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Frank Appel ist seit 2002 Mitglied des Vorstands und seit dem 18. Februar 2008 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post AG. Sein Vertrag läuft bis Oktober 2022.

© Mike Wolff

Interview mit Deutsche-Post-Chef: Frank Appels sechs Regeln für gute Mitarbeiterführung

Frank Appel führt seit fast zehn Jahren die Deutschen Post DHL, er ist Chef von mehr als einer halben Million Mitarbeitern weltweit. Im Interview erklärt er, wie man Mitarbeiter richtig führt.

Appel war dieser Tage Gast im Tagesspiegel Verlagshaus. Während eines längeren Interviews im kleinen Besprechungsraum mit der großen Tresortür dieser ehemaligen Zentrale der Siemens & Halske AG, unter gerahmten historischen Ausgaben des Tagesspiegels, geht es zunächst über die Geschichte der Globalisierung. Der Anlass: Der bevorstehende G20-Gipfel in Hamburg. Eher zufällig dreht das Gespräch auch auf die Themen Personalführung und die Zukunft der Arbeit, die ja auch zunehmend von der Globalisierung geprägt werden dürften.

Appel muss sich da auskennen: Der Hamburger führt Deutschlands zweitgrößten Arbeitgeber (nach VW) seit bald zehn Jahren und ist der Vorgesetzte von weltweit mehr als einer halbe Million Mitarbeitern, 211.000 davon in Deutschland. Im Gespräch geht es auch um Stress am Arbeitsplatz. Den könnten Chefs durch Vertrauen abbauen, ist der promovierte Neurobiologe überzeugt. Das illustriert er spontan an einem sehr naheliegenden Beispiel: dem Journalismus. Lesen Sie hier den eher ungewöhnlichen Teil des Interviews, bei dem zwischenzeitlich nicht ganz klar ist, wer hier eigentlich das Gespräch führt.

Herr Appel, wie sieht Ihre Wunschwelt in 20 oder 30 Jahren aus?

Ich wünsche mir, dass Menschen dann keine Tätigkeiten mehr machen müssen, die sehr belastend oder monoton sind. Ich hoffe, dass diese Aufgaben dann verschwunden und durch attraktivere Tätigkeiten ersetzt sind - so wie das heute schon für viele Menschen der Fall ist. Eine gerade vorgelegte Studie zeigt, dass der Anteil an gut ausgebildeten Menschen zuletzt gestiegen ist und der Anteil der Menschen mit nur geringer oder gar keiner Ausbildung abnimmt und sich auf niedrigem Niveau stabilisiert. Ich hoffe, dieser Trend setzt sich fort und wir haben zunehmend die Möglichkeit,  für unsere Gesellschaft wesentliche Tätigkeiten auszuüben, die relevant sind, weil sie zwischenmenschliche Beziehungen beinhalten. Dies sollte möglich sein, weil die Digitalisierung uns viele mechanische, sich wiederholende Tätigkeiten abnehmen wird.

So steigen aber auch die Anforderungen an jeden Einzelnen.

Das stimmt. Wir werden lebenslang lernen müssen. Ich glaube aber, dass die junge Generation mit dem Gedanken schon bestens vertraut ist, dass die Welt zunehmend globaler und vernetzter wird und man permanent dazulernen muss, um sich weiterzuentwickeln. Das ist für die heute 60- und 70-Jährigen sicher anders.

Können Sie nachvollziehen, dass manche Menschen ganz gut mit einfachen Tätigkeiten leben können und den Druck, kreativ und mehrdimensional tätig zu werden als belastend empfinden?

Es muss sich ja nicht nur um kreative Fähigkeiten handeln. Gut mit Menschen umgehen zu können, ist auch eine wichtige Fähigkeit. Dafür muss man nicht zwingend studiert haben. Ich verstehe aber, dass Menschen Sorgen haben. Denn der Mensch zeigt  grundsätzlich einen gewissen Widerstand gegen Veränderungen. Das ist in unseren Hirnstrukturen so angelegt und hat auch seine Vorteile.

Warum?

Unsere Spezies hat sich über weite Strecken im Mangelzustand entwickelt, es gab oft nicht genügend Nahrung. Daher versucht das Gehirn, den Energieverbrauch zu minimieren und Routinen einzuarbeiten. Und je mehr Routinen man hat, desto schwerer fällt es, sich auf neue Herausforderung einzustellen. Und je nach Alter der Arbeitnehmer wird es für sie in der digitalen Zukunft Anpassungsbedarf geben.

Sie sind promovierter Neurobiologe: Inwieweit hilft Ihnen diese Vorbildung beim Verständnis dieser gesellschaftlichen Prozesse?

