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Skeptiker. Berthold Huber befürchtet Auswirkungen der Krise in Südeuropa auf die deutsche Konjunktur und fordert ein Wachstumsprogramm.

© dapd

Interview mit Berthold Huber: "Diese Koalition ist ein Desaster"

Berthold Huber ist Vorsitzender der IG Metall. Mit dem Tagesspiegel spricht er über Risiken für die deutsche Industrie, die Sanierung von Opel und Investitionsanreize für die Energiewende.

Herr Huber, sehen Sie mit Sorge oder Zuversicht ins nächste Jahr?

Im Moment sehen die Zahlen in den diversen Branchen unserer Industrie nicht schlecht aus, aber gut sind sie auch nicht. Nehmen wir den Fahrzeugbau: In Westeuropa werden zum Beispiel in diesem Jahr 11,6 Millionen neue Autos zugelassen, vor fünf Jahren waren es 14,4 Millionen. Dieses Minus ist enorm und schlägt auch auf die Beschäftigung durch.

Die ist aber in unseren Autofabriken noch stabil, weil die Exporte nach Asien, Osteuropa und Südamerika gut laufen.

Sicher, aber mein Thema ist Westeuropa. In Frankreich haben wir ein Minus bei den Autoverkäufen von sechs Prozent gegenüber 2007, in Italien sind es 44 Prozent und in Spanien 55 Prozent. Diese dramatischen Einbrüche haben über kurz oder lang auch auf unsere Autoindustrie Auswirkungen. Wenn die europäische Austeritätspolitik so weiter geht, also Sparen, Sparen, Sparen, dann führt das zu einem Desaster.

Viel tiefer können die Absatzzahlen doch kaum fallen.

Es geht alles noch tiefer. Kein Mensch weiß, was in den nächsten Monaten in Frankreich passiert. Aber richtig ist auch: Die deutschen Hersteller haben ihre Position signifikant verbessert, also Marktanteile gewonnen.

Der große Gewinner ist Volkswagen.

Tatsächlich hat der VW-Konzern inklusive Skoda, Audi und Seat zwischen 2007 und 2012 seinen Marktanteil in Westeuropa von 20 auf 25 Prozent erhöhen können. Das ist für VW schön und verstellt aber dennoch nicht den Blick für die Probleme der Branche insgesamt.

Was macht VW besser als zum Beispiel Peugeot oder Fiat?

Diejenigen, die global aufgestellt sind, können die verschiedenen Märkte in unterschiedlicher Intensität beliefern und somit die Schwäche in Westeuropa ausgleichen. An diesem Punkt zeigt sich, dass die Globalisierung auch eine Chance ist. Der weltweite Automarkt wächst: 2007 gab es einen Absatz von 59 Millionen Fahrzeugen, in diesem Jahr sind es vermutlich 67,4 Millionen. Und der Markt wächst weiter – mit entsprechendem Wachstum für die global tätigen Unternehmen.

Opel gehört nicht dazu. Wie ist der Stand der Rettungsbemühungen?

Opel verliert weiterhin massiv Marktanteile. Wir brauchen jetzt so schnell wie möglich eine Führung, die auch etwas von Automobilbau versteht. Parallel arbeiten wir an einem Zukunftskonzept bis 2022. Es wird auch Abfindungsprogramme geben, aber die lösen das Problem nicht. Wir müssen das Unternehmen stabilisieren, mit neuen Modellen und neuen Technologien. Es ist zum Beispiel ein Irrsinn, dass Opel noch kein Doppelkupplungsgetriebe hat.

Was kommt auf die Beschäftigten zu?

Die Lohnkosten kann man nicht weiter drücken, wir liegen auf nacktem Tarif. Alles, was darüber lag, ist gestrichen. Jetzt brauchen wir gute Ideen und faire Agreements mit dem Eigentümer General Motors. Das muss ein längerfristiger Prozess sein, die Amerikaner werden nicht sofort mit Profiten bei Opel rechnen können. Und Opel braucht endlich Sicherheit über die Zukunft.

Sie beschäftigen sich seit Monaten mit Opel – haben Sie noch Hoffnung?

Ich bin weder optimistisch noch pessimistisch. Wir müssen jetzt knüppelhart arbeiten und versuchen, bis spätestens Anfang nächsten Jahres ein Zukunftskonzept zu haben. Mit allen Opel-Standorten. Bochum wird nicht preisgegeben. Und wenn man kein Modell mehr in Bochum bauen will, dann braucht man eine Alternative, womöglich im Komponentenbereich. Parallel zu den fälligen Entscheidungen auf der Unternehmensseite brauchen wir auch eine Wiederbelebung der Nachfrage in Europa.

Europa liegt aber noch immer im Schatten der Finanzkrise.

