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Faber

© Wolff

Interview: "Wir alle leiden unter dem Hunger der Ärmsten"

Allianz-Vorstand Joachim Faber über Investitionen der Zukunft, die Verantwortung der Finanzbranche und den G-8-Gipfel.

Herr Faber, am Montag beginnt der G-8- Gipfel in Japan. Tun die mächtigsten Industrienationen genug für den Klimaschutz?

Die G 8 haben im vergangenen Jahr in Heiligendamm zu einer vernünftigen Linie gefunden. Aber wir nähern uns dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls Ende 2012 und haben immer noch keine verbindlich festgelegten Klimaziele innerhalb der G 8. Die EU ist vorangegangen, aber die G 8 sind nicht gefolgt. Das ist enttäuschend.

Warum interessiert die Allianz dieses Thema überhaupt so sehr?

Zum einen sehen wir uns als ein Unternehmen, das auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft hat. Zum anderen erleben wir aber als großer Versicherer, wie der Klimawandel bereits heute in unser Geschäft eingreift. Etwa 40 Prozent aller Sachschäden in unserem globalen Industrieversicherungsgeschäft sind Katastrophenschäden – Tendenz steigend. Und zum Dritten sind wir natürlich auch als großer Investor permanent auf der Suche nach neuen Chancen. Der Klimawandel lässt ganz neue Technologien, Unternehmen und Branchen entstehen.

Sie wollen die Kapitalmärkte stärker für den Klimaschutz nutzen. Wie soll das konkret aussehen?

Es gibt ein großes Interesse von Wagniskapitalfonds an der Finanzierung neuer Technologien. Zudem streben immer mehr Unternehmen an die Börse, vor allem aus der Solarindustrie. Und sie haben Erfolg. Wir haben einen speziellen Investmentfonds für erneuerbare Energien und saubere Technologien – den Allianz-dit EcoTrends –, der in den vergangenen zwei Jahren deutlich besser als der globale Aktienmarkt abgeschnitten hat. Die Investoren haben ein riesiges Interesse an dem Thema.

Ist der Boom der Solaraktien nicht langsam vorbei?

Der Boom ist noch lange nicht vorbei, weil die technologische Entwicklung der Wind- und Solarenergie längst nicht abgeschlossen ist. Zudem wird die regionale Verbreitung noch deutlich zunehmen. In Afrika gibt es zum Beispiel immer mehr Nachfrage nach diesen Technologien.

Die G 8 wollen auch über die hohen Nahrungsmittelpreise in der Welt sprechen. Ein Vorwurf lautet, Investoren trieben die Preise in die Höhe. Steht die Finanzindustrie in der Verantwortung?

Ja, da haben wir eine Verantwortung. Gerade in den hochsensiblen Bereichen, die Lebensmittel betreffen, muss neu nachgedacht werden. Biomasse kann nicht die richtige Lösung bei den erneuerbaren Energien sein, wenn dadurch plötzlich der Preis für einen Fladen Maisbrot mit dem von einem Fass Öl zusammenhängt. Es ist äußerst bedenklich, wenn Teile der Bevölkerung in Afrika, Asien oder Lateinamerika Hunger leiden müssen, weil spekulative Gelder oder unzureichend durchdachte Energiekonzepte die Preise nach oben treiben.

Der Investor George Soros fordert, Pensionsfonds den Handel mit Rohstoffen zu verbieten. Wäre das eine Lösung?

Man sollte nicht alle Rohstoffe über einen Kamm scheren und den Investoren auch nicht wichtige Anlagemöglichkeiten aus der Hand nehmen. Gerade die Investitionen in physische Rohstoffe und Unternehmen, deren Erfolg von Rohstoffen abhängt, müssen weiter möglich bleiben. Denn durch diese Investitionen wird das Angebot langfristig ausgeweitet. Aber bei reinen Termingeschäften ohne realen Bezug zum Rohstoff kann man über regulative Begrenzungen nachdenken. Allerdings erfordert das auch, dass alle Länder und Finanzplätze mitziehen. Wenn die ärmste Schicht unserer Welt in lebensbedrohende Situationen gerät, leiden wir alle darunter. Das ist nicht nur aus humanistischer Sicht ein Problem, sondern auch mit Blick auf die Migration. Das müssen wir als Weltgemeinschaft in den Griff bekommen.

Sie hören sich an wie ein Politiker, nicht wie ein Investor. Welche Interessen hat denn die Allianz bei diesem Thema?

Wenn wir abzuwägen haben, ob wir im Rohstoffbereich das letzte Zehntelprozent Rendite rausholen oder unserer gesellschaftspolitischen Verantwortung gerecht werden, entscheiden wir uns sicher für Letzteres.

Im vergangenen Jahr in Heiligendamm wurde fehlende Transparenz auf den Finanzmärkten beklagt. Heute scheint das Thema in den Hintergrund gerückt zu sein. Ist die Finanzkrise schon abgehakt?

