Aussteller beide Sprachen, an anderen steht ein Übersetzer daneben. Einer von ihnen ist Mohammad Ghaleb. In Syrien, sagt er, hat er studiert. Er sei Computeringenieur, mache im Estrel ein Praktikum im IT-Bereich. Danach möchte er seinen Master machen. „Die Sprache ist hier für die meisten das Schwerste“, sagt er. „Aber davon hängt alles ab.“

Tanja Schuhmann geht zügig an ihm vorbei, Richtung Ausgang, weil sie noch einen Nachmittagskurs hat. Wie sie die Chancen für die Geflüchteten einschätzt? Sie zögert kurz. „Es ist gerade katastrophal“, sagt sie. Viele hätten in ihrer Heimat gearbeitet, aber seien nur kurz oder gar nicht zur Schule gegangen. Die meisten hätten keine Zeugnisse, keine Qualifizierung – und noch problematischer sei das Verständnis der wenigen Teilnehmerinnen. Eine habe zu ihr gesagt: „Ich bin doch eine Frau. Ich arbeite nicht.“

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