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Wirtschaft: Irak im Funkloch

Von der Schwierigkeit, zwischen den Fronten ein Handynetz zu betreiben

Unter Saddam Hussein waren sie verboten. Um seine Macht zu sichern, hatte der Diktator seinen Untertanen die Benutzung von Mobiltelefonen nicht gestattet. Doch seit der Irak in der Telekommunikation zum Rest der Welt aufschließt, sind Handys hier so üblich geworden wie anderswo. Immer häufiger werden sie jedoch als Kampfmittel eingesetzt: als Fernzünder für Bomben und Kommunikationsmittel für die Aufständischen. Der Mobilfunkanbieter Iraqna, der auch Bagdad mit Telefondiensten versorgen soll, ist damit zwischen die Fronten von Sicherheitskräften und Aufständischen geraten.

Das auffällige gelbe „Q“- Logo des Unternehmens, das mittlerweile hundertfach in den Schaufenstern klebt, sollte eigentlich den Aufbruch des Irak in eine freie Wirtschaftsordnung symbolisieren. Inzwischen zeigt Iraqnas Dilemma aber vor allem, wie schwer es ist, ein Unternehmen in einem von Krieg geplagten Land zu führen, wo die drahtlose Kommunikation zudem oft mit Sicherheitsinteressen kollidiert. Fast die Hälfte von Iraqnas 300 Stromgeneratoren wurde gestohlen, drei Funkanlagen durch Bomben zerstört. Im vergangenen Jahr haben Aufständische zwei Iraqna-Ingenieure entführt und ihnen Zusammenarbeit mit den US-Besatzern vorgeworfen. Doch auch irakische Sicherheitskräfte durchsuchten das Iraqna- Hauptquartier. Der Sicherheitschef des Unternehmens wurde vorübergehend festgenommen, weil er mit den Aufständischen zusammengearbeitet haben soll.

„Wir stehen im Feuer beider Seiten und müssen am wohl gefährlichsten Ort der Welt arbeiten“, klagt Iraqnas kaufmännischer Leiter Shamel Hanafi, der auch der Geschäftsführung angehört. Sein Büro liegt im bunkerartigen Hauptquartier des Unternehmens – einer Festung mit bombensicheren Wänden und Dutzenden von Sicherheitsleuten mit Kalaschnikows, die bei Iraqna angestellt sind. Die Sicherheitsmaßnahmen sollen Selbstmordattentäter abhalten: Aufständische haben Iraqna beschuldigt, den irakischen Sicherheitskräften Informationen über ihre Aktivitäten zu liefern. Doch Iraqna, eine Tochter der ägyptischen Osracom Telecom Holding, widerspricht. Man habe bewusst auf Technik verzichtet, mit der sich die Bewegungen der Handynutzer verfolgen lassen.

Obwohl Iraqna schon mehr als 149 Millionen Euro im Irak investiert hat, ist an einen reibungslosen Netzservice noch nicht zu denken. Seit Ende des letzten Jahres wird das Netz von Ausfällen geplagt, die Stunden oder ganze Tage andauern können. „Jeder Iraker weiß, das Iraqna der schlimmste Anbieter der Welt ist“, stöhnt Muthanna Anis, ein Verkäufer von Handy-Zubehör und einer von Iraqnas 1,1 Millionen Kunden. „Nie kann man auch nur irgendjemanden anrufen.“ Überhäuft mit Beschwerden, gibt es für Iraqnas Verantwortliche nur einen Schuldigen: die US-Truppen.

Das amerikanische Militär benutzt Störsender, um bei Angriffen gegen Aufständische deren Kommunikation zu unterbinden. Außerdem werden bei der Durchfahrt von Militärkonvois die Telefone im Umkreis deaktiviert, damit sie nicht als Zünder für Bomben am Straßenrand dienen können. In Bagdad ist die Furcht vor Mobiltelefonen besonders groß. Zivilisten werden regelmäßig aufgefordert, die Batterien aus den Geräten zu nehmen, bevor sie den Kontrollpunkten der irakischen Sicherheitskräfte oder des US-Militärs nahe kommen. Trotz aller Schwierigkeiten sind Mobiltelefone dennoch oft verlässlicher als das Festnetz des Landes, das bei den Bombenangriffen der Amerikaner 2003 schweren Schaden nahm und dann auch noch Opfer der nachfolgenden Plünderungen wurde.

Vertreter des US-Militärs bestätigen die gelegentliche Einflussnahme auf den Mobilfunk-Empfang, weisen aber den Vorwurf systematischer Netzstörungen zurück. Doch die Geschäftsführung von Iraqna sieht dies anders: Die US-Störungen haben in den vergangenen Monaten solche Ausmaße angenommen, dass oft das gesamte Netz ausgefallen ist. „Wir kennen die Umstände hier und können uns mit vorübergehenden Behinderungen abfinden, nicht jedoch mit Störungen rund um die Uhr“, sagt Hanafi. „Unsere Kunden haben dafür kein Verständnis. Die sagen, wir sind Gangster und stehlen ihr Geld.“ Die meisten US-Vertreter in Bagdad und einige ausgewählte Iraker sind von den Ausfällen nicht betroffen. Sie nutzen ein Netz, das vom US-Anbieter MCI betrieben wird und das die Vorwahl von Westchester County im US-Bundesstaat New York verwendet. Ein weiterer Wettbewerber ist Atheer Telecom. Der Anbieter, an dem die britische Vodafone Group Anteile hält, will jetzt unzufriedene Iraqna-Kunden für sich gewinnen.

Die irakischen Mobilfunk-Lizenzen wurden während der Besatzung durch die US-Truppen vergeben. Frühere Beschränkungen, mit denen der Iraqna-Service zunächst auf Bagdad und den Zentralirak und das Atheer-Netz auf die südlichen Regionen begrenzt wurden, fielen im vergangenen Jahr weg. Die Lizenzen laufen Ende 2005 aus, doch die Behörden planen bereits ihre Verlängerung.

Iraqna hat sich wiederholt beim irakischen Ministerium für Telekommunikation über die Störungen seines Netzes beschwert. In den vergangenen Monaten ist das Ministerium einigen Hinweisen von gezielten Behinderungen nachgegangen, sagt Nasi Abachi, Chef der staatlichen Frequenzverwaltung. In einem Fall hat man einen fremden Sendemast entdeckt, der sich im Netz als Iraqna-Antenne ausgegeben hat. Die Mobiltelefone im Umkreis erkannten den echten Sendemast nicht mehr und der Iraqna-Dienst brach zusammen. Zwar fehlt den Ermittlern der letzte Beweis für eine US-Beteiligung am Sendeturm. Kaum jemand anderes als das US-Militär hätte aber die technischen Mittel für den Bau einer solchen Anlage mitten in Bagdad. „Wir haben guten Grund, Iraqna in diesem Punkt zu glauben“, sagt Abachi.

Zuletzt zeigten die Beschwerden bereits Wirkung. Es gibt zwar immer noch gezielte Netzstörungen, ihre Auswirkungen auf das Gesamtnetz seien in den letzten Wochen jedoch erheblich zurückgegangen, sagt Iraqna-Manager Hanafi.

Yaroslav Trofimov

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