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Ausblidung: Auf Durchreise

Abiturienten nutzen Lehrstellen als Sprungbrett zum Studium – Unternehmen sehen das nicht immer gern.

Er hat sich schon während der Oberstufe Gedanken gemacht, in welche Richtung es gehen soll, sagt Jürgen Schulz. Während viele seiner Altersgenossen nach dem Abitur studieren, wollte er eine Ausbildung in der Medienbranche machen und sein erstes Geld verdienen. Heute steht er am Ende seines zweiten Lehrjahres zum Mediengestalter Bild und Ton beim Tonbüro Berlin. Nach seinem Abschluss wird er übernommen. „Ob ich mich später über ein Studium spezialisiere, lasse ich mir als Option offen“, sagt der 22-Jährige.

In der Medienbranche ist es durchaus gern gesehen, dass Azubis Abitur haben. Der Geschäftsführer des Tonbüros Berlin, Christian Riegel, weist in der Stellenausschreibung explizit darauf hin. „Wir suchen reifere Persönlichkeiten, die sich schon intensiver mit Musik und Kunst auseinandergesetzt, im Tonstudio ein Praktikum gemacht oder vielleicht einen Film geschnitten haben“, sagt Riegel. Bewerber, die nach der zehnten Klasse abgegangen seien, könnten solche Erfahrungen oft noch nicht nachweisen.

Es gibt aber auch Arbeitsbereiche, in denen Abiturienten nicht sehr beliebt sind. „In manchen Branchen wird eine mangelnde Bindung der Auszubildenden an das Unternehmen befürchtet“, sagt Eleonore Bausch von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. Denn man gehe davon aus, dass die Azubis nach ihrem Abschluss studieren und die Lehre nur als Sprungbrett in die Berufswelt sehen – oder als solide Grundlage, auf der sie das Studium wagen. Gerade bei Ausbildungen zum Bankkaufmann oder Versicherungskaufmann, zum Mikrotechnologen oder Chemielaboranten sei das häufiger der Fall. Unternehmen hingegen würden ihre Ausbildungsstellen als Zukunftsinvestition sehen und selten über Bedarf Plätze anbieten. Ein anderes Problem sei, dass Abiturienten in vielen Jobs schnell unterfordert seien und sich langweilen. Außerdem fänden manche Unternehmer, dass Abiturienten nicht in ihren Mitarbeiterstamm passen.

Auch Dieter Ebert vom Druckhaus Berlin-Mitte hält in bestimmten Ausbildungsberufen seines Unternehmens wenig von Abiturienten. „Sie sollten die Lehrstellen in der Produktion nicht blockieren“, sagt er. Diese seien für Hauptschul- und Realschulabgänger gedacht. Denn: Es bestehe die Gefahr, dass die Druckerei für Abiturienten nur Zwischenstation zum Studium ist, bestätigt er. Eberts Betrieb bildet vierzehn Auszubildende aus. Eine Abiturientin ist darunter, die sich zur Kauffrau für Bürokommunikation ausbilden lässt. Für Ebert ist dies kein Widerspruch. „In diesem Beruf wird sie ausgebildet, um später Verantwortung in der Organisation eines Betriebes zu übernehmen.“ Bei den Beschäftigten Druckern hingegen komme es zuerst darauf an, dass sie die Maschinen fachgerecht betätigen können.

Um die fachliche Qualität der Mitarbeiter zu gewährleisten, unterstützt das Druckhaus sie darin, das Fachabitur zu machen und später vielleicht auf die Fachhochschule zu gehen – immer in enger Zusammenarbeit mit dem Betrieb.

Auch bei der Landesbank Berlin legt man Wert darauf, Bewerber für die Ausbildung zum Bankkaufmann nicht nach der Art ihres Schulabschlusses zu beurteilen. Wichtiger seien vielmehr persönliches Engagement und Eigeninitiative, aber auch Spaß am Umgang mit Menschen, sagt Sprecher Christian Ziesmer. Man müsse jedoch feststellen, dass sich Bewerber grundsätzlich nicht genügend mit dem Berufsbild auseinandersetzten. Speziell für Abiturienten bietet die Landesbank eine duale Qualifikation mit Ausbildung und Studium an der Berufsakademie mit der Fachrichtung Bank an, das mit dem Bachelor abschließt.

Doch selbst wenn Abiturienten in manchen Ausbildungsberufen nicht unbedingt bessere Karten haben: Ihr Anteil unter den Auszubildenden ist nach Zahlen der IHK Berlin seit Jahren stetig gestiegen. Während im Jahr 2000 etwa 26 Prozent der Ausbildungsplätze von Abiturienten eingenommen wurden, stieg ihr Anteil bis 2006 auf knapp 31 Prozent. Im selben Zeitraum schrumpfte die Gruppe der Realschulabgänger von etwa 49 auf 39 Prozent. „Das liegt daran, dass die Berufe insgesamt anspruchsvoller geworden sind“, sagt die IHK-Expertin Bausch. Als Beispiel nennt sie die Ausbildung zum Mechatroniker, der 1998 für den Maschinen- und Anlagenbau konzipiert wurde. „Diese Ausbildung hat in etwa das Niveau, das in den 70er -Jahren von einem Ingenieur erwartet wurde“, sagt Bausch. Für diese gewachsenen Anforderungen seien Abiturienten besser gewappnet.

Auf dem Bau ist es inzwischen fast schon selbstverständlich, dass sich in bestimmten Berufen Abiturienten tummeln. Hier hat sich eine Teilung vollzogen, zwischen den Ausbildungen, die ein höheres gestalterisches Vermögen verlangen und solchen, in denen eher standardisierte Arbeitsschritte gefragt sind. „Dort wo ein verstärktes räumliches Verständnis erforderlich ist, etwa beim Stuckateur oder Zimmerer, entsprechen Abiturienten oft besser den Anforderungen“, sagt Roland Bank, Geschäftsführer des Förderungswerkes der Fachgemeinschaft Bau. Weniger häufig finden sich Auszubildende mit Hochschulreife unter den Maurern, Betonbauern und Trockenbauern. Als Zimmerer müsse man auch mal in der Lage sein, kurz im Überschlag die Belastungsfähigkeit eines Balkens zu berechnen, sagt Bank. Wenn es auf Mathematik und Geometrie ankomme, seien Hauptschüler oft weniger geeignet.

Die Ansprüche in den Bauberufen sind insgesamt gestiegen. Gerade die Mitarbeiter von kleinen Firmen müssten inzwischen Alleskönner sein, um die gestiegenen Wünsche der Kunden zu bedienen und dem Kostendruck und dem Konkurrenzkampf stand zu halten, sagt Bank. Die Facharbeiter müssen das Kundengespräch genauso beherrschen wie die planerischen Bestandteile des Berufs, Einkauf von Material und Zeitmanagement.

Die Berufsausbildung zum Zimmerer ist inzwischen eine beliebte Grundlage für ein Architekturstudium. Denn wer sich hier den Wind der Praxis ins Gesicht wehen lässt, kann später die Machbarkeit von Projekten besser einschätzen. Er habe sogar von einem Architekten gehört, der den Weg anders herum gegangen sei und nach dem Studium noch eine Lehre gemacht habe, sagt Bank. Aber das sei wohl ein Einzelfall.

Henning Zander

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