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Julie Claren: "Unsere Renditen liegen weit über den im Buchhandel üblichen Werten. Das Kulturkaufhaus ist keine Spielerei."

© Thilo Rückeis

Interview: "Das gedruckte Buch ist genial"

Julia Claren, Geschäftsführerin des Dussmann-Kulturkaufhauses, über die Zukunft des Buchhandels, die Bedrohung durch Amazon und das Weihnachtsgeschäft.

Frau Claren, wie lange geben Sie dem gedruckten Buch noch?

Die gedruckte Form als physische Erscheinungsform von Buchinhalten wird immer bestehen bleiben. Da bin ich absolut sicher. Das gedruckte Buch ist ein ziemlich genialer Medienspeicher. Es schont Ressourcen und ist sehr lange haltbar.

Aber ziemlich schwer ist es auch...

Wir Menschen sind doch nicht so verweichlicht, dass wir nichts mehr tragen können. Ich bin gegen die Polarisierung zwischen gedrucktem Buch und eBook. Wir sollten abwägen und nicht ausspielen. Für beides gibt es die richtigen Inhalte und die richtigen Anwendungen. Wir wollen die großen Chancen des gedruckten Buches vermarkten – aber zusätzlich auch den digitalen Content.

Wie groß bleibt denn der Markt mit gedruckten Büchern?

Ich schätze, dass gedruckte Bücher auch langfristig mindestens 70 Prozent des Gesamtmarkts ausmachen werden. Ich komme auf diese Zahl, weil sich das zwischen physischen Tonträgern und MP3-Dateien in den vergangenen zwölf Jahren ungefähr in diese 70/30 Relation aufgeteilt hat. Dabei eignet sich Musik eigentlich unvergleichlich viel besser für digitale Datenträger, als Bücher es tun.

30 Prozent sind ja auch ein schönes Geschäft, das man nicht liegenlassen sollte. Können Sie sich vorstellen, ein eigenes Lesegerät auf den Markt zu bringen?

Ich halte es strategisch für extrem unklug, Inhalte an eine bestimmte Hardware zu koppeln. Ich kann mein Geschäft doch nicht auf einer Beschränkung aufbauen. Der Kunde muss frei sein. Wir handeln mit Kultur, nicht mit Geräten oder irgendwelchen austauschbaren Gütern, und deswegen vertreten wir auch einen kulturellen Anspruch. Wie soll sich dieser Markt entwickeln?  Das müssen wir uns alle fragen. Kultur ist eben nicht ein Markt wie jeder andere.

"Die USA würden von sich nie sagen, dass sie eine Kulturnation sind."

Julia Claren hält die Ausbreitung des eBooks für ein amerikanisches Phänomen, die Deutschen dagegen bevorzugten das Buch als Kulturprodukt.
Julia Claren hält die Ausbreitung des eBooks für ein amerikanisches Phänomen, die Deutschen dagegen bevorzugten das Buch als Kulturprodukt.

© Thilo Rückeis

Ist der Umgang mit Kultur in Europa anders als in den USA?

Europa muss man differenziert betrachten. Es gibt zwei große Kulturnationen, Deutschland und Frankreich, die beide eine Buchpreisbindung und einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz haben und dies als Errungenschaft verteidigen. Der Staat gibt Kulturprodukten hier ganz bewusst einen Sonderstatus. In den anderen Ländern Europas ist das nicht so. Und in den USA schon gar nicht. Die USA würden von sich nie sagen, dass sie eine Kulturnation sind. Das Land ist ganz anders aufgestellt. Der ungebremste Vormarsch des eBooks dort ist eine nationale Eigenheit, die sich hier nicht wiederholen wird. Unsere Mentalität ist eine andere, wir sind ein Land des gedruckten Wortes. Für die gehobenen Inhalte, die bei uns die größte Rolle spielen, ist das Buch als Produkt entscheidend. Da kommt auch die Buchdruckkunst in Spiel. Für ein hochwertig und liebevoll produziertes Buch sind die Kunden auch bereit zu zahlen.

Digital sind zunehmend nicht nur Bücher, sondern auch die Handelsplattformen. Wie kommen Sie gegen Amazon an?