Das hängt nicht nur mit meiner naturwissenschaftlichen Ausbildung zusammen. Ich versuche immer zu verstehen, was uns Menschen antreibt. Ich versuche, zu ergründen: denke nur ich so oder andere auch? Und ich bin überzeugt: Wir Menschen haben drei Grundbedürfnisse, egal ob man Deutscher ist, Chinese, Amerikaner, Großvater oder Kind.

Was sind diese Bedürfnisse?

Erstens: Man sucht irgendwann einen Partner, mit dem man sein Leben verbringen will. Zweitens möchte man einen Beitrag leisten - in irgendeiner Form. Unseren Zustellern zum Beispiel sage ich: Ihr leistet einen wichtigen Beitrag! Ohne Eure Leistung würden die Menschen ihre Sendungen nicht bekommen, Eure Arbeit ist für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft  ganz entscheidend. Gleiches gilt für Lagerarbeiter oder Sortierkräfte, ohne die es nicht geht. Nur wenn alle zusammenarbeiten, wird die Dienstleistung funktionieren. Und Drittens: Wir suchen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für uns und vor allem unsere Nachkommen. Das treibt uns an. Zu der Erkenntnis bin ich gekommen, weil ich viel darüber gelesen habe und mich auch mit Glücksforschung beschäftigt habe.

Auch Zuhören können. Frank Appel beim Gespräch im Verlagshaus des Tagesspiegels im Juni 2017.
Auch Zuhören können. Frank Appel beim Gespräch im Verlagshaus des Tagesspiegels im Juni 2017.

© Mike Wolff

Warum machen Sie sich darüber so viele Gedanken?

Ich möchte verstehen, was uns antreibt. Nur so kann man ein Unternehmen gut führen: Denn ein Unternehmen besteht ja aus Menschen. Wenn man deren Motivationen nicht versteht, kann man meiner Meinung nach auch nicht die richtigen Entscheidungen treffen.

Und wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter?

Die Menschen wollen einen Beitrag leisten und müssen wissen, worin dieser besteht. Bei uns geht es eben um mehr als nur Briefe oder Pakete zuzustellen. Wir leisten einen gesellschaftlichen Beitrag, indem wir mithelfen die Globalisierung zu organisieren. Den Briefzustellern, die in einzelnen Fällen seit 50 Jahren bei uns arbeiten, sage ich: Ihr habt die Demokratie ermöglicht! Nämlich in Zeiten als diese noch jung war in Deutschland und das Briefgeheimnis eine wichtige Stütze. Wer die Menschen kontrollieren will, kassiert zuerst das Briefgeheimnis oder beschränkt den Zugang zum Internet.

Wie geht man bei Ihnen im Unternehmen mit Stress um?

Stress hat natürlich oft konkrete Ursachen, ist aber oft auch eine Frage der Einstellung und findet quasi im eigenen Kopf statt. Es geht daher vor allem um die Frage: Wie geht man mit Stress um? Empfindet man auch kurzfristige Veränderungen als etwas Positives oder Negatives? Und das zweite: Wie führt man in Stress-Situationen?

Anmerkung: Der Arbeitgeber Deutsche Post unter Frank Appel ist dafür bekannt, dass er sich viele Gedanken über gute Führung macht. Darauf angesprochen, erklärt der Manager das Modell eines Mitarbeiterkonzeptes, das die Post bereits vor Jahren eingeführt hat. Es heißt „Head, Heart and Guts“ (Kopf, Herz und Bauch). Darunter gibt es klar definierte Dimensionen, die die personalverantwortlichen Mitarbeiter verinnerlichen sollten.

Ein wesentlicher Faktor ist Vertrauen. Sie müssen als Vorgesetzter über Vertrauen führen und ihren Mitarbeitern vertrauen. Das geht in beide Richtungen: Sobald Sie einen Vorgesetzten haben, dem Sie vertrauen und der Ihnen vertraut, wird schon sehr viel Stress vermieden. Es kommt in den Abteilungen meistens darauf an, wie der Chef führt. Sagt Ihr Chefredakteur: Ich lasse Sie jetzt alleine mit Herrn Appel. Sie werden schon was Vernünftiges aus dem Interview machen. Oder sagt er: Ich schaue mir vorher seine Fragen an und setze mich daneben?

Mein Chef scheint mir offenbar zu vertrauen.

