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Wirtschaft: Joachim Schöne

(Geb. 1928)||Natürlich mussten Kutschen auf das Bild zum Firmenjubiläum.

Natürlich mussten Kutschen auf das Bild zum Firmenjubiläum. Der Richardplatz in Rixdorf erinnert ein wenig an die alten Zeiten, als statt Autos noch Pferdekutschen über das Kopfsteinpflaster klapperten. Wenn heute noch Hufe auf der Straße zu hören sind, dann kommt die Kutsche, wie damals auch schon, meist aus der Nummer 18. Dort befindet sich seit 100 Jahren das „Fuhrunternehmen Schöne“.

Der Großvater hatte das Geschäft aufgebaut. Schon immer musste die ganze Familie mit anpacken. Die Kutschen fuhren durch die ganze Stadt, egal zu welchem Anlass: zu Hochzeiten, als Leichenwagen, für Arbeitstransporte. Auch der kleine Joachim saß, kaum dass er alt genug war, vornehm mit Mantel und Zylinder auf dem Kutschbock.

Einzig im Krieg war er länger fort vom Richardplatz. Aus der britischen Gefangenschaft kam er wohlgenährt zurück. Weil er gut Englisch sprach, war er der Lebensmittelabteilung zugeordnet. „Ich war so füllig, dass meine Mutter mich beinahe nicht erkannt hätte.“ Joachim hatte von nun an wenig Freizeit, doch in der lernte er Rose-Charlotte kennen. Es war im Schwimmverein Neukölln und so etwas wie Liebe auf den ersten Blick.

Die zarten Bande der Zuneigung waren zunächst auf eine Probe gestellt. Häufig musste Rose-Charlotte bei Verabredungen mit Joachims Freunden vorlieb nehmen, weil er noch eine Fuhre zu erledigen hatte. Doch sie war geduldig – und Joachim hatte auch große Vorzüge: Er war ehrlich und beständig. Heiraten wollte er erst nach sechs Jahren, als er das Startkapital für die Familiengründung zusammen hatte. Die Ehe hielt schließlich 48 Jahre. Joachim, Rose-Charlotte und die drei Kinder wohnten gleich neben dem Fuhrunternehmen am Richardplatz.

Auch nach der Hochzeit war er viel unterwegs, stets im Namen des Transports. Die neue Uhr für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche geleitete er auf einem Sechsspänner den Tauentzien entlang. Im Film „Der Eiserne Gustav“ kutschierte er den im wahren Leben gar nicht sehr freundlichen Heinz Rühmann. In der Deutschlandhalle glättete er die Bahnen beim Reit- und Springturnier auf einem Schleppbrett, das von zwei Pferden gezogen wurde. Die Muppetshow versorgte er mit Kutschen für eine Geburtstagsfeier auf Neuschwanstein.

Doch die Zeiten änderten sich. Reitbahnen wurden mit Maschinen geglättet, ein Auto besaß inzwischen beinahe jeder. Doch gestorben wurde immer noch. So transportierte die Firma Schöne schließlich fast nur noch Leichen. Doch darüber sprach Joachim Schöne wenig. Darüber, wie es war, wenn sich Hinterbliebene an ihn klammerten, als könne er die Toten wieder lebendig machen. Stattdessen legte er sich einen Galgenhumor zu. „Ach deswegen sieht man den so selten!“, sagte er, wenn in seiner Kirchgemeinde jemand gestorben war.

Längst war er Chef des Unternehmens. Und Buchhalter war er auch. Zum Firmenjubiläum 1994 wurden Fotos gemacht: Herr Schöne inmitten der historischen Fahrgestelle, den noblen Wagen und Chauffeuren. Stolz blickt der Chef aus dem Hof nach oben. Das Fuhrwesen war inzwischen fast ganz auf Autos umgestellt worden, aber die prächtigen alten Kutschen mussten mit aufs Bild.

Auch die Buchungsmaschine, die er stets pünktlich um sechs Uhr morgens eingeschaltet hatte, war ein Relikt vergangener Tage. Eines Tages verweigerte sie den Dienst – das war für Joachim Schöne das Zeichen, die Firma der nächsten Generation und der modernen Technik zu überlassen. Statt sich selbst noch mit Computern auseinander zu setzen, fuhr er lieber nach Australien und Amerika. Englisch sprach er ja.

Nachdem seine Frau gestorben war, hatte er schließlich auch keine Lust mehr auf das Leben. Die Firma führten inzwischen seine Kinder, alles war geregelt. Er wurde schusselig, vergaß zu essen und zu trinken. Nach drei Jahren mit der Alzheimer-Krankheit starb Joachim Schöne. Das Krankenhaus stand nicht am Richardplatz.

Veronika de Haas

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