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Wolfgang Kaschuba ist Ethnologe.

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Interview zur Kultur des Schenkens: "Beide Seiten erfüllen ihre Pflicht"

Selbstbestimmung als Maß aller Dinge: HU-Ethnologe Wolfgang Kaschuba dazu, wieso der Gutschein in unserer heutigen Gesellschaft fast das perfekte Geschenk darstellt.

Von Maris Hubschmid

Herr Kaschuba, sind Gutscheine nicht das Last-Minute-Geschenk einfallsloser Ehemänner?

Vor zehn Jahren mag das so gewesen sein, der Gutschein – eine Notlösung. Heute stellt er fast das ideale Geschenk dar.

Was hat sich verändert?

Wir, unsere Selbstbilder sind prägnanter geworden, vor allem im Blick auf Lebensstil und Geschmack. Da wollen wir unsere Individualität immer stärker berücksichtigt wissen. Niemand will konventionell sein. Wir sind, was wir besitzen.

Was bedeutet das für den Schenkenden?

Für ihn wird es immer schwieriger, einen Treffer zu landen. Krawatte und Praline, die Standardgeschenke von früher gehen nicht mehr. Missfällt etwas, riskiert der Schenkende den Vorwurf: Du kennst mich gar nicht richtig!

Aber suggeriert ein Gutschein nicht genau das: Ich hatte keine Idee für dich?

Nicht unbedingt. Zunächst einmal grenzt er die Auswahl ja ein, gegenüber einem Geldgeschenk, das kälter und banaler wirkt. Er verrät doch oft zumindest eine Richtung: Ich weiß, was dir gefällt, respektiere aber auch, wie einzigartig du bist. Eine Jeans kann jeder tragen, aber welche genau, das entscheide lieber selber.

Der Schenkende wird entmündigt?

Er erspart sich Enttäuschungen. Und natürlich ist es für ihn viel komfortabler, einen Gutschein zu kaufen, statt sich konkret Gedanken zu machen. Immer mehr Menschen betrachten Geschenke als Belastung: Der Beschenkte fürchtet, dass er Freude vortäuschen oder erklären muss, weshalb er etwas ablehnt. Der Schenkende sieht sich unter dem Druck, Einfühlung und Kreativität beweisen zu müssen. Gutscheine sind die adäquate Lösung – beide Seiten haben ihre Pflicht abgeleistet.

Man sieht genau, wie viel bezahlt wurde.

Natürlich bedeutet das auch eine zunehmende Monetarisierung der Geschenkkultur – der Gutschein als Geschenkewährung. Das kann aber auch ein Vorteil für den Schenkenden sein: Der Respekt vor der Summe ist ihm sicher.

Und was ist mit der Überraschung?

Das macht es in der Tat insbesondere für ältere Generationen schwierig. Ein Weihnachtsbaum, an dem nur Gutscheine hängen, sieht doch recht nüchtern aus. Andererseits gibt es gerade zwischen den Generationen gewaltige geschmackliche Differenzen, die sich mit Gutscheinen überbrücken lassen. Die vermisste Originalität kann durch Basteln kompensiert werden.

Dann alle ran an die Gutscheine?

Wie ein Gutschein aufgenommen wird, hat am Ende viel mit der Chemie zwischen dem Schenkenden und dem Beschenkten zu tun. Das muss man ausprobieren.

Wolfgang Kaschuba ist Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität in Berlin. Mit ihm sprach Maris Hubschmid.

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