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Wirtschaft: Kanzler unter Zugzwang

Mutige Reformen sind nötig, um das Land in Schwung zu bringen. Doch die Finanznot engt die Möglichkeiten der Regierung ein

Von Antje Sirleschtov

und Carsten Brönstrup

Der Terminplan der Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen ist mit Bedacht gewählt. Bevor die Verhandlungsdelegationen der Regierungsparteien am Dienstag zu ersten Fachgesprächen zusammenkommen, wird am Montagabend erst mal Kassensturz gemacht. Klar ist: Die Regierung hat in den kommenden vier Jahren nichts zu verteilen. Das finanzielle Korsett, das Finanzminister Hans Eichel (SPD) vorgeben wird, ist so eng wie nie zuvor.

Auf der einen Seite stagnieren wegen der lahmenden Konjunktur die Steuereinnahmen. Auf der anderen Seite zwängt der Europäische Stabilitätspakt mit seiner obersten Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes die deutsche Politik in einen mehr als engen Rahmen - Schuldenmachen ist beinahe unmöglich. Wollen die Regierenden also Geld für Investitionen frei machen, bleiben nur zwei Auswege: Die Bürger und Unternehmen müssen höhere Steuern zahlen. Oder die Gesellschaft muss gleichzeitig den Gürtel enger schnallen und sich auf einschneidende Reformen der Finanzierungssysteme und Sozialkassen einrichten.

Zur Ausgangslage: Weil die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr praktisch stagnieren wird, nimmt der Staat weniger Steuern ein als erwartet. Die Steuereinnahmen fielen in den ersten sechs Monaten mit 188,2 Milliarden Euro um 6,1 Prozent niedriger aus als im Vorjahreszeitraum. Noch im Frühjahr hatte der Arbeitskreis Steuerschätzung einen Zuwachs von 2,1 Prozent für 2002 prognostiziert. Zwar gehen Finanzminister und Experten davon aus, dass sich die Einnahmesituation bis zum Jahresende verbessern wird. Doch ein prognostiziertes Finanzloch im Bundesetat von rund zehn Milliarden Euro und Haushaltssperren bei Ländern und Kommunen signalisieren schon jetzt, was Eichel im Sommer mit dem Satz „Es wird sehr eng" gemeint hat. Allerdings geht die Regierung davon aus, dass die Wirtschaft im kommenden Jahr um 2,5 Prozent wächst. Dann könnte der Bund seine Neuverschuldung um gut fünf Milliarden auf dann annähernd 15 Milliarden Euro senken. Das der EU-Kommission gegebene Versprechen, alle öffentlichen Haushalte in zwei Jahren kaum noch mit neuen Schulden zu belasten, wäre haltbar. Legt die Wirtschaft aber nur um zwei Prozent zu, dürften Bund und Ländern auch 2003 erneut mehr als zehn Milliarden Euro in den Kassen fehlen.

Was also kann die Regierung tun? Zum einen muss sie sämtliche Etats rücksichtslos auf Sparpotenziale durchforsten. Schon im Herbst werden das auch die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst bei den Tarifverhandlungen spüren. Darüber hinaus gilt es, Subventionen von insgesamt 150 Milliarden Euro im Jahr zu hinterfragen. Beide Maßnahmen werden auf heftigsten Widerstand der Interessengruppen stoßen. Möglichst sofort gilt es zudem, aus arbeitslosen Zahlungsempfängern steuerzahlende Angestellte oder Selbstständige zu machen. Wie zielführend das Hartz-Konzept ist und wie groß die Chancen der Politik, sich auch hier gegen Besitzstandsverteidiger durchzusetzen, wird entscheidend sein für den Gewinn an finanziellem Spielraum in dieser Legislaturperiode. Doch damit nicht genug. Auch das Gesundheitssystem muss umstrukturiert werden. Denn gelingt der Regierung jetzt kein Reformschub, kommt Deutschland angesichts der Überalterung der Gesellschaft über viele Jahre hinweg nicht aus der Finanzklemme heraus, selbst wenn in den nächsten Jahren ein sattes Wirtschaftswachstum einsetzt.

Doch Reformen müssen auch durchgesetzt werden. Bei der knappen Regierungsmehrheit im Bundestag dürfte das schwierig genug werden. Erneut gerupft werden könnten die Reformen dann im Bundesrat. Denn dort stellen die unionsregierten Länder die Mehrheit – und können vieles blockieren: die Reform der Gemeindefinanzen ebenso wie den Umbau der Sozialversicherung.

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