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Martin Wittig schlägt für Griechenland eine Treuhand vor, um das Staatsvermögen zu privatisieren.

© Th. Rückeis

Interview mit Martin Wittig: "Für Deutschland sind wir optimistisch"

Martin Wittig, Chef der Unternehmensberatung Roland Berger, spricht im Interview über wachsende Chancen in Europa, Asien Afrika - und Berlin.

Herr Wittig, wie geht es mit der deutschen Wirtschaft weiter nach dem vergangenen Staatsschuldenjahr?

Für Deutschland sind wir optimistisch: Drei Prozent Wachstum könnten auch 2012 möglich sein – vielleicht etwas weniger. Denn Europa, die wichtigste Exportregion für uns, erholt sich. Schauen Sie nach Italien: Was Ministerpräsident Monti dort anpackt, macht er richtig. Das ist spürbar. Alles in allem läuft das erste Quartal besser als gedacht: auch, weil die US-Wirtschaft anspringt. Und für China sind wir auch nicht so pessimistisch wie viele andere.

Warum?

Selbst wenn das Wachstum in China 2012 nur siebeneinhalb oder acht Prozent beträgt, steigert das Land seine Wirtschaftsleistung in absoluten Zahlen in etwa wie 2009/2010, als es um zwölf Prozent gewachsen ist. Die Basis ist einfach größer geworden. Davon profitiert auch die deutsche Exportwirtschaft. Dass die deutschen Automobilhersteller etwas weniger in China verkaufen, ist nach der rasanten Entwicklung jedenfalls kein Grund, das Land abzuschreiben. Dieser Markt bleibt ein Wachstumsmotor der Welt.

Bleiben Sie für 2013 auch so optimistisch?

Für das kommende Jahr traue ich mir – wie viele andere – keine Prognose zu.

Weil Sie fürchten, dass uns die Schuldenkrise noch einmal einholt?

Ich glaube, dass die Entwicklungen in den USA und in Asien wichtiger sind. Die Einflüsse sind aber so komplex, dass mir mittelfristige Prognosen zweifelhaft erscheinen. In punkto Europa hat die Schuldenkrise unsere Wahrnehmung verzerrt: Polen zum Beispiel ist für Deutschland wirtschaftlich gleich bedeutsam wie etwa Spanien.

Sie hatten zur Entschuldung Griechenlands ein Treuhand-Modell vorgeschlagen. Das hat wenig Anklang gefunden, warum?

Die Resonanz in der europäischen Politik war durchaus positiv. Aber Griechenland selbst konnte sich nicht zu diesem Schritt entschließen. Unser Modell zielt grob gesagt darauf ab, das griechische Staatsvermögen in einer Holding zu bündeln, die Objekte zu sanieren und sie dann ohne Zeitdruck an bevorzugt griechische Investoren zu veräußern. So bringt man das Volksvermögen zum Arbeiten und ermöglicht Wachstum. Das Land könnte sich sofort signifikant entschulden, gleichzeitig würde investiert. Denn zu Tode sparen hilft ja nicht. Zumal man in Griechenland selektiv vorgehen und dort investieren könnte, wo Privatisierung sinnvoll ist: Immobilien, Staatsunternehmen, Häfen, Mobilfunklizenzen und ähnliches.

Blaupausen für Portugal, Nigeria und Öl

Könnte Ihr Modell eine Blaupause für Portugal sein?

Dort gibt es leider nicht so viel zu privatisieren. Anders als in Italien, wo der Staat noch zahlreiche Beteiligungen an profitablen Unternehmen hält. Aber Herr Monti versteht sich offensichtlich eher als Notarzt auf Zeit. Langfristige Weichenstellungen sollen seine Nachfolger vornehmen.

Sie haben unsere wichtigsten Handelspartner erwähnt: Europa, USA, Asien. Gibt es andere, dynamischere Wachstumstreiber der nächsten Jahre – zum Beispiel Afrika?

