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Wirtschaft: Karin Evans

Geb. 1907

Alfred Kerr hoffte, dass sie den Mund nicht aufmacht. Sie tat es dennoch. Schauspieler sind seltsame Menschen. Sie sprechen die Worte anderer, als wären es die eigenen. Sie empfinden Gefühle, die keine sind, denn sie stammen von Kunstfiguren. Sie leben ihr Leben häufig in Anekdoten, ohne dass je eine wirkliche Geschichte daraus würde.

Als Alfred Kerr Karin Evans das erste Mal in einer größeren Rolle auf der Bühne sah, seufzte er ergriffen: „Sie ist so wunderschön!“ Und ergänzte nüchtern: „Ich hoffe nur, dass sie nicht den Mund aufmacht!“

Als sie es dann doch tat, war er um so entzückter von der klaren, warmen Stimme und dem rollenden R.

Karin Evans’ Vater war ein walisischer Lehrer, der nach Südafrika ausgewandert war. Von dort nahm die Mutter sie mit auf ihre Flucht vor der Langeweile. In Europa genoss die Mutter ihre Freiheit und die Tochter verliebte sich in die Schauspielerei.

Karin Evans bewarb sich an der Schauspielschule des Deutschen Theaters in Berlin. Max Reinhardt war einer der Juroren und gab sich wohlwollend. Sie erhielt ein Stipendium, aber nach Ende des Studiums schien sich keiner der aus der Provinz angereisten Theaterdirektoren für sie zu interessieren. Verzweifelt fragte sie nach – und erfuhr, dass Reinhardt sie sich vom ersten Tag an reserviert hatte.

Sie war das Gretchen; sie spielte alle Naiven auf der Bühne – und sie war es ein wenig auch im Leben. In den wilden Zwanzigern lebte sie nicht ganz so wild wie die Leute um sie herum. Sie verkehrte in den berühmten Bars der Zeit, in den Literatencafés und liebte doch nur einen Mann, den Maler Wolf Hoffmann.

Unzählige Verehrer wehrte sie ab, darunter einen sehr beharrlichen. „Aber er war Sachse und ich konnte ihn nicht ernst nehmen.“ Er hieß William, und William überhäufte sie mit Geschenken. Sie sagte: „William, ich nehme nur Vergängliches, du weißt es! Nur Blumen!“ Daraufhin hing er Fische für sie an einer Wäscheleine auf, konstruierte eine singende Klopapierrolle und schaffte schließlich ein riesiges Bett in ihre Wohnung, leihweise.

William war Jude und konnte fliehen, kam später als amerikanischer Offizier zurück, um sie noch einmal zu sehen und ließ ihr das Bett zur lebenslänglichen Erinnerung.

Karin Evans und ihr Mann blieben in Berlin.

Wolf Hoffmann wurde eingezogen – als Briefprüfer, ein Glückslos. Sie selbst spielte weiter, drehte weiter. Und tat gelegentlich das, was Schauspieler in diesen Jahren taten, Propagandaarbeit, beispielsweise für das Winterhilfswerk.

Die Schauspieler des von Gustaf Gründgens geführten Staatstheaters sammelten in Charlottenburg, und sie sammelten reichlich in den besseren Wohngegenden, denn über den Münzschlitzen ihrer Sammelbüchsen waren Extraschlitze für Scheine.

Die Ensemblemitglieder des Deutschen Theaters sammelten in Kreuzberg, in der Gegend um den Moritzplatz. Karin Evans wunderte sich über die leeren Straßen, die wenigen Groschen, die sie eintreiben konnte, bis ein Kollege sie aufklärte: „Das hier ist ein Arbeiter-Kiez. Die werden einen Teufel tun und für die Nazis spenden.“

Mit ihrer Dose in der Hand wurde sie dann, gemeinsam mit den anderen Schauspielern, Adolf Hitler persönlich vorgestellt. „Eine grässlich schwabbelige Hand. Entsetzlich. Da hab ich mich dann über nichts mehr gewundert.“

Karin Evans verachtete Hitler, aber sie dachte nicht daran, das Land zu verlassen. Angebote der Ufa und Metro-Goldwyn Mayer, ganz zur Filmschauspielerei zu wechseln, lehnte sie ab: „Ich wollte nicht dauernd so früh aufstehen müssen.“

Also spielte sie weiter Theater, drehte nur gelegentlich, wahllos geradezu.

1930 bekam sie ihre erste Hauptrolle in „Die letzte Kompanie“, einem Anti- Kriegsfilm, der nicht sie, sondern Conrad Veidt zum Star machte. Veidt emigrierte, zunächst nach England, dann in die USA, aber er musste, wie viele seiner Kollegen, die Paradoxie durchleiden, dass ihm in Hollywood nur Nazirollen angeboten wurden. Ausgerechnet er spielte in „Casablanca“ den Gestapo-Major Strasser.

1941 drehte Karin Evans den Spielfilm „Ich klage an“, Euthanasie-Propaganda. Ein Arzt tötet seine an Multipler Sklerose erkrankte junge Frau, nachdem er erfolglos versucht hatte, ein Heilmittel für sie zu finden. Der Mediziner wird vor Gericht gestellt, der Urteilsspruch allerdings bleibt dem Zuschauer überlassen, suggerierend, es sei jedem selbst die Entscheidung über Wert und Unwert des Lebens anheim gestellt.

Nach dem Krieg zog Karin Evans mit ihrem Mann in die Wilmersdorfer Künstlerkolonie am Ludwig-Barney- Platz, da konnte man anfangs in der Wohnung noch den Himmel sehen, denn eine Luftmine hatte die Decke teilweise aufgerissen. Über fünfzig Jahre blieb sie dort.

Sie spielte wieder Theater, nun allerdings auf dem Kurfürstendamm, drehte noch einige Filme. Doch als ihr die Regisseure und Intendanten zu mittelmäßig wurden, ließ sie es einfach sein. Fortan sorgte sie sich um die Bilder ihres Mannes, reiste regelmäßig nach Italien und trieb Yoga. Sie stand gelegentlich gern auf dem Kopf. Qualmte ohne Ende. Trank leidenschaftlich gern Tee, aber nur aus gutem Porzellan. Und als sie einmal auf einer sonnigen Terrasse zu Gast war, zog sie in Erinnerung an die wilden Zeiten im Berlin der Zwanziger zum Entsetzen der Gastgeber umstandslos Bluse und BH aus.

Sie wusste, dass sie es irgendwann versäumt hatte, ein Weltstar zu werden – aber das grämte sie nicht sonderlich. Sie war mit sich im Reinen.

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