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Rürup

© dpa

Interview: "Wir stehen nicht vor einer Rezession"

Der Wirtschaftsweise Bert Rürup über die Folgen der Finanzkrise, die Gefahren der Inflation und das Wachstum 2008.

Herr Rürup, zu Beginn eine kleine Quizfrage: Was haben Deutschland und Simbabwe derzeit gemeinsam?

Nicht viel – außer vielleicht einem Anziehen der Inflation. Allerdings ist das Ausmaß doch recht unterschiedlich: In Simbabwe sind es schätzungsweise 165 000 Prozent, in Deutschland derzeit 3,2, wobei die gefühlte Inflation bei den Preisen der Güter des täglichen Lebens wie etwa den Lebensmitteln höher sein dürfte.

Nach den Prognosen der Ökonomen sollte die Inflation längst zurückgegangen sei.

Die Annahme war, dass der Effekt durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer in diesem Jahr ausläuft. Allerdings wird dies bislang dadurch überkompensiert, dass Lebensmittel und Energie deutlich teurer geworden sind als erwartet. Das hatten die meisten nicht auf der Rechnung.

Müssen wir uns auf dauerhaft stark steigende Preise einstellen?

Ich denke nicht. Im Laufe des Jahres sollte es zu einer Beruhigung an der Preisfront kommen.

Dämpft die Globalisierung die Inflation, oder treibt sie sie an?

Durch die Öffnung der Gütermärkte gibt es mehr Wettbewerb. Dass ein in China gefertigter USB-Stick bei uns nur 4,99 Euro kostet, kommt ja nicht von Ungefähr. Das vergessen viele, die auf die Globalisierung schimpfen. Andererseits haben aufstrebende Länder wie China einen enormen Energiehunger – das sorgt für höhere Ölpreise.

Reagieren die Deutschen auf Inflation besonders sensibel?

Ja, die Deutschen haben offensichtlich ein kollektives Langzeitgedächtnis. Es gibt kaum ein Land, wo die Furcht vor Inflation als Echo der Erfahrungen von 1923 so ausgeprägt ist. Die damaligen Steigerungsraten von bis zu 30 000 Prozent halten sich in der Erinnerung. Deshalb haben die Bürger auch so sensibel auf die vermeintlich angehobenen Preise bei der Euro-Einführung reagiert. Dieser mehr gefühlte als tatsächliche Makel haftet der Währung sogar noch heute etwas an.

Was kostet Inflation?

Sie trifft in erster Linie die so genannten kleinen Leute – Geringverdiener, Rentner, Arbeitslose, deren Realeinkommen sinken. Inflation wirkt wie eine Steuer für alle Einkommensbezieher, deren Bezüge nicht mit der Inflationsrate steigen. Hinzu kommt die kalte Progression durch die progressive Einkommensteuer. Obwohl man real nicht mehr verdient, muss man mehr Steuern zahlen. Zudem entwertet eine unerwartete Inflation die Ersparnisse. Sie begünstigt Schuldner und damit gegebenenfalls auch den Staat. Und sie kann den Preismechanismus stören, der anzeigt, welche Güter knapp sind. Allerdings sind wir von dem Punkt, wo Inflation für eine Volkswirtschaft mit signifikanten Schäden verbunden ist, noch weit entfernt. Dazu müssten die Preise auf Dauer deutlich stärker steigen.

Einige Gewerkschaften haben zuletzt üppige Tarifabschlüsse durchgesetzt, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten auszugleichen. Ist das ein Problem?

Nein, solange sie den gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraum nicht überziehen. Er fällt 2008 mit etwa 2,5 bis drei Prozent aber etwas geringer aus als 2007. Zwar entwickelt sich der Arbeitsmarkt gut, aber der konjunkturelle Schwung lässt nach. Beides zusammen führt dazu, dass die Produktivität geringer steigt. Allerdings ist es falsch, einen Ausgleich für die gesamte Preissteigerung zu fordern.