Eine ganze Reihe afrikanischer Länder gehört sicher dazu, vor allem Nigeria, das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich bedeutsamste Land der Subsahara. Aber auch südostasiatische Nationen wie Indonesien, das am stärksten prosperierende Land in der Region. Diese Region mit 600 Millionen Menschen wird häufig übersehen, weil alle nur von China reden. Ich glaube zum Beispiel, dass Myanmar nach der politischen Öffnung ein sehr wichtiger Markt wird – von der Einwohnerzahl her größer als Frankreich und viel größer als Vietnam. Sie müssen heute schon Hotelzimmer sechs Monate im voraus bestellen, weil dort so viele potenzielle Investoren aus Frankreich, Großbritannien und Südamerika unterwegs sind.

Wenn Sie Nigeria sagen, meinen Sie doch Öl?

Es ist ein Fehler, bei Afrika nur an Rohstoffe zu denken. Nigeria zum Beispiel hat einen sehr großen, allerdings noch sehr zersplitterten Agrarsektor. Brasilien zeigt, was eine Nation erreichen kann, wenn sie ihre Landwirtschaft professionell entwickelt. Nicht zufällig sind zunehmend brasilianische Investoren in Afrika im Agrarsektor aktiv.

Landwirtschaft als Zukunftsinvestition? Ist mehr in Afrika nicht möglich?

Doch, sicher. Der Banken- und Finanzsektor in der Region Subsahara wird nach unserer Einschätzung in den kommenden Jahren am dynamischsten wachsen, bis 2020 um rund 15 Prozent pro Jahr, wenn auch auf noch niedrigem Niveau. Plausibel wird das, wenn man bedenkt, dass je nach Land bis zu 80 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zum Bankensystem hat. Insgesamt betrifft das rund eine Milliarde Menschen.

Für die Banken erst ein Filialnetz aufbauen müssten?

Die Finanzwirtschaft arbeitet daran, über Mobilfunknetze ein System aufzubauen, das Nutzern wie Banken dient. Man braucht also kein dichtes Filialnetz, sondern schickt Bankmitarbeiter mit mobilen Zahlgeräten aufs Land. Ein Staat wie Nigeria könnte so 60 Milliarden Dollar pro Jahr an Bankeinlagen einsammeln - und damit zum Beispiel Infrastrukturprojekte finanzieren.

Der afrikanische Rohstoffsektor und Produktionspreise in China

Kommen deutsche Firmen da besser ins Geschäft? Im afrikanischen Rohstoffsektor, so scheint es, haben die Chinesen ihre Claims schon abgesteckt.

Das ist ein verbreiteter Trugschluss. Was glauben Sie, wie viele von den weltweit größten Vorhaben zur Erschließung von Rohstoffen in chinesischen Händen liegen? Außerhalb Chinas kaum zehn Prozent. Den Markt dominieren weiterhin die großen Ölgesellschaften und Rohstoffkonzerne. Chinesische Firmen wickeln solche Projekte zwar häufig ab, deshalb sieht man viele chinesische Arbeiter in Afrika. Sie besitzen die Rohstoffquellen aber nur selten. Die These, dass China die größten Direktinvestitionen auf dem Kontinent tätigt, ist meines Erachtens nicht belastbar.

Wird Afrika erst prosperieren, wenn dort Produktion stattfindet – vielleicht auch, weil sie in China zu teuer geworden ist?

In Teilen Nordafrikas und in Südafrika ist das zu beobachten. Aber bis auch in Subsahara-Afrika Produktion in größerem Stil stattfindet, wird noch einige Zeit vergehen. Die Infrastruktur etwa für Energieversorgung und Transport ist oft noch unzureichend. Nach den Rohstoffmärkten und dem Agrarsektor dürfte sich erst der Bereich für erneuerbare Energien entwickeln. Dann der Konsumsektor, der viel größer ist, als die meisten denken. Erst danach kann – in den Städten oder an den Küsten – eine produzierende Industrie entstehen. Aber das ist noch relativ weit weg.