Ja. Und die Produktion zieht immer dorthin, wo die Märkte sind. Wenn wir in Europa über Jahre Stagnation haben, dann verlieren wir hier Produktion und Arbeitsplätze und schwächen unsere industrielle Basis. Das trifft nicht jeden gleichermaßen. Aber es glaube doch niemand, dass die Krise in Südeuropa spurlos an uns vorbeiginge! Deshalb müssen wir über ein europäisches Wachstumskonzept sprechen. Die bloße Sparpolitik ist nicht zukunftsfähig. Woher sollen denn Steuereinnahmen kommen, wenn Fiat völlig zusammenbricht, um nur ein Beispiel zu nennen?

Was sind die richtigen Maßnahmen gegen die Krise

Alle möglichen Leute, Ökonomen, linke Politiker und französische Präsidenten, plädieren für Wachstumsimpulse – erfolglos.

Das ist ein Jammer. Ein wirkliches Programm für Investitionen in die industrielle Wertschöpfung gibt es nicht. Dafür aber wohlfeile Ratschläge für die Spanier, die bei einer Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 50 Prozent die Rente mit 67 einführen sollen. Spanien wird aber am deutschen Wesen nicht genesen.

Also, was tun?

Man muss die unter Druck setzen, die eine andere Politik in der Hand haben. Auch die deutsche Bundesregierung. Das wird schwierig sein und geht nur in einer konzertierten Aktion derjenigen, die sehen, dass Europa sonst nach unten abrutscht. Ich meine ja nicht nur die Autoindustrie, sondern auch die Energiepolitik mit allen Implikationen, die ganz wichtig ist für Europa.

Die IG Metall plädiert für Sonderabschreibungen auf Investitionen in Energieeffizienz. Müssen Sie jetzt auch noch Lobbyarbeit für die Industrie machen?

Anreize für Investitionen müssen sein, wenn wir Deutschland als Wachstumsanker in Europa stabilisieren wollen. Wie soll es denn anders gehen mit dem ökologischen Wandel? Die Firmen investieren doch nicht, weil sie plötzlich Angst vor Atomkraft haben. Auf die Gesinnung der Leute zu warten, ist quatsch. Wir brauchen selbstverständlich Anreize für den Kauf neuer Heizungsanlagen und Kühlschränke sowie für Investitionen in die Energieeffizienz und Ressourcenschonung.

Und das finanzieren wir womit? Sollen Ihre Mitglieder höhere Steuern zahlen?

Wir haben erstens relativ hohe Steuereinnahmen. Und zweitens kommt doch ein guter Teil wieder zurück über höhere Einnahmen bei der Mehrwertsteuer. Natürlich ist drittens die Einnahmeseite des Staates zu stärken, durch einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent und eine Vermögensteuer. Das Geld ist da, wir müssen es nur richtig einsetzen. Unter anderem für industrielle Wertschöpfung, die zukunftsfähig ist und unseren starken industriellen Besatz festigt. Das ist unser Wohlstand in der Zukunft.

Und das erkennt die Bundesregierung nicht?

Diese Koalition halte ich für ein Desaster. Man hat alle Kriseninstrumente abgeschafft, und das verbucht die FDP auch noch als einen Erfolg. Sie hat aber nicht verstanden, dass wir in der hochvolatilen Ökonomie Instrumente wie Kurzarbeit und vor allem auch Kurzarbeit für Leiharbeiter brauchen.

Sie wollen schon wieder großzügige Kurzarbeitsregeln wie 2009?

Ich will Vorsorge treffen. Tatsächlich ist vor allem der Maschinenbau sehr stabil. Wenn aber andere Industrien einbrechen, dann merkt das auch der Maschinenbau. Für den Fall sollte man vorbereitet sein, aber dazu ist diese Regierung nicht in der Lage.

Und die IG Metall? Wie geht es der größten deutschen Gewerkschaft im Herbst 2012?

Im letzten Jahr haben wir den Trend bei der Mitgliederentwicklung gedreht und unterm Strich 6000 neue Metaller gewonnen. In dieser Größenordnung geht es in diesem Jahr weiter, ich erwarte mindestens eine so positive Mitgliederentwicklung wie 2011. Das muss aber auch sein, denn die Beschäftigung in der Metall- und Elektroindustrie hat sich insgesamt gut entwickelt. Alles in allem belegen die Zahlen, dass wir unsere Arbeit ganz ordentlich machen.

Berthold Huber (62) lernte nach dem Abitur Werkzeugmacher. Beim Bushersteller Kässbohrer wurde er in jungen Jahren Betriebsratschef. Franz Steinkühler holte Huber, der ein paar Semester Geschichte, Philosophie und Politik studierte, 1990 in die IG-Metall-Zentrale. Seit 2007 ist Huber Vorsitzender. Mit gut 2,2 Millionen Mitgliedern ist die IG Metall die größte deutsche Gewerkschaft vor Verdi. Huber und der zweite Vorsitzende Detlef Wetzel haben die Organisation dezentralisiert und stärker auf die Betriebe ausgerichtet. Mit Erfolg: 2011 wurde der Mitgliederschwund gestoppt.

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