Ja, er vertraut Ihnen, dass Sie aus diesem Gespräch das Beste machen und flexibel agieren, ohne seinen permanenten Ratschlag. Und sie werden seinem Vertrauen gerecht, indem sie nicht einfach nur ihre Frageliste abarbeiten, sondern sich spontan auf ein Interview über Fragen der Führung einlassen anstatt nur über Briefkästen und Porto mit mir zu sprechen. Auch wie Sie selbst Ihre Mitarbeiter als Ressortleiter führen: Kommen die Morgens und fragen sich zuerst, ob der Chef gut gelaunt ist? Das wäre dann für die Mitarbeiter wahrscheinlich Stress.

Darüber muss ich mal nachdenken.

Aus unserer Sicht gibt es bei der Führung von Mitarbeitern insgesamt sechs Dimensionen. Unter dem Schlagwort „Kopf“ muss man zwei Aspekte berücksichtigen. Der Erste: Ziele setzen und Resultate steuern. Das ist sehr offensichtlich und für jeden Betrieb überlebenswichtig. Der zweite: Man muss die Stärken der Organisation und der einzelnen Mitarbeiter einsetzen. Wo immer ich eine falsche Personalentscheidung getroffen habe, war immer mein Fehler, dass ich Menschen an Position gebracht habe, für die sie nicht qualifiziert waren. Das waren ausgezeichnete Leute, aber nicht für die Aufgabe, die da anstand. Nicht jeder kann alles machen. Nicht jeder Spitzenreporter wird ein guter Ressortleiter.

Das stimmt wohl.

Das ist ja auch nicht schlimm. Das muss man nur verstehen. Und dann muss man sagen: Du recherchierst weiter und schreibst tolle Geschichten. Aber Du solltest besser keine Leute führen, weil das nicht Deine Stärke ist. Das kann man zwar lernen, aber am Ende kann und will es eben nicht jeder.

Das war der „Kopf“. Was lehren Sie Ihre Führungskräfte unter dem Stichwort „Herz“?

Auch hier zwei Aspekte. Zum einen muss man den Menschen vermitteln, welchen Sinn ihre Tätigkeit hat. Bei uns im Unternehmen lautet diese Sinngebung: Wir verbinden Menschen und verbessern ihr Leben. Und das zweite Stichwort lautet auch hier: Vertrauen! Man darf die Menschen nicht im Regen stehen lassen. Sie werden von mir nie die Frage hören: Wer ist schuld? Sondern die Frage: Was haben wir gemeinsam falsch gemacht und wie können wir das korrigieren? Wer schuld ist, ist in der Regel völlig irrelevant. Es macht doch niemand absichtlich etwas falsch.

Frank Appel ist Chef von mehr als einer halben Million Mitarbeitern - in allen Ländern der Welt.
Frank Appel ist Chef von mehr als einer halben Million Mitarbeitern - in allen Ländern der Welt.

© Mike Wolff

Und was macht der „Bauch“?

Sie als Journalist müssen jeden Tag für Ihr Ressort entscheiden: Was ist relevant und interessant? Oder interessiert es meine Leser auf den ersten Blick gar nicht, ist aber relevant, weil es zum Beispiel für die Gesellschaft wichtig ist.

Stimmt.

Es ist sehr schwierig zu fokussieren. Ich kann mir eine Liste mit 100 Punkten aufschreiben und kann sie dennoch nie abarbeiten. Es kommen ja immer wieder neue Themen hinzu. Also muss ich jede Woche Prioritäten setzen. Nun bin ich Vorstandsvorsitzender, ich weiß, das ist ein Privileg, weil ich selbst entscheiden kann. Aber ich bin kein Getriebener. Ich mache das, von dem ich glaube, dass es gerade wichtig fürs Unternehmen ist. Und wenn das Wichtige leicht fällt, macht es auch noch viel Spaß.

Und das letzte Stichwort lautet…?

Positiv bleiben - auch in schwierigen Situationen. Wir hatten ja vor zwei Jahren einen 52-tägigen Streik. Und wir haben in unserem Forwarding-Geschäft in 2015 signifikante Abschreibungen für IT-Investitionen vornehmen müssen. In solchen Situationen muss man sich als Vorstandschef vor die Mannschaft stellen und sagen: Da müssen wir jetzt durch und das kriegen wir auch hin! Danach wird es auch wieder besser. Es erinnert mich manchmal an die Situation von Kindern, die sich an ihren Eltern orientieren. Haben Sie Kinder?

Ja.

Wenn Sie mit kleinen Kindern ins Ausland fahren und erleben eine schwierige Situation, dann spüren die Kinder sofort, wie sie damit umgehen. Und wenn Sie die Ruhe behalten, dann sind die auch ganz entspannt. So darf auch der Chef nicht sagen: Das schaffen wir nicht. Nein, er muss sagen: Leute, wir machen jetzt einen Plan.

