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Jobs & Karriere: „Auch Schwächen können Stärke sein“

Der Mönch Anselm Grün ist Autor und gibt Manager-Seminare. Im Interview erklärt er, wie Rituale helfen und wie gute Chefs ihre Mitarbeiter führen.

Die Abtei Münsterschwarzach, knapp 30 Kilometer von Würzburg entfernt: Hier lebt und arbeitet seit 43 Jahren der Benediktinermönch Anselm Grün. Seine Bücher sind Bestseller. Millionen Leser vertrauen dem Rat des 62-Jährigen. Auch die Manager deutscher Großunternehmen besuchen Anselm Grün und lassen sich erklären, warum Spiritualität und Werteorientierung die Basis ihres beruflichen Erfolgs sein können.

Pater Anselm, Sie haben mehr als 250 Bücher geschrieben, sind Cellerar der Abtei, also wirtschaftlicher Leiter, und geben Seminare. Zeit-Management ist wohl kaum Ihre Schwäche.

Das Leben im Kloster ist halt ziemlich regelmäßig. Das hilft mir.

Inwiefern regelmäßig?

Ich stehe um 4.40 Uhr in der Frühe auf, die ersten Stunden sind Gebeten und Meditation gewidmet. Von 8 bis 12 Uhr sitze ich in der Verwaltung. Am Nachmittag führe ich Gespräche, Vorträge halte ich montags und donnerstags. Somit habe ich am Dienstag- und Donnerstagmorgen von 6 bis 8 Uhr und einmal die Woche abends von 20 bis 22 Uhr Zeit zum Schreiben. Und so viele Wirtschaftsseminare halte ich auch nicht. Sie sehen also, es bleibt genug Zeit für meine Aufgaben.

Ein so genau geregelter Tagesablauf kommt für Berufsanfänger aber meist nicht in Frage. Sie sollen mobil und vor allem flexibel sein.

Das Wichtigste ist, dass man sich ganz auf seine Aufgaben konzentrieren kann. So spart man Energie und Zeit. Oft wird die Arbeit beeinträchtigt durch den Druck, der von außen kommt. Wenn der Chef ständig E-Mails schickt, die man beantworten muss, lähmt das den Arbeitnehmer. Dabei dienen solche Anfragen oft nur der Kontrolle. Der vermeintliche Informationsdurst ist in Wahrheit eine Form der Machtausübung.

Und was kann ich dagegen tun?

Natürlich ist man abhängig vom Chef. Deshalb ist es wichtig, dass ich gute Rituale habe und bewusst sagen kann: „Die gehören mir.“ Rituale geben einem das Gefühl, selbst zu leben und nicht gelebt zu werden. Die Arbeitsinhalte sind zwar vorgegeben, aber wie ich es gestalte, das ist meine Sache. Dieser individuelle Freiraum ist wichtig. Wenn man diese Nischen hat, dann übernimmt man den Druck des Chefs nicht mehr eins zu eins. Und Druck erhöht vielleicht für kurze Zeit die Arbeitskraft, aber dann brennt man aus.

Welche Rituale verschaffen mir Freiraum?

Machen Sie sich klar, wie wichtig Zeit ist. Nehmen Sie sich Zeit, nach innen zu hören, auf den Atem zu achten, oder Bibel zu lesen oder einfach zu meditieren. Diese Zeit gehört allein Ihnen. Auch wenn es nur zehn Minuten sind. Während der Arbeit: Halten Sie die Mittagspause konsequent ein ...

... Punkt 13 Uhr fällt der Stift, egal was ansteht?

Das sollte man immer versuchen. Es klappt häufiger, als man denkt. Schalten Sie das Handy ab! Es ist eine Sucht, immer erreichbar sein zu wollen. So wichtig ist keiner, dass er nicht 30 Minuten ungestört sein kann.

Sie vermitteln die Kunst der Führung nach den Regeln des Hl. Benedikts. Was sagt er dazu?

