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Verraten und verkauft. 2010 protestierten Zehntausende in Irlands Hauptstadt Dublin gegen die Bankenrettung.

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Irland, der Euro und die Krise: "Das Schlimmste kommt noch"

Die Troika lobt Irland, obwohl in den Bilanzen der Banken massenweise faule Kredite schlummern. Überschuldete Hausbesitzer wollen sich nun wehren – und verklagen die Institute.

Der Ort, an dem Irlands Zukunft verspielt wurde, soll jetzt ein Café werden. Die Kaffeehauskette Insomnia will am noblen St. Stephen’s Green, der zentralen Grünanlage in Dublins Stadtmitte, eine Filiale eröffnen – im Erdgeschoss des ehemaligen Hauptgebäudes der Anglo Irish Bank. Deren Schriftzug ist schon längst ins Museum gewandert, weil er für eins der dunkelsten Kapitel irischer Geschichte steht. Auf einem Foto aus der Zeit, als die Buchstaben noch dort oben prangten, ist eine ältere Dame vor dem Sitz der Bank mit einem selbst gemalten Schild zu sehen. „Ihr“, hat sie in Anspielung auf die skrupellosen Banker darauf geschrieben, „sollt in der Hölle verrotten.“ Die Fassungslosigkeit angesichts dessen, was hinter diesen Türen geschehen ist, wird mit größerem Abstand nicht kleiner. Gerade sind Tonbandaufnahmen leitender Angestellter aufgetaucht, die sich darüber lustig machen, dass sie die staatliche Hilfe „nie“ zurückzahlen würden und man sich den beantragten Finanzbedarf von sieben Milliarden Euro „aus dem Arsch gezogen“ habe. Am Ende kostete die Abwicklung der Anglo Irish Bank die Bürger 30 Milliarden Euro.

Das konnten sie alleine gar nicht aufbringen – zumal sich die Gesamtrechnung der umfassenden Bankengarantie, welche die Regierung in einer verhängnisvollen Nacht Ende September 2008 ausgesprochen hatte, auf knapp 70 Milliarden Euro belief.

Das entspricht fast der Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung der Insel. Der Euro-Rettungsschirm, zu knapp einem Drittel gefüllt mit Garantien der deutschen Steuerzahler, musste den Iren das Geld für ihre Banken leihen. Ungewöhnlich scharf reagierte daher Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche auf das Gehörte: Für das Verhalten dieser Geldmanager habe sie „wirklich nur Verachtung“ übrig. Und Irlands Premier Enda Kenny mahnte, man müsse nun „die Kultur der sogenannten Tigerjahre untersuchen“.

Aus dem keltischen Tiger wird eine arme Kirchenmaus

Martin Byrne kennt die Zeit, als es immer nach oben zu gehen schien, nur zu gut. Jahrelang verzeichneten die Iren das weltweit zweithöchste Wachstum nach China, was der Insel den Beinamen „Keltischer Tiger“ einbrachte. Und auch Byrne aus der Provinz Monaghan wollte das Märchen glauben, das ihm alle erzählten – dass die Wertsteigerung einer Immobilie quasi gottgegeben sei und als Sicherheit genüge. Wer jetzt nicht auf die nach oben führende „Eigentumsleiter“ steige, so erinnert sich Byrne an die Werbekampagnen auch der Regierung, sei selbst schuld.

Der heute 47-Jährige ging zur Anglo Irish Bank, um sein Traumhaus in Carrickmacross zu kaufen. Freistehend, vier Schlafzimmer, ein schöner Garten. Es ist 2006, der Höhepunkt des Booms, und die Irish Nationwide Building Society, ein Immobilienableger der Bank, räumt ihm ohne Probleme einen Kredit ein. Byrne hat schließlich einen guten Job in der führenden irischen Möbelmanufaktur im nahen Castleblaney, die dem Vater und dem Onkel zu gleichen Teilen gehört. Er verdient 40 000 Euro im Jahr. Obendrauf kommt noch, was Byrne als Gitarrist erhält, wenn er in Clubs Folk- oder Rockklassiker zum Besten gibt. „Am liebsten „AC/DC und Thin Lizzy.“

All das interessiert seinen Kundenberater überhaupt nicht. „Die Bank hat gar keine Überprüfung meiner Bonität vorgenommen“, erinnert sich Martin Byrne. Stattdessen erhielt er einen Kredit in Höhe von 400 000 Euro zu fast wahnwitzigen Konditionen. „Das war das Zehnfache meines Jahresgehalts“, sagt der Hausbesitzer, „heute weiß ich von meinem Bruder, der bei einer Bank arbeitet, dass das Drei- bis Vierfache eigentlich das Limit ist.“ Er bekommt das Geld zudem ohne jedes Eigenkapital und zahlt „nur“ Zinsen – eine Tilgung ist zu Beginn nicht vorgesehen.

