zum Hauptinhalt
Standortfrage. Das Berliner Werk kann wachsen, sagt Werner Barth.

© Kitty Kleist-Heinrich

Interview: „Eine sichere Zigarette gibt es nicht“

Werner Barth, Deutschland-Chef von Philip Morris, über Geschmacksfragen, Wachstum im schrumpfenden Markt und das Rauchen der Zukunft.

Zu Beginn des Gesprächs bittet der Redakteur Herrn Barth zu einem Blindtest. Er bietet ihm im Hof des Tagesspiegel-Verlagshauses drei Zigaretten an, bei denen Filter und Logos mit Papierstreifen überklebt sind. Zwei stammen aus deutschen Fabriken seiner Firma. Eine aber, erklärt er ihm, stammt von einem Straßenhändler – ist also wohl in einer illegalen Fabrik im Ausland hergestellt und illegal importiert worden. Spontan willigt Barth ein, gibt aber zu Protokoll, dass verklebte Filter den Geschmack manipulieren können.

Danke fürs Mitmachen, Herr Barth.

Gern geschehen. Ich bewege mich hier aber auf ganz dünnem Eis (er lacht, zieht, zögert). Die hier schmeckt recht mild, aber unspezifisch. Kann ich die nächste probieren?

Bitte schön.

Die schmeckt kräftiger, würzig (zieht erneut). Das ist nicht leicht. Die könnte von uns sein, bin mir aber wirklich nicht sicher.

Nun die dritte?

Hier bin ich mir recht sicher, dass die von uns ist. Und? Hab ich bestanden?

Nur für die letzte gibt es einen vollen Punkt: Das war tatsächlich die Marke F6 aus Ihrem Hause. Die erste Zigarette war eine der in Deutschland legal nicht erhältlichen Marke Goal. Die zweite war eine Marlboro Red …

… die in Deutschland am meisten verkaufte Zigarette – die ich selbst meist rauche. So kann man sich täuschen.

Woran liegt’s? Sind Zigaretten alle gleich gut oder schlecht, egal wer sie produziert?

Nein, da gibt es große Unterschiede. Zunächst spielt beim Geschmack die Psychologie eine Rolle, wie ich ja hier bewiesen habe. Die Situation, in der man raucht, hat großen Einfluss. Außerdem raucht man ja nicht, wie hier im Test, schnell hintereinander verschiedene Marken durcheinander. Aber unabhängig vom Geschmack gibt es Faktoren, die bei der Kaufentscheidung eine Rolle spielen.

Welche denn noch?

Die Produktionsstandards, unter denen die Zigarette hergestellt wurde, zum Beispiel: Wir produzieren nach hohen Qualitäts- und Hygienestandards, beschäftigen hier Menschen und zahlen hier Steuern. Die Vermarktungsstandards sind mindestens genauso wichtig. Sie kaufen ja in erster Linie eine Marke. Die transportiert mehr als nur den reinen Geschmack. Sie transportiert Qualität und Profil.

Jetzt übertreiben Sie aber.

Nein, wir halten das für extrem wichtig und weisen daher alle Bestrebungen der EU-Kommission zurück, Marken im Prinzip zu verbieten. Nichts anderes ist es ja, was derzeit unter dem Stichwort „Plain Packaging“ diskutiert wird.

Die einheitlich gestaltete Schachtel: Wo ist das Problem? Das Produkt darin bliebe doch das gleiche.

Was möchte die Politik denn erreichen? Wenn es ihr Ziel ist, das Rauchen zu reduzieren – gut. Aber ist die neutrale Schachtel das richtige Instrument? Nein. Die Methode ist bestenfalls nutzlos. Es gibt keinerlei wissenschaftlichen Beweis, dass die Einheitsverpackung das Rauchen eindämmen würde. Es wäre aber ein dramatischer Eingriff in unsere Markenrechte.

Dieses Lebensgefühl, wie Sie es nennen, kaufen viele beim Straßenhändler.

Der illegale Zigarettenhandel schädigt Staaten, Konsumenten und Hersteller. Wer illegale Zigaretten kauft, kann nie wissen, von wem, wo und unter welchen Bedingungen die Zigaretten produziert worden sind. Britische Zollbehörden haben bei einer Untersuchung alle möglichen Fremdstoffe in gefälschten Zigaretten gefunden – von Rattenkot bis hin zu Plastikteilen sowie Blei und Arsen in hohen Konzentrationen.

Auch in legalen Zigaretten stecken Giftstoffe. Einige Raucher kaufen daher Tabak ohne Zusatzstoffe. Was taugt der?