Anmerkung: Das waren sechs Leitlinien für Führungskräfte der Deutschen Post, anhand derer sie auch beurteilt werden - übrigens auch alle Vorstände und der Post-Chef selbst, erklärt Appel. „Auch ich mache nicht alles entlang dieser Dimensionen, denn niemand ist perfekt“, räumt er ein. Er selbst habe bestimmte Stärken und brauche in seinem Team Leute, die komplementär zu ihm selbst seien. Man könne ja in der eigenen Firma beobachten: In einem guten Team gäbe es den „Bedenkenträger“ aber auch den mutigen Motivator. Man brauche beide Typen. Aber eigentlich war das Thema ja „Stress am Arbeitsplatz“. Frank Appel hat in einem früheren Interview mal gesagt, dass er wenig davon hält, sich im Büro die Nächte um die Ohren zu schlagen…

Wie vermeiden Sie Stress bei den Mitarbeitern?

Ich bombardiere meine Führungskräfte am Freitagnachmittag nicht mit E-Mails oder Anweisungen. Das kann meistens auch bis Montag warten und es führt nicht zur Krise, wenn bestimmte Dinge nicht unmittelbar am Wochenende erledigt werden.

Post-Chef Frank Appel in einem StreetScooter, einem Elektr-Lieferwagen, den der Konzern in einer eigenen Fabrikbei Aachen fertigt.
Post-Chef Frank Appel in einem StreetScooter, einem Elektr-Lieferwagen, den der Konzern in einer eigenen Fabrikbei Aachen fertigt.

© REUTERS/Wolfgang Rattay

Aber Menschen wollen auch in der Zukunft sichere Jobs

Unsere Aufgabe als Gesellschaft ist es, vernünftig bezahlte Jobs zu generieren. Bei Dienstleistung zeigen sich hier besondere Herausforderungen. Hier kann man nicht ohne Weiteres die Produktivität steigern. Eine Friseurin kann nur eine bestimmt Zahl Haarschnitte in einer Stunde schaffen, ein Paketzusteller nur eine gewisse Zahl Pakete. Digitalisierung wird hier auf die eine oder andere Weise helfen können.

Wie?

Indem sie die Mitarbeiter unterstützt und so Produktivitätsreserven hebt, die man dann auch verteilen kann. So experimentieren unsere Kollegen im Lager zum Beispiel mit Datenbrillen, die ihnen buchstäblich helfen, den Überblick zu behalten - und mehr Ware in kürzerer Zeit zu bewegen. In Versuchen messen wir Produktivitätssteigerungen von zehn bis 20 Prozent.

Und dann?

Kann man die verteilen: Fünf Prozent mehr für den Kunden, fünf für die Mitarbeiter und fünf für die Aktionäre. In der Automobilindustrie, wo Automatisierung früher Einzug gehalten hat, war die Mindestlohndebatte daher auch  kein Thema. Wenn man umverteilt, ohne die Produktivität zu steigern, dreht man die Spirale allerdings nach unten, nicht nach oben.

Aber auf dem Weg in diese Zukunft werden sich viele Menschen umstellen müssen?

Unseren Lkw-Fahrern sage ich zum Beispiel: die autonom fahrenden Lkw werden in den nächsten zehn oder 20 Jahren sicher nicht überall erlaubt werden, sondern zunächst nur auf Autobahnen - und vorerst weiter mit einem Fahrer.

Wenn sie heute 55 sind, und noch gut zehn Jahre fahren müssen, dann wird sie das kaum betreffen. Sie werden es noch erleben, den Lkw morgens selbst auf die Autobahn zu fahren, dann auf autonomes Fahren umzustellen, um das letzte Teilstück dann wieder selbst zu fahren. Die Arbeit dieser Menschen wird dadurch einfacher und die Wahrscheinlichkeit ihre Rente mit 67 zu erreichen steigt dadurch. Die Entwicklung betrifft aber die Jüngeren: Ein heute 20-jähriger Lkw-Fahrer sollte nicht davon ausgehen, dass er das bis zur Rente macht.

Das heißt, man sollte Menschen schon heute daran gewöhnen, dass sie sich gegebenenfalls mit anderen Berufen vertraut machen. Und das geht. Ich bin heute 55 und lerne auch langsamer dazu als meine Teenager-Kinder, aber ich lerne immer noch. Und wenn irgendwo doch Jobs wegfallen für die Älteren unter uns, dann müssen wir diese Menschen natürlich gesellschaftlich unterstützen. Das ist für uns heute mit Vollbeschäftigung natürlich leichter als vor zehn Jahren mit doppelt so vielen Arbeitslosen.

Das Interview führte Kevin P. Hoffmann

Lesen Sie hier ein Interview mit Appel aus dem Dezember 2014.

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