Die Gewerkschaften fordern eine lockere Geldpolitik, um die Wirtschaft zu stützen.

Das passt aber nicht zu den aktuellen Lohnforderungen. Damit würde die Inflation weiter angeheizt und der eigenen Klientel am meisten geschadet. Die EZB wird auch deshalb sobald die Zinsen nicht senken.

Wie soll die EZB aus ihrem Dilemma herauskommen? Einerseits ist die Inflation zu hoch, andererseits kann sie wegen der Finanzkrise die Liquidität nicht verknappen.

Bislang haben beide Zentralbanken, die EZB und die Federal Reserve, einen guten Job gemacht. Sie haben die Märkte mit genügend Liquidität versorgt – wobei die Fed deutlich freigiebiger war, sie muss sich gemäß ihrem Auftrag nicht nur um den Geldwert, sondern gleichermaßen um Wachstum und Beschäftigung kümmern. Außerdem liegt das Epizentrum der Krise in der USA. Über Zinserhöhungen kann deshalb die Fed viel weniger nachdenken als die EZB. Für die USA erwarte ich eher einen weiteren Zinsschritt nach unten.

Was muss passieren, damit eine solche Krise in Zukunft gar nicht erst ausbricht?

Zweckgesellschaften sollten stärker reguliert werden, um zu verhindern, dass außerhalb der Bankbilanzen größere Risiken aufgebaut werden. Zudem denke ich, dass es eine Intensivierung der Finanzaufsicht geben muss. Zwar ist unser Bankensystem mit Ausnahme der Landesbanken bislang glimpflich davon gekommen. Sinnvoll wäre es, dass die Bankenaufsicht besser über Hedgefonds Bescheid weiß, wenn eine Bank Geschäfte mit solchen Fonds macht. Allerdings, Finanzmarktkrisen werden sich nie gänzlich verhindern lassen.

Die Banken wollen nun mit mehr Transparenz für Vertrauen werben und wehren sich gegen schärfere Regeln. Was halten Sie davon?

Herr Ackermann vollführt interessante Wendungen – erst sollte der Staat sich weitergehend aus Finanzmarktgeschäften heraushalten, dann sagt er, der Markt könne die Probleme nicht allein bewältigen, dann setzt er wieder voll auf die Selbstregulierungskräfte.

Was bedeutet die Krise für den Aufschwung?

Die Konjunkturrisiken haben zugenommen, aber wir stehen definitiv nicht vor einer Rezession. Es könnte aber eine Abkühlung in der zweiten Jahreshälfte und im nächsten Jahr geben. Wenn die realwirtschaftliche Abkühlung in den USA länger anhält, wovon ich ausgehe, wird dies auch bei uns aufschlagen, zumal wichtige Länder in Europa schwächer werden. Dies sollte sich aber erst im kommenden Jahr bemerkbar machen.

2008 bleibt die Konjunktur noch robust?

In diesem Jahr, das kann man wohl sagen, wird das Wachstum bei etwa 1,7 Prozent landen. Das verdanken wir dem Schub aus dem vergangenen Jahr und dem starken ersten Quartal. Ein Problem ist aber die hohe Inflation – das Kalkül, dass der private Verbrauch zu einer kräftigeren Stütze des Wachstums in diesem Jahr wird, wird wohl nicht aufgehen. Denn die Teuerung zehrt die Lohnsteigerungen der Arbeitnehmer auf, ihre reale Kaufkraft stagniert womöglich nur.

Wird die Arbeitslosigkeit weiter sinken?

Ja, mit etwas Glück wird die Arbeitslosenzahl im Spätherbst vorübergehend unter die Drei-Millionen-Marke sinken, und im Jahresdurchschnitt dürften gut 3,4 Millionen herauskommen. Sollte sich allerdings das gesamtwirtschaftliche Umfeld eintrüben, würde dies natürlich mit einer gewissen Verzögerung auch auf dem Arbeitsmarkt sichtbar.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup


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