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Wirtschaft: Ja oder Nej

Auch nach dem Mord an Außenministerin Anna Lindh ist ungewiss, ob die Schweden für den Euro stimmen

Stockholm. Am Sergels Torg, dem großen Platz in Stockholms Einkaufsmeile, sieht es so aus, als ob die Kampagne um den Euro trotz der Ermordung von Anna Lindh noch in vollem Gange ist. Auf dem langen Geländer, das den oberen und den unteren Teil des Platzes trennt, prangt ein großes Transparent mit „Nej Till Euro“. Es sticht heraus aus den hunderten Plakaten der Ja- und der Nej-Kampagne, die den Platz und die umliegenden Brücken säumen. Der Sergels Torg ist der zentrale Ort für das politische Schweden. Hier finden die großen Kundgebungen statt. Auch nach der Ermordung von Olof Palme versammelten sich hier die Menschen.

Bis zum Attentat auf Schwedens Außenministerin Anna Lindh hat auch Johan Davidson, ein junger Student, hier Werbung für den Euro gemacht – im pinkfarbenen T-Shirt, das beidseitig mit einem großen Ja bedruckt ist. Von den Reaktionen der Leute war er allerdings enttäuscht: „Die meisten denken, wir können uns noch ein bisschen Zeit lassen mit der Entscheidung über den Euro.“ Für Davidson war das kein Argument, schließlich sei Schweden in der EU, und dann könne es ja auch am gesamten europäischen Projekt teilnehmen. Solch ein klares Bekenntnis zu Europa wollte auch Anna Lindh. Für sie war der Euro auch ein politisches Projekt und keine rein wirtschaftliche Frage. In der Debatte ging es dennoch vor allem um das wirtschaftliche Für und Wider eines Euro-Beitritts.

„Ich bin überzeugt, dass der Euro gut für Schwedens Wirtschaft ist und uns helfen wird, Arbeitsplätze zu erhalten und den Wohlfahrtsstaat auszubauen“, war eine der Standardformulierungen, mit denen Ministerpräsident Göran Persson landauf, landab auf unzähligen Veranstaltungen für den Euro warb. Hinter dem Euro-Projekt stehen Schwedens Unternehmen und neben dem Chef der Sozialdemokraten Persson auch die drei bürgerlichen Parteien. Selbst der mächtige Gewerkschaftsbund LO hat sich nach langem Zögern zumindest zaghaft auf die Seite der Euro-Befürworter geschlagen.

Doch Persson, Lindh und andere Euro-Befürworter hatten es schwer, mit ihren Argumenten durchzukommen. Viele Schweden glauben stattdessen an einen weiteren Abbau des schwedischen Sozialstaats, falls der Euro kommt. Der EU-Stabilitätspakt würde die Regierung noch stärker zum Sparen zwingen, als sie es ohnehin schon tut.

Und im Vergleich zum Euroland fühlen sich viele ohnehin wie auf einer Insel der Seligen. Schweden hat ein höheres Wirtschaftswachstum und eine geringere Arbeitslosigkeit als der Durchschnitt der Euroländer. „Es ist gut, dass es den Euro gibt, denn man sieht, dass sich die Erwartungen an ihn nicht erfüllt haben“, sagte Peter Eriksson von den Grünen, der Prominenteste unter den Euro-Gegnern. „Deutschland ist dank des Euro in einer wirtschaftlichen Krise. Deshalb wollen wir, dass Schweden auch in Zukunft seine Wirtschaft selbst steuern kann.“ Mit dem Euro müsse Schweden Leitzinsen akzeptieren, die nicht zu seinem Konjunkturzyklus passten. Die Befürworter des Euro führten dagegen die Währungsstabilität ins Feld, die Sicherheit für die Unternehmen bringe und damit Wachstum. Und sie warnten vor Währungskrisen, denen Schweden weiterhin ausgesetzt sein könnte, falls es bei der Krone bleibt.

Eine Frage des Vertrauens

Auch von den Ökonomen durften die Schweden kein klares Urteil erhoffen. Zwar vertreten sie mehrheitlich die Auffassung, Schwedens Wirtschaft werde vom Euro profitieren, doch ausgerechnet exponierte Köpfe wie der frühere Reichsbankchef Las Wohlin oder der renommierte ehemalige Chefökonom der Nordea-Bank, Nils Lundgren, machten Front gegen den Euro. Schon vor der Ermordung von Anna Lindh meinten viele Beobachter, dass es gar nicht mehr so sehr um Argumente gehe. „Am Ende ist es eine Frage, ob man Vertrauen in einen Politiker hat oder nicht“, sagt der Wirtschaftsjournalist Ake Ortmark. „Es ist eine sehr komplizierte und technische Frage, ob Schweden wirtschaftlich von einer Mitgliedschaft in der Währungsunion profitieren wird oder nicht. Man kann das nicht einfach ausrechnen.“

Um dieses Vertrauen hat auch Anna Lindh bis zuletzt geworben. Die meisten Beobachter rechnen damit, dass nach ihrem Tod mehr Schweden für den Euro stimmen werden. Von den letzten Meinungsumfragen ist diese Ansicht allerdings nur zum Teil gedeckt. Nur eine der beiden Umfragen, die nach ihrem Tod gemacht wurden und am Freitag veröffentlicht wurden, sieht einen Vorsprung für die Ja-Seite.

Matthias Rumpf

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