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Wirtschaft: Investor baut mit Kunst auf Akzeptanz

Im Kiez umstrittenes Projekt in Mitte wird bis zum Baubeginn von Kreativen bespielt

Die Wand hat ein großes Loch. Davor steht der Künstler Ingolf Keiner und erklärt, was es mit dem Loch auf sich hat. „Das rechts wird der arme Raum für Menschen ohne Geld“, sagt er. „Der linke Raum bekommt Luxustapeten. Aber der arme Raum wird den reichen Raum stören.“ Wer wissen will, wie genau diese Störung vonstattengehen wird, muss sich noch gedulden: Am 16. Juli wird die Ausstellung „Ich bin Keiner“ in der Kastanienallee 64 eröffnet.

Nun ist Kunst in Immobilien nichts Besonders – schon viele Eigentümer leer stehender Büros und Läden sind auf die Idee gekommen, die verwaisten Flächen unentgeltlich Künstlern zur Verfügung zu stellen, um so Mieter anzulocken. Im Gründerzeithaus in Berlin-Mitte, in dem Keiner seine Ausstellung vorbereitet, ist die Situation aber eine andere: Vom nächsten Jahr an wird es saniert, und gleichzeitig werden in der benachbarten Baulücke in der Kastanienallee 63 die Bauarbeiten für ein modernes Wohnhaus beginnen. Insgesamt schafft der Investor Diamona & Harnisch auf diese Weise 34 Wohnungen und drei Gewerbeeinheiten – Durchschnittspreis: stolze 4450 Euro pro Quadratmeter.

Das Vorhaben ist umstritten, und zwar noch umstrittener, als es teure Wohnungsbauprojekte in der Berliner Innenstadt ohnehin sind. Der Grund: In der Baulücke standen zwei über hundert Jahre alte Bäume, eine Kastanie und eine Platane. Um sie zu schützen, versagte Ephraim Gothe, Baustadtrat des Bezirks Mitte, Diamona & Harnisch die Baugenehmigung. Wenn der Investor auf das Vorderhaus verzichte, so Gothe, könne er dafür den hinteren Bereich dichter bebauen. Doch der Investor legte gegen diesen Entscheid Widerspruch bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein und bekam recht – die Bäume wurden gefällt.

Setzt der Investor jetzt also auf Kunst, um die kritischen Nachbarn zu besänftigen? Das sei allenfalls ein „Nebeneffekt“, sagt Alexander Harnisch, Geschäftsführer von Diamona & Harnisch. „Wir würden uns freuen, wenn das Vorhaben die Akzeptanz steigert. Aber unser vorrangiges Ziel ist es, eine sinnvolle Zwischennutzung bis zum Baubeginn zu ermöglichen.“ Dass dadurch eine Besetzung des Hauses erschwert werde, sei zwar „hilfreich“, habe aber keineswegs den Ausschlag für das Kunstprojekt gegeben.

Jedenfalls nütze das Vorhaben nicht nur dem Eigentümer, sondern auch den Künstlern, findet Ingolf Keiner. „Denn Künstler brauchen einen Ort und haben kein Geld.“ Keiner – Kurator, bildender Künstler und Verantwortlicher der Ausstellungsreihe Fraktale, die 2005 im Palast der Republik stattfand – gehört zu einem Team um das Berliner Logentheater, das von Diamona & Harnisch für 300 Tage die künstlerische Verfügungsgewalt über die Kastanienallee 63/64 erhalten hat. Das vom Schauspieler Johannes Brandrup gegründete Logentheater bespielt nicht eine traditionelle Bühne, sondern versteht sich als Theater des digitalen Raums.

Das gesamte Kunstprojekt läuft unter dem Namen „Map my story – Public is the new private“ (auf Deutsch ungefähr: Zeichne meine Geschichte – Öffentlichkeit ist die neue Privatheit). Dazu gehört auch die vom Schauspieler Ernest Allan Hausmann verantwortete „Trailer Lounge“ in der Baulücke: ein täglich von 13 bis 22 Uhr geöffneter Treffpunkt mit vier (auf einer Seite offenen) Wohnwagen. Angeboten werden Kaffee, Saft und Snacks, vor allem aber ein Wlan-Zugang – die Lounge soll nämlich insbesondere die digitale Boheme ansprechen, die überall mit dem Laptop arbeitet. Passend dazu gibt es einen Blog (www.mapmystory.com), den der Publizist Michael Seemann betreut und der nach dessen Worten den „ideologischen Überbau“ für das Kunstprojekt entwickeln soll.

Aber auch ganz profane Vorhaben wollen die Macher realisieren; so überlegen sie, Spiele der Frauen-Fußball-WM auf die Brandwand des benachbarten Hauses zu projizieren. Gegenüber dieser Wand hat Hausmann außerdem eine überdimensionierte Bank gezimmert, die die Kinder der benachbarten Kita bereits für sich entdeckt haben.

Doch tragen die Künstler nicht auf diese Weise zum Gelingen eines im Kiez umstrittenen Bauprojekts bei? „Die Dynamik ist von niemandem aufzuhalten“, antwortet Hausmann. „Bauen wird der Investor sowieso.“ Und Keiner sagt, dass „Kunst automatisch die Frage nach einer immateriellen Lebenshaltung stellt“.

Bei ihren Projekten haben die Künstler jedenfalls weitgehend freie Hand. Sogar das Loch in der Wand stört Investor Harnisch nicht – die Wohnungen werden sowieso umfassend saniert und erhalten einen teilweise neuen Grundriss. In einem Punkt allerdings sei die Freiheit dann doch eingeschränkt, räumt Künstler Keiner ein: Gern würde er die Wurzelstöcke der beiden gefällten Bäume ausgraben und zum Kunstwerk machen. „Die Märtyrerwurzeln!“, wirft Seemann ein. Doch Investor Harnisch haben sie noch nicht überzeugen können. „Es besteht die Gefahr, dass alte Emotionen hochkochen“, gibt er zu bedenken. Dann aber zeigt er sich doch kompromissbereit – je nach Art der Ausführung sei das Projekt schon „denkbar“.

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