Der Weltmarkt teilt sich historisch bedingt in zwei Teile. Der deutsche Markt gehört zu dem, in dem ganz überwiegend American-Blend-Tabakmischungen mit spezifischen Zusatzstoffen verarbeitet werden. Auf der anderen Seite gibt es Virginia-Märkte wie etwa Großbritannien, wo Virginia-Tabake, die ohne Zusatzstoffe auskommen, verarbeitet werden.

Also leben britische Raucher länger?

Nein. Man kann beide Märkte ja gut vergleichen: Sowohl beim Anteil der Raucher an der Gesamtbevölkerung als auch bei der Häufigkeit von Krankheiten, die verursacht werden, gibt es keine signifikanten Unterschiede. Der springende Punkt ist, dass Rauchen schwere Krankheiten verursacht, ganz gleich ob Zusatzstoffe verwendet werden oder nicht.

Gibt es eine gesunde Art, zu rauchen?

Ich habe 15 Jahre lang zehn bis 20 Zigaretten am Tag zu Schachtelpreisen von fünf Mark bis fünf Euro geraucht. Macht grob überschlagen 1000 Euro im Jahr, also 15.000 seither. Wo ist mein Geld hin?

Drei Viertel der Summe geht an den Staat als Tabak- und Mehrwertsteuer. Das restliche Viertel teilen sich die Industrie und der Handel auf mehreren Stufen. Davon werden Arbeitnehmer beschäftigt, Investitionen getätigt und vieles mehr.

Wie viel von Ihrem Teil geben Sie für Marketing aus?

Das kann man pauschal nicht sagen. Aus Wettbewerbsgründen kann ich dazu aber auch leider keine Angaben machen.

4,50 bis 5 Euro kostet eine Schachtel heute. Wo ist die Schmerzgrenze?

Es gibt keine belastbaren Erkenntnisse darüber, wo der Punkt sein könnte, dass Leute massenhaft das Rauchen aufgeben. Mir wäre kein Fall bekannt, wo ein Staat Tabak so teuer gemacht hat, dass fast niemand mehr raucht. Im Zweifel bedienen sich die Raucher anderer, billigerer Quellen. Bundesweit ist jede fünfte Zigarette nicht hierzulande versteuert worden. In Berlin ist es sogar fast jede zweite.

Wie machen sich die steigenden Endkundenpreise bei Ihnen bemerkbar?

Das Niedrigpreissegment ist in den vergangenen Jahren gewachsen, auch wächst der Anteil der Konsumenten, die ihre Zigaretten selbst rollen oder stopfen. Auch geht die Zahl der Raucher insgesamt zurück. Wir bewegen uns in einem stark regulierten Markt, was mein Haus befürwortet – jedenfalls für dieses Produkt, das abhängig macht und schädlich ist. Die Regulierung folgt dem gesundheitspolitischen Ziel, dass weniger Menschen rauchen. Das unterstützen wir.

Klingt paradox. Sie bekämpfen Ihren eigenen Markt. Wie wollen Sie da wachsen?

Weltweit betrachtet hat Philip Morris rund 16 Prozent Marktanteil, hierzulande sind es 36 Prozent, zwei Drittel kontrollieren die Wettbewerber. Da haben wir also immer noch Raum für Wachstum. Auch gibt es Länder, in denen wir nicht so stark vertreten sind wie hier.

Ist eine technische Innovation denkbar, dank der Rauchen weniger schädlich wird und wieder mehr Menschen rauchen?

Für den klassischen Zigarettenmarkt gibt es wenige Gründe zu glauben, dass der wieder wachsen könnte. So etwas wie eine sichere Zigarette gibt es derzeit nicht. Wir tun jedoch unser Möglichstes, um neue Produkte zu entwickeln, die vielleicht weniger schädlich sind.

Wie sollen die aussehen? Etwa Röhrchen, in denen Öle verdampfen?

So einfach ist es vermutlich nicht, wie man auch an der kontroversen Diskussion um die E-Zigarette sehen kann. Letztendlich geht es darum, konventionelle Produkte zu verändern, beziehungsweise neue zu entwickeln, die das Risiko senken. Forscher und Entwickler haben da viel Fantasie, aber wir müssen auch sauber und lückenlos beweisen, dass so ein Produkt tatsächlich risikoreduziert ist.

Philip Morris wird doch nicht etwa zum Gesundheitsunternehmen?