Der Crash, der zwei Jahre später folgt, ist es auch nicht. Der keltische Tiger verwandelt sich in eine arme Kirchenmaus. Als später die Rettungsmilliarden fließen, erfüllt Irland die Bedingungen für die Hilfe gewissenhafter als Griechenland oder Portugal und gilt schnell als Musterschüler unter allen Euro-Krisenländern. Mehr noch: Irland, so hat es kürzlich Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem gesagt, sei das lebende Beispiel, dass die umstrittene Rettungspolitik funktioniere.

Gekaufte Immobilien dienten als Sicherheit für den nächsten Kredit

Positiv wird sicher auch wieder der neue Bericht der Troika von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds ausfallen, der an diesem Montag erwartet wird. Schon bei der vorherigen Bestandsaufnahme war das Haushaltsdefizit mit etwas unter acht Prozent der Wirtschaftsleistung einen Prozentpunkt geringer als vorhergesagt. Die Iren lieferten eine „starke“ Vorstellung ab, hieß es. Eher im Kleingedruckten war von Misserfolgen und Risiken zu lesen. „Belastet wird die Aussicht auf eine nachhaltige Erholung“, so schrieben die Finanzexperten, vor allem dadurch, dass die Geldinstitute nur „langsam“ die Zahl ihrer faulen Kredite reduzieren: „Die Banken haben bisher sehr wenig Gebrauch gemacht von den Optionen zur Umstrukturierung von Krediten, um die nicht tragfähigen Hypothekenschulden in den Griff zu bekommen.“

Hinter dem schwer verständlichen Satz verbirgt sich auch die Geschichte von Rachel Bonhill, einer Verwaltungsangestellten aus dem Dubliner Vorort Castleknock. Dort war nur grüne Wiese, ehe der Immobilienboom die Insel erfasst hat. „Uns geht es ja noch gut“, sagt die 39-jährige Mutter zweier Teenager, „weil wir nur ein Haus gekauft haben.“ Aus ihrem Bekanntenkreis kennt sie Beispiele dafür, dass eine gekaufte Immobilie als Sicherheit für den nächsten Kredit diente. Auch mit einem Darlehen kommen Rachel Bonhill und ihr Mann nicht klar. Der Buchhalter ist in der Krise arbeitslos geworden und verfügt nun als Selbstständiger nur über ein unregelmäßiges Einkommen. Das Ehepaar ist mit insgesamt 35 000 Euro im Rückstand.

Für Martin Byrne kommt der erste Schock nach zwei Jahren, als es mit dem niedrigen Garantiezins vorbei ist. Die US-Bank Lehman Brothers ist gerade pleitegegangen, die viele Geschäfte mit der Anglo Irish Bank getätigt hat. Statt 1250 soll Byrne plötzlich fast 1900 Euro im Monat zurückzahlen. Das ist zu viel für den Mann, der mit seiner zweiten Frau im neuen Haus wohnt und Unterhalt für drei Kinder aus erster Ehe zahlen muss. Seine Bank bietet ihm ein einjähriges Zahlungsmoratorium an, doch anderthalb Jahre später verliert er seinen Job, da der Familienbetrieb pleitegeht. Die Bank, inzwischen in staatlicher Hand, verklagt ihn.

Allein sind er und Rachel Bonhill mit diesem Schicksal nicht. Die jüngste Statistik der irischen Zentralbank weist aus, dass es bei 95 554 von insgesamt 774 109 Hypotheken einen Zahlungsverzug von mehr als 90 Tagen gibt. In Irland ist damit jeder achte Hausbesitzer mit Zins und Tilgung im Rückstand. Gar zwei oder mehr Jahre lang haben rund 27 000 Kreditnehmer nichts mehr zurückzahlen können.