Jeder Kunde muss überlegen, wie er seine Bücher bezieht und was das bedeutet. Im Supermarkt achten wir inzwischen ganz genau darauf, wie nachhaltig die Produkte sind, die wir einkaufen. Warum nicht bei Büchern? Amazon profitiert in Deutschland von der Buchpreisbindung und damit von einer Margensicherheit, versteuert aber seinen gesamten deutschen Buchumsatz in Luxemburg zu einem Steuersatz von drei Prozent. Amazon saugt nur Umsätze ab und das auch noch mit Kulturwerten. Hinzu kommt: Die Logistikzentren von Amazon werden doppelt subventioniert: bei der Ansiedlung gibt es Wirtschaftshilfen, und zudem schaffen sie staatlich geförderte Saisonarbeit und keine Vollzeitstellen, schon gar nicht im Sinne eines kompetenten Buchhändlers. ich wünsche mir eine Debatte über dieses Geschäftsmodell! .

Meine Frage war, wie Sie gegen Amazon ankommen. Wenn der Kunde das Buch im Briefkasten haben will und Sie es ihm nicht bringen, versäumen Sie doch ein Geschäftsmodell.

Das wollen wir doch mal sehen, ob wir etwas versäumen! Unser Geschäftsmodell funktioniert. Mehr als drei Millionen Menschen machen sich pro Jahr auf den Weg und kommen zu uns. Die Atmosphäre ist wichtig, deswegen nimmt die Zahl der kleinen, unabhängigen Buchläden zu, deswegen sind die standardisierten Großfilialisten auf dem Rückzug. 309 Buchläden haben wir inzwischen in Berlin, Tendenz steigend. Wir stehen für Qualität und Kompetenz, für Kulturvermittlung.

Anders gefragt: Können Sie das schnelle Geschäft auch?

Wir starten gerade ein neues Servicekonzept. Kunden können die Artikel, die sie besorgen wollen, bei uns vorab per Telefon, Mail oder App von zuhause oder anderswo bestellen. Wir antworten per SMS innerhalb von zwei Stunden und stellen das Paket bereit. In der gewonnenen Zeit können die Kunden dann bei uns stöbern. Das ist die wertvolle Zeit, in der man sich treiben lässt, neue Dinge entdeckt, Spaß hat. Außerdem wollen wir unsere Beratungsangebote stark erweitern. Unsere Berater sind besser als jeder Algorithmus.

"Wir starten einen neuen Onlineservice, der zu unserem Konzept passt."

Julia Claren: Es gibt zwei große Kulturnationen, Deutschland und Frankreich, die beide eine Buchpreisbindung und einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz haben und dies als Errungenschaft verteidigen.
Julia Claren: Es gibt zwei große Kulturnationen, Deutschland und Frankreich, die beide eine Buchpreisbindung und einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz haben und dies als Errungenschaft verteidigen.

© Thilo Rückeis

Aber der Kunde muss auch künftig zu Ihnen kommen. Sie beliefern ihn nicht.

Das kommt! Wir starten im neuen Jahr einen neuen Onlineservice, der zu unserem Konzept passt. Wir wollen nicht einen der üblichen Onlineshops, wo sich alles um den Warenkorb dreht, sondern innovative Beziehungen zu unseren Kunden pflegen. Und wir wollen schnell sein: Wir wollen Artikel am selben Tag CO2-frei mit Fahrradkurieren ausliefern können. Wir bieten gemeinsam Partnern leicht erreichbare Abholstationen in ganz Berlin an. Bei herkömmlichen Onlinehändlern ist es häufig so, dass Sie Ihre Pakete an unterschiedlichen Orten abholen müssen. Bei unserem Service wird Ihnen das abgenommen.

Zurück zu Ihrem Kulturkaufhaus: Lässt sich das Geschäft skalieren?