Der Hl. Benedikt sagt in seinem Führungsbuch für den Cellerar, wie wichtig es ist, das richtige Maß zu achten. Solide zu wirtschaften steht vor Gewinnoptimierung. Die Mitarbeiter müssen gerne arbeiten, weil sie sich geachtet fühlen. Wer führt, muss weise führen und mit sich selbst im Einklang sein.

Wer mit sich selbst nicht im Reinen ist, kann kein guter Chef sein?

Ja, das kann man so sagen. Es gibt Chefs, die andere kleinmachen müssen, um vermeintliche Größe zu zeigen. Diese Menschen kreisen permanent um diese Form der Selbstpräsentation. Von kleingemachten Mitarbeitern kann ich aber keine große Leistung mehr erwarten. Das, was diese Chefs machen, ist kontraproduktiv. Die Erfahrung zeigt natürlich, dass in Unternehmen oft diejenigen am weitesten kommen, die ihre Ellbogen einsetzen. Aber ich halte das für kein gutes Zeichen.

Wie führt man richtig, wie motiviert man?

Für mich heißt führen auch Leben wecken in den Menschen. Das braucht Fantasie, nur dann entdecken Sie das Potenzial der Mitarbeiter und können diese inspirieren. Es braucht auch Klarheit, um für Verständnis werben zu können. Man sollte natürlich auch Verständnis für die Bedürfnisse der Mitarbeiter zeigen.

Kann ich als Arbeitnehmer Einfluss auf den Führungsstil des Chefs nehmen?

Ja. Wir sind nicht nur dafür verantwortlich, wie wir führen, sondern auch, wie wir führen lassen. Ich sollte aktiv werden. Gehen Sie auf Ihren Vorgesetzten zu. Wenn Sie ihm signalisieren, dass Sie seine Position anerkennen, wird er sich gegen Tipps nicht sperren.

Sie sagen, nur wer sich selbst führt, kann auch andere führen.

Sich selbst führen heißt, seine eigenen Grenzen zu erkennen. An sich selbst zu arbeiten ist eine spirituelle Herausforderung, eine Form der Selbstreflexion: Was tut mir gut, was nicht? Auch wer mal scheitert, sollte weiter an sich arbeiten und seinen Zielen treu bleiben. Dann findet man inneren Frieden.

Wie geht man mit seinen eigenen Stärken und Schwächen um?

Ganz wichtig ist, dass man sich richtig einschätzt. Auch Schwächen können eine Stärke sein. Dann weiß man zum Beispiel besser, welche Aufgaben man lieber delegiert oder den Kollegen überlässt. Wichtig ist, dass man untereinander die Schwächen ausgleicht, sie aber nicht ausnutzt.

Die eigenen Schwächen zu gestehen verlangt Mut und ein sehr offenes Klima.

Am Anfang muss ich mich umschauen und die Betriebsstrukturen erkunden. Wer zu viel von seinen Schwächen preisgibt, macht sich angreifbar. Seine Vertrauten muss man sich sorgfältig ausgucken. Aber wenn man diese Leute gefunden hat, ist der erste Schritt für ein offeneres Klima schon getan.

Beruflicher Erfolg produziert oft Neid. Wie geht man mit neidischen Kollegen um?

Neid ist zunächst das Problem der anderen. Ich müsste mich verkriechen oder meine Fähigkeiten verstecken, um das zu verhindern. Das geht natürlich nicht. Man darf nicht provozieren, aber ich muss mich nicht für meine Erfolge verstecken. Ein selbstbewusster Umgang mit seinen Stärken ist richtig.

Hat zu Ihnen je ein Manager gesagt: Ihre Tipps sind außerhalb des Klosters unbrauchbar?

Manchmal höre ich: „Das klingt alles schön, aber es muss vor allem das Geld stimmen.“ In meinen Seminaren geht es um etwas anderes: Ich will keine Patentrezepte verteilen, sondern gebe Anregungen. Häufig sitzen die Teilnehmer im Gespräch beisammen und entdecken ihre Gemeinsamkeiten. Einer hat mir mal gesagt: „Ich wusste gar nicht, dass es so nette Kollegen bei Daimler gibt.“

Das Gespräch führte Gero Lawecki. Der Beitrag ist der Zeitschrift „Junge Karriere“ entnommen

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