"Recht ist nicht die Lösung"

Die, die nicht mehr weiter wissen, landen häufig in Mary’s Abbey – nicht um zu beten, sondern um in einem Bürokomplex im gleichnamigen Dubliner Straßenzug Hilfe bei Vincent Martin zu erbeten. Seit 16 Jahren tritt der Jurist vor Gericht auf. Als er dort vor zwei Jahren einen „verängstigten und verschüchterten Angeklagten“ sieht, der chancenlos Spitzenanwälten einer Bank gegenübersteht, fasst er einen Entschluss: „Ich wollte gleiche Voraussetzungen schaffen.“ Martin schart 70 Berufskollegen und inzwischen auch Finanzberater um sich, die der Bankenmacht etwas entgegensetzen wollen. „New Beginning“ heißt die Organisation, die überschuldete Hausbesitzer kostenlos oder für einen Bruchteil üblicher Honorare berät. In der Telefonzentrale gehen viele panische Anrufe ein. Hilfe gibt es im Gerichtssaal und vor Gesprächen mit der Bank.

„Wir haben gemerkt, dass das Recht nicht die Lösung ist“, sagt Martin, der äußerlich so gar nichts von einem Wohltäter hat, sondern eher wie einer derjenigen aussieht, die er bekämpft. Der konservative Ansatz „Wer sich Geld leiht, muss es auch zurückzahlen“ funktioniere nach dem Zerplatzen der Immobilienblase nicht mehr: „Die Zukunft liegt darin, die Kreditbedingungen neu zu verhandeln und teilweise abzuschreiben.“

Vereinzelt ist das auch passiert, im großen Stil aber schrecken die Banken davor zurück. Oft hat Rachel Bonhill ihren Berater gebeten, ihre Belastung zu verringern – ohne Erfolg. Vor zwei Wochen ist ein Brief von der Bank gekommen: Entweder sie verkauft das Haus, das nicht mehr 390 000, sondern nur noch 210 000 Euro wert ist, und zahlt weiter den großen 390 000-Euro-Kredit ab. Oder die Bank wird sie hinauswerfen und ihr Heim in ihren Büchern führen – vermutlich zum Originalkaufpreis. „Die Banken“, sagt David Hall, ein früherer Partner von Vincent Martin, der mit dem „Verband irischer Hypothekenbesitzer“ seine eigene Beratungs- und Lobbyorganisation gegründet hat, „wollen ihre Verluste nicht realisieren.“ Hall wirft Regierung und Zentralbank vor, dies trotz gegenteiliger Bekundungen nicht ändern zu wollen. „Die halten den Bankern noch immer die Hand.“

In der Telefonzentrale gehen viele panische Anrufe ein

Vielleicht sind es ja auch die Euro-Partner wie Deutschland, die nicht wollen, dass neue Löcher in den irischen Bankbilanzen auftauchen. Denn um die zu stopfen, müsste sich die Regierung noch mehr Geld leihen – möglicherweise erneut beim Euro-Rettungsschirm. Die Summe der Hypotheken, die mehr als 90 Tage in Verzug sind, beträgt nach Angaben der Zentralbank satte 18,1 Milliarden Euro. Mit weiterem Hilfsbedarf in dieser Größenordnung müssten die europäischen Partner rechnen, prophezeit Vincent Martin, der der Regierung nicht glaubt, die das Ende des Hilfsprogramms für Irland nahen sieht. „Das Schlimmste der Krise kommt noch“, sagt der Anwalt: „Im Augenblick versuchen viele unserer Klienten irgendwie durchzuhalten. Irgendwann geht das aber nicht mehr.“

Martin Byrne war vor dem Prozess nach Spanien geflohen, wo er für Touristen musizierte. Aber er ist zurückgekehrt, um zu kämpfen. „Ich habe mich schuldig gefühlt, hatte Selbstmordgedanken“, sagt er, „aber dann ist mir klar geworden, dass die Bank mindestens ebenso große Schuld trifft. Sie hätte mir einen solchen Kredit nie gewähren dürfen.“ Jetzt ist er einer der wenigen in Irland, der das Schweigen bricht. Und er studiert Jura, um es selbst mit den Banken aufnehmen zu können. Byrne will die Anglo Irish Bank, längst unter neuem Namen in staatlicher Hand, zwingen, die Hypothek auf den aktuellen Wert des Hauses zu verringern. Wo er seinen Sieg feiern würde, weiß Byrne schon – in dem neuen Café am St. Stephen’s Green.

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