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Wirtschaft: Job-Nomaden aus Überzeugung

Viel Freiraum und kaum Langeweile: Für Akademiker kann Leiharbeit eine spannende Sache sein

Die Wirtschaft zieht an, Fachkräfte werden knapp – und Zeitarbeit hat Hochkonjunktur. Nach Schätzungen des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA) könnte 2011 die Zahl der Beschäftigten in der Branche erstmals die Millionengrenze überschreiten. Tatsächlich suchen Unternehmen fast aller Wirtschaftszweige händeringend neue Leute. Jede dritte bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Stelle ist derzeit ein Zeitarbeitsplatz.

Großer Wehrmutstropfen: Zeitarbeiter erhalten für gleiche Arbeit im Schnitt zwischen 15 und 20, manchmal sogar bis zu 40 Prozent weniger Geld als ihre festangestellten Kollegen. Sie sind aber genauso wie diese sozialversichert. Für Ariane Durian, Vorsitzende des Interessenverbandes Zeitarbeit, ist der wichtigste Punkt allerdings ein anderer: Geringqualifizierte könnten auf diesem Weg in den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren. Außerdem sei Zeitarbeit für Kandidaten und Unternehmen „eine große Chance, sich gegenseitig kennenzulernen und festzustellen, ob man zusammenpasst“.

Dieser „Klebeeffekt“ – also die Festanstellung nach einem Job auf Zeit in der gleichen Firma – ergibt sich derzeit besonders häufig. „Die Quote liegt momentan bei 36 Prozent, so hoch war dieser positive Nebeneffekt seit Jahren nicht mehr“, meint Sylvio Sperling, Geschäftsführer beim Personaldienstleister Rand- stad. In Berlin und Brandenburg gebe es derzeit eine besonders große Nachfrage nach Zeitarbeitern in der Solarindustrie, in der Logistikbranche, in den Verwaltungen von Privatunternehmen und in öffentlichen Einrichtungen. „Im Krisenjahr 2009 haben viele Firmen Mitarbeiter entlassen. Diese Kräfte fehlen ihnen jetzt“, meint Sylvio Sperling.

Während Firmen wie Randstad, Addecco oder Manpower in die unteren und mittleren Unternehmensebenen vermitteln, haben sich andere auf die „Beletage“ spezialisiert: Sogenannte Provider für Interim Management verleihen Führungskräfte auf Zeit. Zu ihnen gehören etwa Zeitmanager München, Top50, Manatnet oder Management Angels. Interim Manager werden geholt, wenn ein Unternehmen entweder so rasant wächst, dass es nicht schnell genug neue Mitarbeiter für Festanstellungen findet, oder weil es einen Einstellungsstopp gibt, erklärt Marc Alexander Runge, der selbst als Interim Manager für Telekommunikations-, Internet-, Medien- und E-Commerce-Unternehmen arbeitet. Der Berliner steht zusammen mit rund 1500 anderen geprüften Führungskräften im Pool der Management Angels auf Abruf. Das Hamburger Unternehmen kümmert sich um die Suche nach geeigneten Bewerbern, vom Qualifikations-Check bis zur Stellenbesetzung. Außerdem begleitet es die Fortschritte während des Projektverlaufs. Abgerechnet werden die geleisteten Tage – mit Durchschnittssätzen von rund 950 Euro. Je nach Komplexität des Projektes bekommt der Vermittler von diesem Honorar zwischen 20 und 33 Prozent.

Laut „Angels“-Geschäftsführer Thorsten Becker sind die mobilen Manager heute „in allen Branchen, Unternehmensgrößen und Funktionen tätig, als Spezialisten oder Generalisten“. Der Altersdurchschnitt liege bei Mitte 40, etwa 20 Prozent seien weiblich. Erwartet würden „Führungsstärke, kommunikatives Fingerspitzengefühl, fachliches Know- how, Branchenerfahrung und Seniorität“. Und Interimer sollten in der Lage sein, „eine neue Aufgabe schnell anzupacken und andere zu motivieren“.

Erstaunlich: Marc Alexander Runge hat als „Manager von außen“ unterm Strich oft mehr im Portemonnaie als seine festangestellten Kollegen auf gleicher Hierarchieebene – obwohl er sich als Freiberufler selbst versichern muss. Auch deswegen ist er gerne beruflicher „Nomade“. Das bestätigt auch Thorsten Becker. Viele Führungskräfte schätzten die Herausforderung, sich auf immer neue Unternehmen, Projekte und Rahmenbedingungen einstellen zu müssen. „Sie möchten gar nicht ausschließlich für eine Company arbeiten.“

Becker und Runge sehen momentan in Berlin die größte Nachfrage nach Managern im Telekommunikations- und E-Commerce-Bereich. Vor allem junge, schnell expandierende Unternehmen holten sich Führungskräfte auf Zeit ins Haus. Zu ihnen gehört DailyDeal, die Betreiber eines Rabatt-Portal mit täglich wechselnden Freizeit- und Shoppingangebot für die größten Städte Deutschlands. Nach Überzeugung von DailyDeal-Gründer Fabian Heilemann kann die Expertise und langjährige Erfahrung externer Manager einem Startup helfen, schnell professioneller zu werden. Diese werden daher auch vom ersten Tag an als „vollwertige Teammitglieder“ aufgenommen.

Eine besondere Nische im Bereich der Zeitarbeit hat der Berliner Michael Weber besetzt. Mit seiner „Anästhesie-Agentur“ verleiht er Fachärzte für Anästhesie – tage-, wochen- oder monatsweise. Rund 20 Kollegen sind derzeit bundesweit im Einsatz. „Viele schätzen die Flexibilität, und dass sie nicht so fest in den Klinikalltag eingebunden sind“, sagt Weber, der selbst Anästhesist ist.

Der Narkose-Bereich eigne sich gut für einen Einsatz auf Zeit. Viele Prozesse seien standardisiert und der Kontakt zu den Patienten stehe nicht so sehr im Vordergrund wie in anderen Disziplinen. Großer Unterschied zum „Standard-Zeitarbeiter“: Weber zahlt übertariflich und damit sogar besser als die Kliniken.

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