Die Finanzkrise ist keineswegs ausgestanden, und ich hoffe sehr, dass sie auch in den Köpfen der G-8-Vertreter noch nicht abgehakt ist. Hinter verschlossenen Türen wird derzeit hektisch an Konzepten gearbeitet. Ich kann mir vorstellen, dass wir zu Maßnahmen kommen, die die Transparenz an den Kapitalmärkten erhöhen werden. Aber ich bin skeptisch, ob wir international zu einheitlichen und verbindlichen Regeln kommen.

Was muss geändert werden?

Überspitzt formuliert muss man fragen, ob eine Bank mehr als die Hälfte ihres Gewinnes aus Hedgefonds-Aktivitäten erzielen darf oder ob sie nicht lieber Instrumente im Sinne der Kunden anbieten und diese auch wieder mehr in den eigenen Büchern führen sollte. Es haben sich außerhalb der Bilanzen riesige Risikopositionen aufgebaut, die das Vertrauen in die Banken geschwächt haben und unter denen letztlich auch die Realwirtschaft leiden wird.

Erwarten Sie auch negative Effekte für die Wirtschaft in Deutschland?

Nicht in dem Maße wie in den USA. Die Kreditinstitute haben trotz einiger spektakulärer Vorfälle im Landesbankenbereich das Thema recht vernünftig behandelt. Aber es ist keine Frage, dass die Kreditvergabe auch bei deutschen Instituten restriktiver wird. Anzeichen einer Kreditklemme gibt es aber nicht.

Droht Deutschland eine Stagflation, also hohe Inflationsraten ohne Wirtschaftswachstum?

Die Gefahr einer globalen Stagflation zeigt sich gerade sehr deutlich. In Deutschland ist die Inflation merklich gestiegen. Ich bin davon überzeugt, dass die Europäische Zentralbank auch nach ihrem Zinsschritt vom Donnerstag weiterhin einschreiten würde, um einem anhaltenden Inflationsdruck zu begegnen. Aber das heißt natürlich auch, dass dies die Wachstumserwartungen dämpfen würde.

Kann die Nachfrage aus den Schwellenländern die deutsche Wirtschaft retten?

Lateinamerika entwickelt eine enorme Dynamik, auch Asien und Osteuropa wachsen weiter stark. Aber der Inflationsdruck ist auch in diesen Ländern extrem hoch. Wir importieren dadurch die Inflation. Daran sind nicht nur die Energiepreise schuld. In China gab es 2007 Lohnerhöhungen von durchschnittlich mehr als 16 Prozent. Und ein arabischer Kunde hat mir gerade berichtet, dass die Gastarbeiter aus Dubai abziehen, weil sie in Indien mittlerweile besser verdienen. Die Lohnlücke zwischen den Schwellenländern und den Industrieländern wird kleiner.

Könnte Afrika die Rolle einer neuen Niedriglohnregion übernehmen?

Nicht so schnell. Afrika leidet unter zu vielen Problemen. Die Qualität der Regierungsapparate und Rechtssysteme ist unzureichend. Aber auch die Rohstoffe sind oft ein Problem – kurioserweise. Dort, wo Rohstoffvorkommen existieren, gibt es häufig die schlechtesten gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse. Deshalb stehen bisher nur einzelne Länder wie Südafrika, Botswana oder Nigeria als attraktive Investitionsstandorte zur Verfügung.

Was bedeutet das Szenario aus Stagflation und steigenden Zinsen für die Aktienmärkte?

Die Aktienmärkte werden noch ein paar schwierige Monate vor sich haben. Ich hoffe, dass es keine Quartale sein werden. Das Zinsszenario ist momentan kein besonders gutes. Wir befinden uns möglicherweise in einem Umbruch. Seit 1982 sind die Zinsen praktisch stetig gefallen. Das ändert sich jetzt. Trotzdem bin ich für Deutschland verhalten optimistisch. Mit dem Angebotsbündel der deutschen Industrie aus Maschinen und Investitionsgütern treffen wir genau den Nachfrageboom der sich entwickelnden Länder. Das wird auch nicht so schnell nachlassen.

Bestimmte Branchen wie etwa Fluggesellschaften oder US-Autohersteller werden besonders stark getroffen, weil sie unter dem hohen Ölpreis leiden. Gibt es da überhaupt noch Hoffnung?

Die US-Autobauer haben eine sehr schwierige Phase vor sich. Nicht nur wegen ihres Produktangebots, sondern weil sie sich viel zu langsam auf einen substanziellen Wandel der Weltnachfrage einstellen. Es ist ja nicht neu, dass große Spritfresser nicht die Autos der Zukunft sind.

Führt das teure Öl also dazu, dass ganze Industrien umstrukturiert werden?

Ich kann nicht sehen, wie wir nach dem Jahr 2010 längerfristig einen Ölpreis von unter 200 Dollar haben können. Das wird für die USA einen tiefen Einschnitt bedeuten. Aber im Umstrukturieren sind die Amerikaner Weltmeister. Denken Sie nur an die Stahlindustrie in den 70er Jahren. Deren Verschwinden haben die Amerikaner innerhalb weniger Jahre abgehakt.

Das Interview führten Moritz Döbler und Stefan Kaiser.

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