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Alexander Kirchner

© ddp

Interview: "Wir wollen einmal mehr als andere"

Alexander Kirchner, Chef der Gewerkschaft Transnet, spricht mit dem Tagesspiegel über die anstehende Bahn-Tarifrunde und die Wahrscheinlichkeit neuer Streiks.

Herr Kirchner, Deutschland steckt in einer historischen Rezession. Da klingt Ihre Forderung nach zehn Prozent mehr Lohn wie ein schlechter Scherz.



Wir müssen verhindern, dass die Krise noch schlimmer wird. Die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass sie sich auch in Zukunft kaufen können, was sie brauchen. Deshalb ist es das beste Konjunkturprogramm, den Arbeitnehmern mehr Geld zu geben und so die Binnenwirtschaft anzukurbeln. Außerdem waren die Lohnzuwächse bei der Bahn in den vergangenen Jahren äußerst bescheiden, anders als etwa in der Metallbranche. Jetzt ist es umgekehrt: Die Bahn fährt auch 2008 einen Rekordgewinn ein – da wollen wir einmal mehr bekommen als andere.

Verschärft das nicht die Probleme, die auf die Bahn zukommen?

Da wird viel Zweckpessimismus vom Vorstand geübt. Im Personenverkehr gibt es keinen Abschwung, der Regionalverkehr läuft gut. Im Güterverkehr wird es vorübergehend zwar Rückgänge geben wegen der Kurzarbeit im Autosektor. Aber die Bänder werden nicht ewig still stehen. Ohnehin boomt der Gütertransport auf der Schiene. Wir sehen keinen Grund, unsere Forderung auf den Prüfstand zu stellen.

Sie könnten der Bahn durch eine lange Laufzeit des neuen Tarifvertrags oder eine hohe Einmalzahlung entgegenkommen.

Ich gehe davon aus, dass die Arbeitgeberseite so etwas vorschlagen wird. Wir werden uns aber nicht mit Marginalien abspeisen lassen. Hinzu kommen die Themen Arbeitszeit und Jobticket. Das ist den Leuten wichtig, sie wollen ihr Privatleben besser planen können.

Werden Sie streiken?

Wenn die Bahn auf die vermeintliche Krise verweist, womöglich eine Nullrunde fordert und sich in Verhandlungen nicht bewegt, ist ein Streik unausweichlich. Die Herren müssen auf uns zukommen. Dass wir binnen dreier Runden und noch vor Ende der Friedenspflicht Ende Januar zu einem Ergebnis kommen, wie es der Vorstand gerne hätte, sehe ich nicht.

Nach der letzten Lohnerhöhung hat Bahn-Chef Hartmut Mehdorn eine Erhöhung der Fahrpreise angekündigt. Müssen die Kunden Ihre Tarifpolitik ausbaden?

Das war schon beim letzten Mal nur ein Vorwand. Der Vorstand versucht, seine Gewinnplanung zu halten – da ist ihm jedes Mittel recht. Es ist nicht unsere Aufgabe, Lohnzurückhaltung zu üben, damit die Fahrpreise nicht steigen. Mehdorn hat die nächste Erhöhung ja bereits im Sommer angekündigt – da kannten wir selbst unsere aktuelle Forderung noch nicht.

Beim letzten Mal hat Ihnen die Lokführergewerkschaft GDL die Show gestohlen. Wollen Sie nun auf jeden Fall höher abschließen als die Konkurrenz?

Es geht nicht um Show oder darum, sich gegenseitig zu überbieten. Unser Ziel ist es, einen vergleichbaren Abschluss zu erzielen. Sicher wäre der Einfluss der Gewerkschaften am größten, wenn sie ihre Forderungen abstimmten und gemeinsam durchsetzten. Wir haben der GDL ein Kooperationsabkommen angeboten. Darauf ist sie nicht eingegangen. Wir müssen damit rechnen, dass sie wieder einen Sonderweg gehen will. Ein Aufschaukeln der Forderungen werden wir nicht zulassen. Es gefährdet den sozialen Frieden, wenn eine Gruppe von Beschäftigten stets versucht, sich das größte Stück vom Kuchen zu sichern.

Die Transnet zankt intern über den Börsengang, über ihr Führungspersonal und gilt als zahmste aller Bahngewerkschaften. Wie ernst muss die Bahn Sie nehmen?

Wir haben eine interne Diskussion, keinen Streit. Das Problem war, dass jene, die den Börsengang ablehnen, bei der Meinungsbildung zu wenig Gehör fanden. Das soll sich in Zukunft ändern. Wir kämpfen überdies nicht weniger entschlossen als die GDL. Sie hat zwar zuletzt ein halbes Jahr die Leute in Atem gehalten, aber nur sechs Tage lang wirklich gestreikt.

Ist es ein Segen für Sie, dass der Börsengang vor 2011 kaum stattfinden wird?

Das schafft eine gewisse Pause, um die Position neu fokussieren zu können. Aber ich glaube, dass die Zukunft der Bahn schon nächstes Jahr wieder ein Thema sein wird. Im Wahlkampf und bei der neuen Koalitionsvereinbarung werden wir es wieder mit denen zu tun haben, die die Bahn zerteilen und verkaufen wollen.

