zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Jede Fuge zählt

Das Gesetz zur Energiesanierung kommt nicht voran. Wohnungseigentümer werden ungeduldig

Berlin - Die Waldsassener Straße ist nicht der Ku’damm. Wer nicht dort wohnt, wird kaum je an diesem äußersten Südrand Berlins flanieren. Doch es lohnt sich – zumindest aus einem Grund: Beim Spaziergang kann man den Kopf in den Nacken legen, die vielen Balkonreihen zählen. Da bekommt man ein Gefühl, was für eine Mammutaufgabe das sein muss: In der Siedlung Marienfelde-Süd startet bald Berlins größtes Projekt zur energetischen Gebäudesanierung. 2400 Wohnungen werden runderneuert. Die Mieter erhalten neue Küchen und Bäder. Die Grünanlagen werden umgestaltet. Das wichtigste Ergebnis aber werden die Mieter nicht sehen: Wie die Wärme in ihren Wohnungen bleibt.

Die Eigentümerin Degewo, die größte Wohnungsgesellschaft Berlins, investiert insgesamt rund 200 Millionen Euro in das Projekt und lässt sich dabei von dem Gasversorger Gasag als Dienstleister unterstützen. Der installiert unter anderem eine neue Heizanlage für das Viertel. Die enthält zwei neue 750-Kilowatt- Kraftwerke die nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung arbeiten. Das eine wird mit Erdgas, das andere mit Biogas befeuert und beide produzieren zugleich Strom. So senkt die Gasag den CO2-Ausstoß bei gleicher Leistung um 87 Prozent. Rund zwei Millionen Euro lässt sich die Degewo den Auftrag kosten.

Aber wer zahlt das am Ende? Vor solchen Fragen stehen derzeit Millionen Immobilieneigentümer – große, wie die Degewo mit 71 000 Wohnungen, aber auch Privatleute, die nur ein oder zwei Wohnungen vermieten. Die Politik bleibt ihnen Antworten schuldig.

Dort ist bisher nur Konsens, dass etwas passieren muss, denn Gebäude sind hierzulande für etwa 40 Prozent des Endenergieverbrauchs und rund ein Drittel der CO2-Emissionen verantwortlich. Gleichzeitig sind nur rund zwölf Prozent der Heizungsanlagen auf dem Stand der Technik. Kurzum: Wie in der ab 1968 errichteten Siedlung wird zu viel Gas und Öl in Altkesseln verschwendet, zu viel Wärme entweicht durch die Fugen.

Vor dem Hintergrund hatte die Bundesregierung im Rahmen ihres Energiekonzeptes nach dem Fukushima-Gau auch ein „Gesetz zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungen bei Wohngebäuden“ durch den Bundestag gebracht. Die Länder aber, auch CDU-regierte, stoppten das darin vorgesehene Steuerabschreibungsmodell für Eigentümer mit der Begründung, die entstehenden Steuerausfälle in Höhe von bis zu 900 Millionen Euro nicht schultern zu können.

Seither hat sich eine bisher nicht gekannte Front formiert, die von den Vertretern der erneuerbaren Energien über die Handwerksverbände bis zur Gas- und Mineralöllobby reicht. Gemeinsam fordern sie Bund und Länder auf, sich wenigstens auf ein abgespecktes Abschreibungsmodell für Heizungen zu einigen und die verbleibenden Steuerausfälle von dann nur noch 488 Millionen gemeinsam zu tragen. Das Gesetz würde so viele Wohnungeigentümer animieren, zu sanieren und Kessel zu tauschen, dass dadurch Steuermehreinnahmen von fast einer Milliarde Euro in den kommenden zehn Jahren erzielt werden könnten, argumentieren sie. Das Urgesetz liegt nun im Vermittlungsausschuss zwischen Bund und Ländern. Der tagt am Dienstag. Und wie man auf Regierungsseite hört, liegt kein neuer Kompromissvorschlag vor.

Die Degewo immerhin hat ihr Projekt schon erfolgreich durchkalkuliert. Einen Teil der 200 Millionen Euro müssen die Mieter von „Mariengrün“, wie das Viertel jetzt umgetauft wird, tragen. In einer Beispielrechnung für eines der Hochhäuser steigt die Brutto-Warmmiete von derzeit 7,92 Euro je Quadratmeter auf dann 8,58 Euro nach der Sanierung. „Allerdings fühlen wir uns verpflichtet, die Mieten nicht zu stark anzupassen“, sagt Degewo-Chef Frank Bielka. Immerhin jeder fünfte in dem Gebiet bezieht Hilfe vom Amt. Vier Prozent Mieterhöhung im Schnitt hält er aber für zumutbar.

Nach etwa 20 Jahren amortisiert sich die Energiesanierung für jeden Vermieter wegen der gesparten Brennstoffkosten. Die große Degewo kann so lange warten. Kleine Wohnungseigentümer aber können oder wollen nicht so geduldig sein.

Unsicherheit herrscht auch bei einem anderen Thema: der Energieeinsparverordnung, in der Grenzwerte und Auflagen festgelegt sind, die Degewo und Gasag in Marienfelde erfüllen müssen. Nun denkt die Bundesregierung über eine Verschärfung nach. Nach dem Motto: Wenn Steueranreize nicht durchsetzbar sind, führen vielleicht schärfere Regeln zum Klimaziel. „Das ist der völlig falsche Weg“, sagt Gasag-Chef Andreas Prohl. „Wären die Auflagen härter als sie jetzt schon sind, hätten wir das Sanierungsprojekt gar nicht erst beginnen können.“ Kevin P. Hoffmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false