Dabei fängt Afrika 14 Kilometer hinter der Grenze Europas schon an…

Nun ja, in Gibraltar vielleicht. Aber Sie haben recht, Afrika ist uns näher, als wir meinen, jedenfalls geografisch. Lagos liegt von Südafrika genauso weit entfernt wie von Frankfurt: 3000 Meilen. Die Afrikaner betrachten Deutschland in vieler Hinsicht als Vorbild. Die Marke Deutschland genießt dort einen exzellenten Ruf.

Machen die deutschen Unternehmen genug daraus?

Sie fangen wieder damit an. Ende der 1980-er Jahre haben sich viele deutsche Konzerne aus Schwarzafrika zurück gezogen. Inzwischen kehren einige wieder zurück, BASF zum Beispiel. Einige Mittelständler betätigen sich als Lieferanten, etwa als Maschinenbauer im Konsumgüterbereich. Große Investoren schätzen die Leistung und Zuverlässigkeit deutscher Zulieferer und Dienstleister. Die ist ihnen oft wichtiger als eine 20-prozentige Kostenersparnis bei einem chinesischen Anbieter.

Korruption und Expansionsbestrebungen nach Afrika

Welche Rolle spielt Korruption?

Es ist wie überall: bestimmte Branchen sind anfälliger für Korruption als andere. Wer mit Beton arbeitet und "nahe am Boden", ist davon meist eher betroffen. Je höher ein Produkt oder eine Dienstleistung in der Wertschöpfungskette rangieren, siehe Strategieberatung, desto seltener wird das ein Thema. Das gilt auch in Afrika, übrigens durchaus auch im Vergleich zu China und dem Mittleren Osten. Industriekonzerne, die nach internationalen Compliance-Regeln arbeiten müssen, tun sich dagegen oft schwerer.

Ist es für einen Mittelständler einfacher, nach China zu gehen oder nach Afrika?

Viele haben inzwischen Erfahrungen in China gesammelt. Das politische System ist in der Regel kalkulierbar, wenn auch gelegentlich wenig freundlich. In Afrika wechseln die Systeme hingegen oft schnell und es gibt vielerorts noch wenig Rechtssicherheit.

Das sind keine Rahmenbedingungen, in denen sich deutsche Mittelständler besonders wohlfühlen.

Tatsächlich kommen südamerikanische oder italienische Familienunternehmen in Afrika oft leichter zurecht, weil sie es gewohnt sind, zu improvisieren und größere Risiken einzugehen. Aber auch kleinere deutsche Firmen riskieren den Markteintritt – und haben Erfolg damit. Nicht umsonst sind einige so zu Weltmarktführern geworden.

Und die Berater?

In den vergangenen Jahren hat sich mit jedem neuen Projekt in Afrika unser Umsatzvolumen quasi verdoppelt. Wie stabil der Trend langfristig ist, testen wir noch. Manches überrascht uns positiv. Wir hatten in Afrika zum Beispiel bislang keine Zahlungsausfälle.

Setzt Roland Berger bei seiner Auslandsexpansion verstärkt auf Afrika?

Nein. In China und im übrigen Asien werden wir viel dynamischer wachsen. In China sind wir größenmäßig die Nummer zwei, bei der Beratung chinesischer Firmen die Nummer eins. Unser Büro dort ist nach Frankreich unser zweitgrößter Auslandsstandort, der Umsatz wird sich in den nächsten drei Jahren mindestens verdoppeln. In ein paar Jahren werden wir in China größer sein als in Deutschland. Das ist eine andere Dimension.

Berlin und die Energiewende

Ein Sprung von China nach Berlin: Manche sagen, in der Stadt entstehe einmal ein neues Facebook. Glauben Sie auch daran?

