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Interview: "Statt ins Kino gehen Kunden shoppen“

Michael Lerchenmüller lehrt Handelsbetriebslehre und berät Unternehmen. Mit dem Tagesspiegel sprach er über die Krise der Kaufhäuser.

Herr Lerchenmüller, Hertie ist pleite, Woolworth ist pleite, Karstadt kämpft – was ist bloß mit den Kaufhäusern los?



Sie passen nicht mehr zum modernen, hybriden Verbraucher.

Was ist denn das?

Ein Verbraucher, der auf der einen Seite teure Artikel kauft, die ihm gute Gefühle bescheren und Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls sind, der gleichzeitig aber überhaupt kein Problem damit hat, Grundbedürfnisse im Discounter zu befriedigen. Für die Mitte, also Warenhäuser, bleibt da wenig übrig.

Warenhäuser könnten doch einfach in einer Ecke teure Handtaschen verkaufen und in der anderen billige Butter und Milch. Wo ist das Problem?

Es hat solche Versuche sogar gegeben, aber die sind grandios gescheitert. Der Kunde will nicht in einem Haus oder sogar auf einer Fläche mit all seinen Widersprüchlichkeiten konfrontiert werden. Außerdem sind Kaufhäuser auf den Massenumsatz angewiesen. Der Spagat zwischen beiden Extremen klappt nicht. Sie haben auch gar nicht genug Platz, um mit der permanenten Sortimentserweiterung, die die Industrie verlangt, mitzuhalten. Da sie meistens in Innenstädten sind, können sie ihre Fläche nicht einfach erweitern. Wenn Shoppingcenter dann noch einheitliche Spätöffnungszeiten und viele Parkplätze bieten, haben Warenhäuser erst recht keine Chance.

Kann es sein, dass auch Städte und Kommunen Karstadt & Co das Geschäft verdorben habe, weil sie wie wahnsinnig neue Shoppingcenter genehmigt haben?

Es gibt einen großen, kommunalen Egoismus. Keine Kommune möchte Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen dem Nachbarn überlassen. Darum waren die Kommunen von den Einzelhändlern sehr gut erpressbar und haben auf Teufel komm raus Flächen erschlossen und Shoppingcenter genehmigt. Darunter leiden heute alle. Wir haben viel zu viel Verkaufsfläche, deutschlandweit sind es rund 120 Millionen Quadratmeter. Die Fläche ist in den letzten Jahrzehnten um 50 Prozent mehr gewachsen als der Umsatz. Das große Angebot hat dazu geführt, dass Kunden selektiver einkaufen.

Könnte es sein, dass die Auswahl auch dadurch erleichtert wird, dass viele Warenhäuser jahrelang nicht saniert wurden und deshalb ziemlich alt aussehen?

Viele Kunden sehen im Einkaufen inzwischen eine alternative Freizeitbeschäftigung. Statt ins Kino oder Theater gehen sie shoppen. Das macht aber nur Spaß, wenn die Händler ihnen Erlebniswelten bieten – wie eine Zeltlandschaft, in der die Kunden auch Probe liegen können.

Haben Warenhäuser noch eine Chance?

Sie werden sich schon wieder berappeln. Aber wahrscheinlich werden nur zwei große Unternehmen überleben.

Michael Lerchenmüller lehrt Handelsbetriebslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen und berät Unternehmen. Das Gespräch führte Maren Peters.

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