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Wirtschaft: Jeden Tag ein paar tausend Rubel mehr

Wegen der Geldentwertung steigen die Preise in Weißrussland rapide. Die Inflation dürfte zum Jahresende 100 Prozent erreicht haben.

Die weißrussische Nationalbank will womöglich noch im Laufe des Januar den 200 000-Rubel-Schein einführen. Ein schlechtes Zeichen. Immerhin: Eine Banknote mit der Wertangabe eine Million sei derzeit nicht geplant, versicherte kürzlich die junge Zentralbankchefin, Nadzeja Jermakowa. „Da wäre es besser, eine Geldentwertung durchzuführen“, sagte sie mit wichtiger Mine. Was sie verschwieg: Tatsächlich ist die rapide Geldentwertung längst im Gange. Waren die hellbraunen 100 000-Rubel-Noten vor Jahresfrist noch selten und immer in bestem Zustand, sind sie heute häufig verkritzelte, jämmerliche Geldlappen – im Gegenwert von rund neun Euro.

Weißrussland an der östlichen EU- Grenze wird von seinem Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko gern als Paradies auf Erden gepriesen. Doch steckt das Land seit dessen gefälschter Wiederwahl im Dezember 2010 in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit seinem Machtantritt vor 17 Jahren: Zwischen Januar und September lag die Inflationsrate bei 70 Prozent. Bis zum Jahresende dürfte sie 100 Prozent erreicht haben. Der lokale Rubel musste allein in den letzten zehn Monaten um fast 300 Prozent abgewertet werden. Damit wird Weißrussland laut einer Mitteilung der lokalen unabhängigen Nachrichtenagentur Belapan unter allen Ex-Sowjetrepubliken ein Rekordergebnis erreichen. Selbst die Preise im noch immer bürgerkriegszerstörten Tadschikistan wachsen zehnmal langsamer.

Jeder noch so banale Einkauf in Weißrussland führt dem Besucher die desolate Wirtschaftslage schnell vor Augen. Kosteten ein Kilo Äpfel im Supermarkt Jugo-Zapad vorgestern noch 7700 Rubel, so sind es zwei Tage später bereits fast 9000. Nicht schlecht staunt auch, wer sich über die neuen Trolleybus-Preise informiert zu haben glaubt. Zwei Fahrkarten zu 800 Rubel kosten am Kiosk 2200 Rubel. Des Rätsels Lösung? Auf der Rückseite ist der Aufschlagsstempel von vorne gerade annulliert worden: „Neupreis 1100 Rubel“ steht da schlicht. Um der rasenden Inflation Herr zu werden, erhöhte die Nationalbank den Leitzins im Dezember schlagartig um fünf Prozentpunkte auf 45 Prozent. Dies geschah in Minsk just an dem Tag, als die EZB in Brüssel den Euro-Leitzins zur Krisenbekämpfung auf 1,0 Prozent senkte.

In Minsk werden dennoch fast überall Konsumkredite angeboten. Im Speckgürtel der weißrussischen Hauptstadt werden Wohnblocks und Straßen gebaut als seien gerade wieder Boomzeiten angebrochen. „Diese Baukräne stehen ab Neujahr wohl alle still“, erklärt eine Gemeindebeamtin in einer westlichen Vorstadt, denn eine Krise komme über Europa. „Mit Lukaschenkos Wirtschaftspolitik hat dies nichts zu tun, nein, nein“, kommt die Beamtin einer kritischen Nachfrage gleich selbst zuvor. In weiten Kreisen der Bevölkerung gilt Lukaschenko immer noch als weiser Landesvater, der alles schon wieder richten wird.

Wie hoch dem Autokraten selbst das Wasser am Hals steht, zeigt allerdings der Verkauf erster Filetstücke seiner Staatswirtschaft. Ende November musste Lukaschenko seine strategisch wichtige Staatsfirma Beltransgaz an die russische Gazprom verkaufen. Das weißrussische Schatzministerium bekommt für die Übergabe sämtlicher Gaspipelines im Lande zwei Milliarden Euro. Das Geld wird dringend gebraucht, denn der Autokrat hatte das Wohlwollen seiner Untertanen bisher mit großzügigen Sozialleistungen erkauft. Dieses System droht in der Krise nun wie ein Kartenhaus zusammenzufallen.

Doch seit der Eröffnung der Ostseepipeline ist der Wert des Transitpipelinenetzes eingebrochen. In der Vergangenheit hatte Lukaschenko in Moskau immer wieder dreist mit einem Transitboykott kokettiert. Nun kann Gazprom billig durch internationale Gewässer exportieren, anstatt für ein Fünftel seiner Gasexporte auf Lukaschenkos Laune angewiesen zu sein. Lukaschenko gab sich in Minsk dennoch als Sieger. „Drei Jahre lang haben sie mich genervt, damit ich Beltransgaz verkaufe“, begründete der Präsident vor kurzem den vor allem in Weissrussland höchst umstrittenen Pipelineverkauf. „Soll ich mich stattdessen gegenüber einer rostigen Röhre im Gebet verneigen?“, fragte der verschlagene Autokrat in seiner gewohnt bissigen Art. Der Deal bringt Lukaschenko neben dem Verkaufserlös einen Zehn-Milliarden- Dollar-Kredit für den Bau seines ersten weißrussischen Atomkraftwerks unweit der litauischen Grenze sowie deutlich niedrigere Gaspreise. So muss Weißrussland seit Jahresbeginn statt bisher 300 Dollar pro tausend Kubikmeter nur noch 165 Dollar bezahlen.

Solche Vorzugspreise genoss Lukaschenko früher schon einmal in der immer virtuell gebliebenen Weißrussisch- Russischen Föderation. Als er sich jedoch ab Sommer 2006 für eine großzügige Brüsseler Finanzhilfe der EU anzudienen begann, verlangte Moskau von Minsk wieder die teuren Auslandstarife. Das weißrussische Regime geriet in der Folge immer mehr in Finanznot. Mit massiven Lohnerhöhungen vor den Präsidentenwahlen vom 19. Dezember 2010 schob Lukaschenko die Hyperinflation jedoch selbst an. Seine Staatsangestellten – mehr als 70 Prozent der Betriebe sind noch nicht privatisiert – kauften an den Wechselstellen massenweise Devisen auf. Heute werden diese von der Nationalbank nicht mehr versorgt; Lukaschenko braucht die drastisch schwindenden weißrussischen Devisenreserven für die Bedienung der Staatsschulden.

Und so dürften die offiziell hochwillkommenen ausländischen Besucher das „Land der Störche und Bisons“ – soweit eine gerade erschienene Broschüre der staatlichen Tourismusbehörde – bald mit Bündeln nutzloser Geldscheine verlassen. Münzen gibt es schon lange keine mehr. Dabei war der Weißrussische Rubel (BYR) jahrelang erstaunlich stabil. Doch heute tauschen die Wechselstellen nicht mal mehr weißrussische in russische Rubel um, geschweige denn in Euro. Wenn die Entwicklung so weiter geht, kann ein Reisender für ein paar 100 000 BYR dann vielleicht gerade noch einen Kaffee am Grenzbahnhof in Brest trinken.

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