Wir können es uns nicht so richtig vorstellen, oder? Die Erfahrung sagt, dass alle großen Internet-Innovationen aus Kalifornien kommen. Aber vielleicht kommen sie künftig ja aus China. Oder aus Berlin. Hier gibt es eine Gründerkultur, ein Klima, das es im Silicon Valley nicht mehr gibt: günstige Lebenshaltungskosten, intelligente Leute, die direkt von den Hochschulen kommen, ein anregender kultureller Rahmen. Es klingt gewagt, aber ich kann mir gut vorstellen, dass sich in Berlin wieder etwas großes entwickelt. Immerhin ist hier ein Global Player wie Siemens entstanden.

Das ist lange her…

Ja, aber wir sollten das trotzdem nicht zu weit weg schieben. Berlin zieht kreative, junge Leute an. Hier lebt und arbeitet man gerne. Die Lebensbedingungen sind ähnlich angenehm wie in Kalifornien...

Mal abgesehen von der Sonne…

Sicher, trotzdem zieht es auch mich immer wieder hierher. Ich habe neun Jahre in Berlin gelebt. Selbst wenn man nur ein paar Wochen weg ist, hat sich viel verändert: neue Restaurants, neue Ausstellungen, Theater… das lässt sich nur mit London vergleichen.

Sie sind ausgebildeter Bergbauingenieur. Lernt man unter Tage etwas für den Beraterberuf?

Man lernt vor allem Respekt vor Menschen, die mit körperlicher Anstrengung ihren Lebensunterhalt verdienen. Und sehr viel darüber, wie geschlossene hierarchische Strukturen in Unternehmen funktionieren – mit allen Vor- und Nachteilen. Ähnlich ausgeprägte Hierarchien habe ich später in großen Konzernen wiedergefunden.

Vor einem Jahr explodierte in Fukushima ein Atomkraftwerk. Sie haben die anschließende Energiewende in Deutschland als falsch bezeichnet. Bleiben Sie bei Ihrem Urteil?

Art und Weise und Tempo der Energiewende waren falsch. Sie bedeutet keinen Sicherheitsgewinn für die Bevölkerung, weil wir den Atomstrom jetzt aus den Nachbarländern beziehen, und das Problem der Endlagerung bleibt. Außerdem schaffen wir einen Standortnachteil, der nicht sein müsste. Energieintensive Branchen – Chemie, Stahl, Aluminium – ziehen ab. Viele können ihre sehr effizienten Standorte bei der absehbaren Energiepreisentwicklung nicht in Deutschland halten.

An anderer Stelle gewinnt Deutschland aber womöglich – zum Beispiel bei erneuerbaren Energien, beim Netzausbau.

Ich glaube ja an die deutsche Ingenieurskunst, auch unter Druck. Aber zugleich wachsen in der Bevölkerung die Widerstände gegen große Infrastrukturprojekte, gegen den Leitungsausbau. Hinter der politischen Entscheidung der Energiewende stehen noch große gesellschaftliche Fragezeichen.

Das Gespräch führten Moritz Döbler und Henrik Mortsiefer

Zur Person: Martin Wittig, Chef der Unternehmensberatung Roland Berger

Am Dienstag zeichnet Martin Wittig in Berlin mehrere deutsche Unternehmen für ihr nachhaltiges Engagement in Afrika aus („Best of European Business“). Seine Karriere bei der führenden deutschen Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants begann 1995 auf einem Flug von Brasilien nach Frankfurt am Main. Wittig saß zufällig neben dem Gründer Roland Berger, der ihn anheuerte. Zunächst baute Wittig das Geschäft in der Schweiz aus, wurde 2002 globaler Finanzvorstand und 2010 Vorstandschef (CEO). Er hat Bergbau und Betriebswirtschaft studiert und an der TU Berlin promoviert. Mit seiner Frau und zwei Söhnen lebt der 48-Jährige im Kanton Zürich.

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