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Wirtschaft: Jürgen Pollack

(Geb. 1943)||Ein Meister der Verneinung und auch ein großer Strippenzieher.

Ein Meister der Verneinung und auch ein großer Strippenzieher. Jürgen Pollack hatte zwei Spitznamen: „Paule“ und „Nischte“. Paule war ein leiden- schaftlicher Wan derruderer und großer Kumpel. Nischte dagegen war berüchtigt für seinen Sturkopf. Der eine machte sich Jahrzehnte lang um den Rudersport verdient, an dem anderen prallten selbst die harmlosesten Extrawünsche wie kleine Gummibälle ab: „Jib’s nich’. Nischte!“ Paule war ein Geselligkeitsmensch. Nischte zwar auch, aber nur, solange alles nach Nischtes Nase lief. So richtig in die Quere gekommen, sind sich die beiden nie.

Keine fünfhundert Meter von der Regattastrecke auf dem Langen See entfernt, wuchs Jürgen Pollack auf. Sein Vater war „der Zickenbauer von Grünau“. Als Kind musste er täglich bei der Versorgung der Tiere helfen, was er hasste. Zum Rudern kam er durch seinen Onkel Fritz. Er gewann einige Rennen, doch für eine Karriere als Rennruderer war er mit seinen 1,76 Metern zu klein. Dabei hatte er einen kräftigen Armzug und besaß ein gutes Bootsgefühl.

Nach der Ausbildung zum Heizungsbauer – damals fuhr er täglich in den Westteil der Stadt – verlegte er sich mehr und mehr auf das Wanderrudern. Dann stand eines Tages die Mauer, und Jürgen Pollack betrachtete sie nicht nur als ein Verbrechen am Menschen, sondern auch als eines am Berliner Wassersport.

Die alten Westruderer hatten nun keinen Zugang mehr zu den traditionsreichen Bootshäusern im Osten. Das ging dem nach Gemeinschaft strebenden Ruderkameraden Pollack gehörig gegen den Strich: „Nischte!“ Er schloss sich einer Gruppe an, die jedes Jahr im Herbst eine mehrtägige Wanderruderfahrt organisierten, die HDAF – „Herbstdoppelachterfahrt“. Was die Verbandssportfunktionäre erst mit der Zeit herausfanden: Die HDAF, an der von Jahr zu Jahr mehr Boote teilnahmen, war durchsetzt mit Freizeitruderern aus dem Westen.

Eines Tages bekam Jürgen Pollack einen bösen Brief. Da bemühte er sich nur umso mehr um die HDAF. „Es gibt immer Mittel und Wege“, lautete sein Wahlspruch. Man schrieb Decknamen in die Meldelisten, organisierte private Boote und empfahl den Freunden aus dem Westen, Tarnvereine zu gründen. „Traktor Rastow“ war einer, offiziell ein Mecklenburger Reit- und Fußballverein mit Nebensparte Rudern.

Paules untersetzte Statur, die roten Wangen, der gestutzte Schnauzer signalisierten Gemütlichkeit. Der Berliner Jargon rundete den Eindruck ab. Gleich auf einer seiner ersten HDAF, Anfang der 70er, kam auch sein besonderes Materialbeschaffungstalent zum Vorschein. Als das eigentlich vorgesehene Eisbein für den großen Kommers ausfiel, schaffte er kurzerhand 40 Kilo Zanderfilet heran und rettete der Mannschaft den Abend. Mochte Nischte zuweilen etwas zu viel Negationstemperament versprühen, so war auf Paules Strippenzieher-Genie immer Verlass.

Als Heizungsfachmann mit kleinem Betrieb und drei Angestellten hatte Jürgen Pollack gelernt, wie man im staatlich geregelten Geschäftswesen einkömmlich wirtschaftet. Hier ein bisschen frischen Aal, da ein Paar Bücklinge – so wurde sein Materialkontingent um ein paar Extrameter Heizungsrohr aufgestockt. „Die besten Geschäfte macht man in der Kneipe“, sagte er immer.

Lange fuhr er mit seiner „Russenkuh“, einem alten Wolga, zu den Kunden, bis er sich einen der wenigen importierten VW Golf leistete. 60 000 Ost-Mark hat ihn der gekostet. Nach der Wende war auch bei den Heizungstechnikern alles anders als vor der Wende: Plötzlich gab es zu viele davon. Und dann war da noch Nischte: Der sah überhaupt keinen Grund, auf die neue Kupferrohrtechnik umzusteigen. Die Kunden sahen das anders.

Als er an Krebs erkrankte, verlor er Kilo um Kilo. Mitgerudert ist er bis zum Schluss. Dieses Jahr wäre es seine 37. Herbstdoppelachterfahrt gewesen.

Wer immer den Part der Fahrtenleitung übernommen hat, ohne Paule ist so eine HDAF eigentlich undenkbar. 200 Ruderfreunde aus Ost und West nahmen von ihm Abschied. Sie kamen alle mit Ruderkappe. Das hatten sich Paule und Nischte so gewünscht.

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