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Wirtschaft: Kanzleien und Globalisierung: Der Preis für Fusionen ist hoch

Wenn Christoph Wagner aus dem Fenster schaut, dann hat er das neue Berlin fest im Blick. Links der Deutsche Bahn-Tower und das Sony-Center, rechts die Info-Box und das Hotel Adlon.

Wenn Christoph Wagner aus dem Fenster schaut, dann hat er das neue Berlin fest im Blick. Links der Deutsche Bahn-Tower und das Sony-Center, rechts die Info-Box und das Hotel Adlon. Auch Wagner ist Teil des neuen Berlin: Seit der Wettbewerbsrechtler mit einigen Anwaltskollegen seinem alten Brotgeber Oppenhoff Rädler den Rücken gekehrt hat, residiert er mit neuem, amerikanischem Namensschild in einem gläsernen Hochhaus am Potsdamer Platz. Die Büros sind nur provisorisch eingerichtet, der nächste Umzug in ein noch größeres Büro im Nebengebäude ist nicht mehr fern. Wagner und seine Kollegen haben noch viel vor.

Grafik: Die größten und erfolgreichsten Kanzleien in Deutschland

Bis vor wenigen Wochen hat Wagner im Berliner Büro von Oppenhoff Rädler gearbeitet. Doch seit die Wirtschaftskanzlei Anfang Januar mit der amerikanischen Sozietät Linklaters fusionierte, die weltweit mehr als 1100 Anwälte beschäftigt, hatten der Rechtsanwalt und viele Kollegen keine rechte Freude mehr an ihrem Arbeitgeber. Sie haben sich mit der amerikanischen Kanzlei Hogan & Hartson zusammengetan. "Wir wollten etwas Neues aufbauen, nicht einen Platz in einem restrukturierten Unternehmen finden", sagt Wagners Anwaltskollege Gernod Meinel. Insgesamt sind 20 Partner einschließlich der beiden Senior-Partner Peter Raue und Klaus Mock ausgezogen.

Die Krise bei der Traditionskanzlei Oppenhoff Rädler ist kein Einzelfall: Im Zuge der Fusion mit White & Case entscheiden sich auch neun Anwälte der Kanzlei Feddersen Laule Ewerwahn, ein eigenes Büro zu gründen. Die Kanzlei Gaedertz, die 200 Anwälte beschäftigt, ist über den Fusionsverhandlungen mit der britischen Kanzlei Norton Rose sogar ganz zerbrochen.

Seit globalen Großfusionen wie Mannesmann/Vodafone oder Daimler-Chrysler die Welt bewegten, sind auch die Dealmacher, die Anwaltskanzleien, dazu übergegangen, sich zu weltweiten Rechtsanwaltsfirmen zusammenzuschließen. Allein im letzten Jahr wurden fünf große Kanzlei-Fusionen bekanntgegeben. So haben sich Bruckhaus Westrick Heller Löber haben sich mit Freshfields, Pünder Volhardt Weber & Axter mit der britschen Clifford Chance und Boesebeck Droste mit Lovells zusammengetan.

Viele M & A-Kanzleien sehen keine Alternative: "Wenn man grenzüberschreitende Fusionen betreut, muss man auch einen grenzüberschreitenden Service anbieten", sagt Oppenhoff-Sprecher Ulrich Horstschäfer. "Dafür braucht man stehende Teams, die partnerschaftlich zusammenarbeiten und einen Auftrag auch mal innerhalb von 48 Stunden abarbeiten können. Die Mandanten wollen Betreuung aus einer Hand."

Für die Kanzleien machen sich die Zusammenschlüsse im Kampf um lukrative Mandate oft bezahlt. Aber sie zahlen einen hohen Preis: Viele Anwälte fusionierter Großkanzleien haben sich einen neuen Job gesucht. Dem meist strengen Diktat der Angelsachsen wollten sie sich nicht unterwerfen.

Dass es viele Zweifler gibt, weiß auch die Konkurrenz. Die Folge: In einer Branche, in der es früher selbstverständlich war, dem ersten Arbeitgeber bis zur Rente treu zu bleiben, wird das Job-Hopping immer normaler. Headhunter gehören inzwischen genauso selbstverständlich zum Kanzlei-Alltag wie die grüne Umlaufmappe. Angelsächsiche Juristenblätter wie "Legal Week" machen sich einen Spaß daraus, auf ganzen Seiten abzudrucken, wer gerade wohin gewechselt ist. "Die Yellow Legal Press", nennt das Alexander Kollmorgen von der Kanzlei Gaedertz mit merklicher Häme. Viele Namen seiner ehemaligen Kollegen finden sich auf den Listen wieder.

Amerikanische und britische Anwaltskanzleien bringen eine andere Kultur mit, an die viele deutsche Kollegen nicht recht gewöhnen können. Sie werden geführt wie Unternehmen, legen mehr Wert auf Profitabilität, haben traditionell stärkere Hierarchien und ein stärkeres Management als deutsche Anwaltskanzleien. Und sie sind den deutschen Partnern zahlenmäßig meist stark überlegen - was die Spekulationen über eine mögliche "feindliche Übernahme" in der Branche nicht ruhen lässt.

Rechtsanwalt Cornelius Fischer-Zernin von der jüngst mit der US-Anwaltsfirma White&Case fusionierten Kanzlei Feddersen spricht aus, was andere denken. Er hält die Fusion von Oppenhoff Linklaters und den Zusammenschluss von Pünder mit der Clifford Chance für britische Übernahmen. "Engländer neigen dazu, die Fusionen kolonialistisch zu betreiben", sagt Fischer-Zernin. Seine Kanzlei habe sich daher bewusst für die Fusion mit der amerikanischen White&Case entschieden. "Amerikaner sind zwar Vertreter einer imperialen Großmacht, gehen aber partnerschaftlich miteinander um", sagt er. In der internationalen Kanzlei mit weltweit 1400 Anwälten, davon 170 in Deutschland, würden deutsche Partner nicht anders behandelt als Partner in New York oder Hongkong.

Einen ganz anderen Weg hat die Sozietät Hengeler Müller Weitzel Wirtz gewählt, die gerade als "Europäische Anwaltsfirma des Jahres 2000" ausgezeichnet worden ist und neben Bruckhaus als führende deutsche M & A (Mergers &Akquisitions)-Kanzlei gilt. Hengeler Müller, die unter anderem an dem Kauf von Voicestream durch die deutsche Telekom und der Fusion von Hoechst und Rhône-Poulenc zu Aventis beteiligt waren, hat sich bewusst gegen eine internationale Fusion und für die Unabhängigkeit entschieden - trotz zahlreicher Angebote britischer und amerikanischer Sozietäten. "Uns war wichtig, unsere deutsche Anwaltskultur und Identität zu erhalten" sagt Hengeler-Müller-Sprecher Oleg de Lousanoff. "In den Mega-Firmen ist es fast unmöglich, sehr gute Qualität aufrechtzuerhalten."

Da aber auch die Mandanten von Hengeler Müller eine globale Betreuung erwarteten, arbeitet die Kanzlei bei internationalen Mandaten mit der Londoner Kanzlei Slaughter & May und der amerikanischen Sozietät Davis Polk & Wardwell zusammen. Für die Kollegen hat Lousanoff wenig Verständnis: "Ich finde es bedenklich, dass die gesamte Riege führender Wirtschaftskanzleien aus anglo-amerikanischer Sicht geführt wird", sagt der Anwalt. "Alle Entscheidungen werden unter globalen Aspekten getroffen. Und die deutsche Rechtskultur geht verloren."

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