Sie wollen, anders als Ihr Vorgänger Hansen, stärker auf die Basis hören. Als Ergebnis fordert Transnet nun zehn Prozent mehr Lohn, nicht sechs bis sieben, wie Sie es wollten. Ist dieser Kurs gefährlich?

Ich habe gesagt, dass die Forderungen bei sechs bis sieben Prozent beginnen. Die Basis hat dann mehr gewollt, das ist ihr gutes Recht. Führung heißt ja nicht, dass wir den Leuten sagen, was sie zu denken haben. Ich sehe meine Aufgabe darin, die Stimmungen und Meinungen zu bündeln.

Hegen Sie Hansen gegenüber noch Groll? Sein Wechsel in den Bahn-Vorstand hat Ihnen viele Probleme beschert.

Es ist weniger Wut als Enttäuschung über die Art und Weise des Wechsels. Er hätte uns im Vorstand reinen Wein einschenken sollen, statt für sich allein die Entscheidung zu treffen. Das hat der Organisation geschadet.

Würden Sie persönlich jemals Vorstand bei der Bahn werden?

Ganz klares Nein. Das ist keine persönliche Entwicklung, die ich anstrebe.

Sie haben sich vom börsenfreundlichen Kurs Hansens distanziert. Dabei haben Sie als Vize über Jahre seinen Kurs gestützt. Wie glaubwürdig ist Ihr Schwenk?

Die Kollegen haben mir kürzlich auf dem Gewerkschaftstag ein hervorragendes Wahlergebnis beschert. Sie stehen hinter meiner Position und zu meiner Politik der vergangenen Jahre. Wir machen auch keinen Kurswechsel, sondern eine Neufokussierung. Zudem beschäftigt sich die Transnet nicht nur mit dem Börsengang. Hier brauchen wir zwar Klarheit – aber das Thema ist nur eines unter vielen.

Es entscheidet aber über die Zukunft des Konzerns und der Beschäftigten.

Nein, entscheidend ist, dass die Interessen der Beschäftigten im Wettbewerb gesichert werden. Im Moment besteht die Gefahr, dass die Interessen der Leute unter die Räder kommen – nicht nur bei der Bahn, auch bei Veolia oder Arriva. Private Anbieter wie die Odeg, die jetzt zwischen Cottbus und Zittau fährt, leihen sich ihr Zugpersonal bei Subunternehmen aus. Dort werden sie jedoch wie Putzkräfte bezahlt. So geht es nicht weiter.

Was streben Sie an?

Erstens brauchen wir eine gesetzliche Regelung, dass die Länder Nahverkehrsstrecken nur an Firmen vergeben dürfen, die sich an die Tarifregeln halten. Zweitens ist ein branchenweiter Flächentarifvertrag nötig. Drittens muss es eine europäische Regelung geben, nach der Firmen, die eine Ausschreibung gewinnen, Mitarbeiter des bisherigen Anbieters zu den alten Bedingungen übernehmen müssen.

Der Staat soll den Wettbewerb bremsen?

Der Staat soll ihn regulieren. Sonst drohen im Bahnbereich Minilöhne auf breiter Front – wie bei Postzustellern oder Friseuren. Das kann nicht das Ziel sein. Ohnehin hat der Markt auf der Schiene seine eigenen Gesetze. Nicht der Kunde entscheidet sich für einen Anbieter, sondern Behörden wählen einen aus, der dann ein Monopol auf Zeit bekommt.

Die Bahn will Tochterfirmen außerhalb des Tarifvertrags gründen und ohne die Gewerkschaften direkt mit den Betriebsräten verhandeln, um die Lohnkosten zu senken.

Damit ginge der Unterbietungswettbewerb weiter, und andere Unternehmen zögen nach. Das geht mit uns nicht. Hier ist auch die Politik gefordert. Es kann nicht sein, dass Länder wie Brandenburg oder Berlin sich soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen schreiben, aber im Bahnverkehr Sauereien zulassen und Lohndumping befördern.

Andererseits plant die Koalition, viel Geld in die Schiene zu stecken.

Es müsste aber nicht eine halbe Milliarde Euro sein, wie angekündigt, sondern fünf. Das ist gerade jetzt in der Krise wichtig. Das Geld darf nicht nur in neue Autos und Straßen fließen, Investitionen in die Schiene nützen dem Standort Deutschland auf Dauer viel mehr. Hier gibt es einen enormen Nachholbedarf.

Minister Tiefensee hatte Probleme, auf die Schnelle genügend baureife Bahn-Projekte zu finden. Hat der Konzern geschlafen?

Leider plant die Politik immer nur in kurzen Abständen. Dabei müsste viel mehr getan werden – beim Lärmschutz, bei der Modernisierung der Bahnhöfe, bei der Anbindung der Seehäfen an den Güterverkehr. Dafür waren eigentlich die Einnahmen aus dem Börsengang gedacht. Nur weil der Bund das Projekt verschoben hat, ist er nicht aus der Pflicht. Es geht auch darum, konkurrenzfähig zu bleiben. In Frankreich steckt der Staat Milliarden in die Schiene, um die SNCF zu päppeln. Wenn die Bahn europaweit mithalten soll, muss der Staat mehr tun.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup.

Alexander Kirchner (52) ist Vorsitzender der Gewerkschaft Transnet und sitzt seit 2000 im Vorstand der Gewerkschaft. Kirchner ist gelernter Anlagenelektroniker.

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