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Wirtschaft: Jeffrey Burns

Geb. 1950

Musik ist Religion ist Mathematik. Das Wort ist Gesang ist Gebet. Ein Wunderkind. Sein erstes Klavierkonzert gab er mit neun in seiner Heimatstadt Los Angeles. Und wenn es nach seiner Mutter gegangen wäre, einer New Yorkerin, hätte er in allen Konzerthäusern dieser Welt gespielt. Dem Vater war es gleich, er war Möbelbauer, neubarockes Mobiliar, das mehr durch Wucht beeindruckte denn durch Stil.

Die Hoffnung der Mutter war der Sohn. Davor floh er. Und vor der Einberufung nach Vietnam. So kam er als Stipendiat nach Deutschland.

Wunderkinder sind einsam. Selbstherrlich und verloren zugleich, so viele Freunde sie auch immer um sich scharen mögen. Jeffrey Burns hatte viele Freunde, denn er war seiner selbst in vielem sehr sicher und beeindruckte durch Rigorosität: „Ich spiele nur Werke lebender Komponisten. Und niemals auf einem schlechten Instrument. Und nur zu einem Honorar, das meinem Talent angemessen ist.“ In „Classic light“-Zeiten ist das kein sehr profitables Denken, zumal wenn es an Fürsprechern mangelt.

1991 traf er Frank Zappa und bat ihn um ein Klavierstück. Zappa reichte ihm die Partitur zu „Ruth is sleeping“ und grinste: „Unspielbar!“ Ein Jahr später führte Jeffrey das Stück in der Akademie der Künste auf.

Seine Unterhaltungslektüre waren Programmierbücher. Mathematik war für ihn, der das Fach studiert hatte, eine religiöse Erfahrung, denn wie die Musik gibt die Harmonie der Zahlen Hoffnung auf etwas, das nicht von dieser Welt ist.

Musik ist Religion ist Mathematik. Jeffrey Burns’ künstlerische Umsetzung dieser Gleichung war „Max Synagogue“, ein Computerprogramm, das die hebräische Bibel vorsingt, in frei wählbaren Modulationen, wobei der Text immer vor Augen bleibt. Das Wort ist Gesang ist Gebet. Am eindringlichsten zu spüren in den Psalmen, denn sie sprechen, auch dem Ungläubigen vernehmlich, am deutlichsten die „Sprache der Hingabe“. Fast tausend Seiten umfasst Jeffrey Burns Forschungsarbeit über die Musik- und Textstruktur der Bibel-Psalmen.

Monatelang fotografierte er in den Katakomben der Spandauer Zitadelle alte jüdische Grabsteine, entzifferte die Inschriften, versuchte sich einen Reim zu machen auf das, was er sah und an verlorenen Stimmen zu hören glaubte. Die Welt ist ein offenes Buch. Die schönsten Stellen darin sind Lieder, die schrecklichsten die unerhörten Gebete. 250000 Briefe wurden nach dem Krieg in einem deutschen Flugzeug gefunden. Letzte Briefe aus Stalingrad, beschlagnahmt auf höchsten Befehl hin und nie den Angehörigen zugestellt, weil zu hoffnungslos im Tenor. Der israelische Komponist Arie Shapira hat diese „Last Letters vom Stalingrad“ vertont, Jeffrey Burns hat sie aufgeführt.

Sein Name galt etwas in Kennerkreisen, aber das allein garantiert nicht die Ruhe des Schaffens. Genies sind hierzulande ungemein beliebt, sofern sie tot sind. Aber wehe, sie spielen in den Mittagsstunden Klavier.

Die Heimatlosigkeit des Kopfmenschen war es wohl, die ihn zuletzt immer stärker den Halt im Glauben suchen ließ.

Als sein Vater starb, der keineswegs ein sehr frommer Jude gewesen war, sprach Jeffrey dem orthodoxen Ritus gemäß elf Monate lang in der Synagoge das Kaddisch-Gebet, mit dem der Toten gedacht wird. Jeden Morgen. Die Kinder musste die Mutter zur Schule bringen.

Ruth ist die Erstgeborene. Und weil sie nicht als Einzelkind aufwachsen sollte wie er selbst, wollte er ein zweites Kind. Aber keine Familie. Dem fühlte er sich nicht gewachsen. Zu viel Verantwortung. Er hat die Normalität gesucht, oft genug, aber er konnte ihr nicht standhalten.

Ein Genie hat das Recht, Einzelgänger zu bleiben, und Kinder haben das Recht auf ihren Vater. Dem stellte er sich, so gut er konnte, aus Verantwortungsgefühl, und wohl auch, weil er insgeheim hoffte, dass in ihnen sein Talent weiterlebt.

Jeffrey Burns starb im Bett, völlig überraschend. Bibel und Brille hatte er gerade auf den Nachttisch gelegt. Die Zirkuskarten für den Ausflug mit der Tochter lagen schon im Auto.

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