Wir werden ganz sicher kein Filialbetrieb. Ein zentralistisches Einkaufskonzept nähme uns unseren Charme. Das zeigen Beispiele von Wettbewerbern mit zentralem Einkauf, bei denen die Rückkopplung zum Kunden verloren geht, nur zu deutlich. Der Trend gegen die großen Ketten zeigt doch, wie klug die Kunden sind und was sie wirklich wollen. Unser Haus ist ein Solitär.

Und wenn Sie noch einen Solitär hätten, etwa in München?

Berlin als Stadt der Bildung und der Kultur ist einzigartig in Deutschland. Wir liegen exakt in der Mitte der Stadt und sind unfassbar gut zu erreichen. Wir verstehen uns als ein kulturelles, unabhängiges Herzstück von Berlin. Wir sind Resonanzraum, wir haben einen Ort, unsere Ware hat ein Zuhause. Wir wollen inspirieren. Die neuesten Beispiele dafür sind der English Bookshop, der Vertikale Garten und unser neues Café-Restaurant "Ursprung". So etwas kann es kein zweites Mal geben. Was wir skalieren können, ist der Zugang zum Solitär, aber nicht den Solitär selbst.

Wie profitabel ist Ihr Geschäft?

Unsere Renditen liegen weit über den im Buchhandel üblichen Werten. Das Kulturkaufhaus ist keine Spielerei. Die Dussmann-Gruppe ist streng mit uns. Ich bin froh darüber, weil wir so herausgefordert sind, innovativ zu bleiben. Wir ruhen uns nicht auf der Buchpreisbindung aus. Der Buchhandel in Deutschland muss ziemlich Federn lassen, aber wir werden unseren hohen Umsatz von 35 Millionen Euro auch in diesem Jahr mindestens halten. Damit sind wir aber auf einem Plateau angelangt.

Wie läuft das Weihnachtsgeschäft?

Das vierte Quartal ist von der Kundenfrequenz und vom Umsatz sehr positiv. Hoffentlich fährt die S-Bahn in diesem Winter weiterhin zuverlässig! Und ich wünschte, wir könnten zwischen Oktober und Dezember nicht nur an vier Sonntagen öffnen. Denn in diesen drei Monaten fahren wir den Gewinn für das ganze Jahr ein.,. Nicht alle Sonntage müssten verkaufsoffen sein, aber durchaus in der dunklen Jahreszeit, in der die Menschen gerne shoppen.

Es gibt ein höchstrichterliches Urteil in dieser Frage.

Das respektiere ich, persönlich finde auch ich einen ruhigen Sonntag erfreulich. Politisch geht es aber darum, nicht mit zweierlei Maß zu messen. Onlinehändler sind sieben Tage die Woche rund um die Uhr geöffnet und erzielen an den Sonntagen des Winterhalbjahres ihre höchsten Umsätze. Für die schlecht bezahlten Saisonkräfte in den Logistikzentren von Amazon & Co. gilt keine Sonntagsruhe. Weder der Gesetzgeber noch das Bundesverfassungsgericht hat diese Realität berücksichtigt, und damit wird einer Wettbewerbsverzerrung Vorschub geleistet. Es gibt ganz offensichtlich ein Potenzial, das in die städtischen Strukturen fließen könnte. Wir leisten uns eine sonntägliche Verödung der Stadt und lassen den Onlinehandel das Vakuum füllen. Hinzu kommt: Die meisten Touristen kommen am Wochenende, aber da hat Berlin zu. Ich empfinde das als Entmündigung.

Das Gespräch führte Moritz Döbler.

ZUM LADEN:

Das Kulturkaufhaus in Berlin-Mitte ist einer der acht umsatzstärksten deutschen Buchhändler. Anders als die anderen hat es aber keine Filialen, sondern verkauft an nur einem Standort auf 7000 Quadratmetern 650.000 Artikel, neben Büchern Musik und Filme. Es gehört zu Dussmann, einem Dienstleistungskonzern mit 58.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von zuletzt 1,66 Milliarden Euro.

ZUR PERSON:

Die Berlinerin Julia Claren (47) hat Musik- und Theaterwissenschaft studiert. Sie gehörte 1997 zum Gründungsteam des Kulturkaufhauses, leitete mehrere Abteilungen und ist seit vier Jahren die Geschäftsführerin.

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