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Kampf ums Korn. Spekulanten machen Geschäfte mit Nahrungsmitteln.

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Kampf ums Korn: Wie Spekulanten den Hunger fördern

Mehr als eine Milliarde Menschen auf der Welt sind unterernährt. Die Spekulanten an den Rohstoffmärkten verschärfen das Problem.

Es wird um Hunger, Armut und Kindersterblichkeit gehen, wenn am 20. September die Staats- und Regierungschefs in New York zum Millenniumsgipfel zusammentreffen. Die Zwischenbilanz, die die Politiker ziehen werden, wird wenig erfreulich ausfallen. Denn die Millenniumsziele, die zum Beispiel bis 2015 den Hunger in der Welt halbieren sollten, liegen trotz einiger Erfolge in weiter Ferne.

1990 waren 20 Prozent der Weltbevölkerung unterernährt – 817 Millionen Menschen – davon die meisten in Subsahara-Afrika und Südasien. Zwar konnte der Hunger in Teilen der Welt erfolgreich eingedämmt werden – 2005 waren 16 Prozent der Menschen (830 Millionen) unterernährt. Doch die Finanzkrise und die wachsende Bevölkerung ließen die Zahl 2009 nach Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) auf mehr als eine Milliarde ansteigen. Das Millenniumsziel zu erfüllen hieße, die Anzahl der Hungernden bis 2015 auf 584 Millionen zu senken. Obwohl sich nach der Finanzkrise die Weltwirtschaft wieder erholt, bedrohen nun zunehmend extreme Wetterlagen und auch die Preisschwankungen durch Spekulation an den Agrarrohstoffmärkten die Ärmsten der Armen.

Weltweit sind durch Dürren und Brände, durch den harten Winter und Überschwemmungen die Getreideernten schlechter ausgefallen. Der Bedarf der wachsenden Weltbevölkerung steigt gleichzeitig weiter. Der Weltgetreiderat (IGC), in dem die Länder sitzen, die das internationale Getreidehandelsabkommen unterzeichnet haben, hat seine Ernteprognose fürs kommende Jahr um 42 Millionen Tonnen nach unten korrigiert, auf 1,745 Milliarden Tonnen. Die Folgen der Verknappung wichtiger Grundnahrungsmittel wie Weizen oder Mais können für Menschen in Entwicklungsländern äußert bedrohlich sein, nicht selten Hunger oder den Tod bedeuten. Deutsche Verbraucher werden sie allenfalls durch Preisanstiege im Supermarkt spüren.

Die größten Getreideexporteure und Produzenten der Welt sind China, Indien, die USA, Russland, Kanada, Australien, Argentinien und die EU. „Den wenigen Nettoexporteuren stehen sehr viele Getreideimporteure gegenüber, besonders arme Länder in Afrika“, sagt Tobias Reichert von der Nichtregierungsorganisation Germanwatch. In Afrika sei die Bevölkerung gewachsen, die Produktivität der landwirtschaftlichen Anbauflächen jedoch nicht. „Hier wurde kaum investiert“, sagt Reichert. Die Industrienationen hingegen investieren kräftig in ihre Landwirtschaft. Die EU unterstützt ihre Bauern jährlich mit Milliardenbeträgen. Lange Jahre waren deshalb die Weltmarktpreise so niedrig, dass sich für viele ärmere Staaten die eigene Produktion nicht mehr lohnte. Sie wurden abhängig von Importen. „Viele afrikanische Länder sind heute Selbstversorger auf niedrigem Niveau“, sagt Agrarökonom Joachim von Braun. Bei schlechten Ernten kommen diese Staaten schnell in Bedrängnis und müssen mehr importieren – zu hohen Preisen, die die Nahrung für viele Teile der Bevölkerung unerschwinglich macht.

Derzeit sorgen die schlechten Ernten und die geringe Produktivität für ein geringeres Angebot an den Warenterminbörsen. Dadurch steigen die Preise. „Die Menschen in Entwicklungsländern geben bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus“, sagt Reichert. Deshalb seien sie besonders hart von Preisschwankungen betroffen. So gibt es indische Mütter, die kein Gemüse und keinen Fisch mehr essen, um ihre Kinder ernähren zu können. Oder Eltern, die ihre Kinder aus der Schule nehmen, um genug Geld für Essen zu haben. Der Welthungerindex, den das Internationale Forschungsinstitut für Ernährungspolitik erhebt, zeigt, dass Menschen in 84 Ländern hungern, an der Spitze die Demokratische Republik Kongo, Burundi und Eritrea.

Viel Getreide in der Welt wird eingelagert, derzeit werden die Bestände auf 190 Millionen Tonnen geschätzt. „Der Preis wird auch durch die Lagerung bestimmt“, sagt von Braun. Zwar beruhigen ausreichende Lagerbestände die Märkte, das künstliche Zurückhalten von Getreide in Zeiten hoher Nachfrage und schlechter Ernten, etwa durch Regierungen, treibt aber die Preise. Russland stoppte aus Angst vor Knappheiten seine Exporte, die Ukraine hält in ihren Häfen derzeit knapp 380 000 Tonnen Getreide fest. Auch Händler können bei steigenden Preisen Rohstoffe in Hoffnung auf höhere Gewinne horten. Ein britischer Kakaohändler hatte jüngst von sich reden gemacht, weil er an der Londoner Warenterminbörse einen Großteil des verfügbaren Kakaos aufgekauft und das Angebot künstlich verknappt hatte – die Preise für eine Tonne stiegen auf ein 30-Monats-Hoch.

Genau diese durch Spekulation hervorgerufenen Preissprünge aber machen den armen Ländern besonders zu schaffen. Die Preise für Kaffee, Mais und Weizen schnellten in den vergangenen Monaten massiv in die Höhe. Generell, so findet Agrarökonom Joachim von Braun, sind Spekulationsgeschäfte an den Warenterminbörsen wichtig, weil sie rechtzeitig Knappheiten anzeigen und den Markt liquide halten. Spekulation sei aber dann schädlich, wenn sie nur auf kurzfristige An- und Verkaufsgewinne, sogenannte Arbitragen, abziele. „Durch den Einsatz von Finanzkapital wird der Preis zusätzlich verzerrt“, sagt von Braun. „Das führt zu Ineffizienz und Knappheit und daraus ergeben sich Hunger, Armut, und Not“. So attestiert auch ein Gutachten der Weltbank den Spekulanten einen maßgeblichen Anteil an der Nahrungsmittelkrise 2007 und 2008. Die alleinige Schuld an hohen Preisen tragen sie nach Expertenmeinung aber nicht: „Spekulanten machen keine Trends, sondern verstärken sie“, sagt Martin Schraa von der Agrarmarkt-Informationsgesellschaft. Nun will auch die Politik gegen die Spekulation vorgehen, nachdem schon die Vereinten Nationen vor Nahrungsengpässen gewarnt hatten. „Nahrungsmittel dürfen nicht Gegenstand reiner Finanzspekulation sein“, hatte Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) kürzlich betont. Sie will sich für mehr Transparenz und eine Begrenzung der Preisschwankungen einsetzen. Frankreich will den Kampf gegen missbräuchliche Spekulationen auf den Agrar- und Rohstoffmärkten zum Thema seiner G-20-Präsidentschaft machen. „Wir brauchen mehr Transparenz und eine Verteuerung des Spekulierens durch Kapitalhinterlegungspflichten für Investoren“, fordert von Braun. So müsste für Käufe mehr Eigenkapital hinterlegt werden.

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