Zumindest was die Methodik und Intensität in der Produktentwicklung angeht, ist unsere Arbeit durchaus mit der in der Pharmabranche vergleichbar. Anders als dort fehlt es bei uns aber an klaren Regeln, welche Standards zum Beispiel bei Messungen anzuwenden sind und was man über so ein neuartiges Produkt sagen darf. Deshalb ist eine Regulierung für solche Produkte wichtig. Nicht ohne Grund beschäftigt manche E-Zigarette derzeit ja auch die Gerichte.

Welche Zukunft hat die Fabrik in Neukölln?

Weniger Raucher, kaum Alternativen in Sicht: Welche Zukunft hat da Ihre große Fabrik in Berlin-Neukölln?

Es gibt keinen Grund, dieses Werk infrage zu stellen. Philip Morris hat die Fabrik fast auf den Tag genau vor 40 Jahren eröffnet, sie ist heute mit 1400 Mitarbeitern unsere größte in Deutschland und die zweitgrößte in Europa. Das Berliner Werk hat 2011 eines seiner besten Jahre in der Geschichte gehabt, was Produktionsmengen betrifft. 60 Prozent gehen in den Export. Berlin ist eines von zwei Werken, das sogar nach Japan exportiert.

Was ist so besonders an Japan?

Das ist ein sehr diffiziler und anspruchsvoller Markt, insbesondere was Verpackungsqualität betrifft. Ein Karton, den ein deutscher Händler aufreißt und in die Ecke wirft, wird in Japan genau begutachtet. Hat der einen Kratzer, geht er ungeöffnet zurück. Für die arabischen Staaten produzieren wir Schachteln, die die Ware auch in der Hitze frisch halten. Hier ist deutsche Ingenieurskunst gefragt, die liefert Berlin in viele Regionen der Welt.

Vor 40 Jahren lag Neukölln in West-Berlin. Heute könnten Sie Ihr Werk ein paar Kilometer weiter nach Brandenburg verlegen mit niedrigen Steuerhebesätzen.

Das ist kein Thema. Es ist ein etabliertes Werk, wir haben über die 40 Jahre umgerechnet etwa eine Milliarde Euro investiert. Das ist eine gewaltige Summe. Wir modernisieren aber auch permanent: Neue Anlagen und Maßnahmen, den Energieverbrauch und damit den CO2-Ausstoß zu reduzieren – in acht Jahren wollen wir 30 Prozent weniger Klimagase als im Jahr 2010 verursachen.

Sie engagieren sich im Kiez, fördern Initiativen gegen häusliche Gewalt, Integrationskurse. Aber warum kein Krebsforschungszentrum oder Anti-Rauch-Training?

Es ist gute amerikanische Tradition, dass man an den Standorten, an denen man produziert, einen Teil des Gewinns der Gesellschaft vor Ort zurückgibt. Wir haben global Themenbereiche definiert, in denen wir uns engagieren wollen. Unsere Schwerpunkte in Deutschland liegen bei Projekten gegen häusliche Gewalt, für Integration und Bildung.

Zudem unterstützen Sie die Zollbehörden.

Ja, weil wir da mit dem Staat ein gemeinsames Interesse haben. Dem Finanzamt entgehen jährlich über vier Milliarden an Steuereinnahmen und uns Umsätze. Wir helfen, wo wir können – zum Beispiel, indem wir Zigaretten daraufhin untersuchen, ob sie gefälscht sind oder nicht.

Bei unserem Test vorhin hat das nicht so gut geklappt.

Stimmt. Aber im Labor können unsere Leute bei unseren Produkten anhand kleinster Sicherheitsmerkmale sehr zuverlässig feststellen, wo sie hergestellt und in den Markt gebracht worden sind. Die Kollegen täuschen sich nie.

DER MANAGER

Der Diplom-Kaufmann Werner Barth (47), geboren im oberbayerischen Altötting, kam im Jahr 1990 zu Philip Morris nach München. 2002 wurde er Marketingdirektor für Spanien, 2004 Verkaufschef für Deutschland und Österreich. Ab 2007 verantwortete er das gesamte Geschäft in den Benelux-Ländern. 2011 wurde er zum Geschäftsführer der Philip Morris GmbH berufen. Barth ist verheiratet und hat drei Kinder.

DER KONZERN

Philip Morris wurde 1874 in London gegründet und ist heute einer der größten Tabakkonzerne der Welt. Allein in der Europäischen Union erlöste er 2011 knapp 29,8 Milliarden Dollar. Der Hauptsitz ist in New York, das operative Geschäft wird im schweizerischen Lausanne geleitet. Die deutsche Tochter hat Standorte in München, Berlin und Dresden.

Zur Startseite