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Wirtschaft: Käte Holtz-Reimann

Geb. 1934

Naiv, weiblich, hübsch, gläubig. Das lässt sich schlecht behandeln. Das Foto zeigt einen gigantischen Augenaufschlag, geschwungene Brauen wie mit japanischer Tusche gemalt, einen glänzenden Kussmund, die Locken akkurat um das Gesicht gezupft. Dazu die geschlossene Seidenbluse mit Pünktchen in Doris-Day-Manier. Kokett und züchtig zugleich präsentierte sich die Miss Berlin 1954. Käte Holtz war 20, als sie in der Boomzeit der Misswahlen Berliner Stadtkönigin wurde, als man ihr das Krönchen auf dem dunklen, toupierten Haar platzierte und als großen Preis im Anschluss eine Chippendale-Lampe überreichte.

Als eine der 24 „Länderschönsten“ fuhr sie natürlich auch zur Wahl der „Miss Germany“ nach Baden-Baden, wo der Strumpfhersteller Opal das Spektakel alljährlich ausrichtete. Sie präsentierte sich der Jury in Abendkleid und Badeanzug, warf tiefe Blicke, streckte sich, stolzierte – und wurde doch nur Vierte. Später sagte sie: „Es hat am Kleid gelegen, woran sonst?“ Aber war sie enttäuscht, weil das, wovon damals so viele Frauen träumten, auch für sie nicht wahr geworden war? Kann sein. Ihr Freund Klaus, mit dem sie schon seit frühester Jugend zusammen war, jedenfalls stand schwer erleichtert am Bahnhof, als sie zurückkam. Hielt hundert rote Rosen im Arm, froh, dass seine Käte nicht auch noch nach Amerika fliegen würde – zur Wahl der „Miss Universum“. Was soll der ganze Zirkus, Liebling, sagte er, ich sorge doch für dich.

Sie war ein eher unscheinbares Schulmädchen, bevor der ganze Rummel begann. Sehr gute Aufsätze schrieb sie – ohne jemals rechtzeitig fertig zu werden, erinnert sich eine Schulfreundin. Eigentlich eine Eins, aber so nur eine Drei, Käte, pflegte die Lehrerin bedauernd zu sagen. Nur zum Spaß zog sie einmal einen Tellerrock mit Stretchgürtel an, stöckelte zum „Covergirl“-Wettbewerb ins Astorkino und gewann den kleinen Werbevertrag mit Coca-Cola. Der Schuldirektor stellte sie vor die Alternative: Den Schönheitsquatsch ablehnen oder das ehrwürdige Mädchengymnasium verlassen. Und was sagte die Mutter dazu? Du brauchst doch kein Abitur, Kind, du wirst Fotomodell!

Also ging Käte Holtz von der Schule ab und arbeitete fortan auf Modenschauen. Später hat sie es so beschrieben: „Naiv- passiv, weiblich-gehorsam, gläubig und hübsch. Lässt sich schlecht behandeln.“ Sie träumte damals vom Journalistenberuf, vom Fotografieren. Doch sie forderte nichts ein, sie fügte sich, wollte daran glauben, dass Liebe doch eigentlich alles ist, wurde eben Hausfrau, Ehefrau, dreifache Mutter. Als ihr Mann nach zehn Jahren Ehe eine Andere kennen lernte, kam sie, so schreibt sie später, „zutiefst lebensmüde“ in die Nervenklinik – und damit endete der erste Teil ihres Lebens.

Der zweite beginnt im West-Berlin der späten sechziger Jahre. Studentenbewegung, Frauenbewegung, die wild blühende Psychoszene. Sie stürzt sich in all das mitten hinein: Nun also doch das eigene Leben leben – was bleibt ihr anderes übrig? Da ist keiner mehr, der für sie sorgt. Zunächst macht sie eine Psychoanalyse, dann stößt sie zu der „Rattner- Gruppe“. Jede Woche treffen sich damals an der Freien Universität bis zu 1000 Männer und Frauen in einem Hörsaal, um sich unter Anleitung von Paul Rattner mit „offenen Statements“ gegenseitig zu therapieren. Käte Holtz fällt auch hier auf, gehört zu den wenigen, die sich trauen, vor so vielen Leuten ans Mikrofon zu treten und sich auszusprechen: über Sexualität, Krieg und Frieden, den Holocaust und wie sie das alles persönlich verändert hat.

Mit ihren Kindern wohnt sie in der großen Altbauwohnung ihrer Mutter in der Fasanenstraße, hat einen Dumping-Mietvertrag von 1946. Zum Glück, denn sie schlägt sich mit Aushilfsjobs durch, vermietet Zimmer. Sie findet eine gute Stelle als Sekretärin, doch Geld bleibt lebenslang ihr Problem. Nie gibt es genug davon, für alles, was sie kaufen möchte: Kosmetik, Möbel, Kleider – so viel unwiderstehlich Schönes, das sie trotzdem immer weiter anhäuft und schließlich vier komplette Keller füllt. „Ich weiß, das ist eine Ersatzbefriedigung“, sagt sie.

Mit einem leidenschaftlichen Sizilianer ist sie einige Jahre glücklich, später mit einem Afrikaner, Doch keiner kann ihr genug Liebe geben, es bleibt dieser merkwürdige Hunger, den auch ihr Kuschelhund und das Kätzchen nicht stillen können. Sie fährt allein durch Afrika, ein halbes Jahr. Voller Eindrücke und Tatendrang kommt sie wieder – und packt doch wochenlang nicht einmal die Koffer aus.

Es gibt einen Stapel Gelegenheitsgedichte von ihr, einen Zeitungsartikel und Stichworte für eine autobiografische Erzählung. Sie konnte sehr gut fotografieren, sagt die Freundin, sie hatte viele Talente. Nur daraus etwas zu machen, daran fehlte es. Mit 60 mietete sie eine winzige Wohnung auf Teneriffa, sagte zu ihren Kindern: Kommt doch auch. Doch die hatten kein Geld, nicht einmal für den Flug. Zurück in Berlin rieb sie sich als Tagesomi auf, bis die Gallensteine Probleme machten. Drei Wochen lag sie auf der Intensivstation, schon am ersten Tag sagte sie: Ich werde sterben. Meine Vergangenheit ist mein Reichtum, eine Zukunft habe ich ohnehin nicht.

Kirsten Wenzel

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