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Berufszweig: Wenn zwei sich streiten

Viele Institute bilden Mediatoren aus. Doch nicht alle Abschlüsse werden in der Branche anerkannt.

Im Berufsalltag von Roger Rabbe sind Streitigkeiten keine Seltenheit. Als Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft des neuen Flughafens Berlin Brandenburg International versucht er, die Interessen von zwölf Kommunen unter einen Hut zu bekommen. Bahnübergänge mit Rampen und Schranken müssen gebaut werden – doch keine Gemeinde möchte sie haben, da sich die Fahrzeiten vom Wohnort zum Arbeitsplatz verlängern könnten. Um die Interessen besser auszubalancieren, ohne dass sich Positionen verhärten, entschied sich der studierte Jurist zur Weiterbildung Wirtschaftsmediator der Industrie- und Handelskammer Potsdam (IHK).

„Wenn sich ein Bürgermeister einer Kommune aufregt, frage ich zunächst nach den Ursachen, um den Streit zu deeskalieren“, sagt Rabbe. Treten Streitigkeiten zwischen Kooperationspartnern auf, ist er als neutraler Mediator in der Lage, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen und die Verhandlungen so zu strukturieren, dass möglichst eine gewinnbringende Lösung für alle Beteiligten erreicht wird.

Vermittelt werden in dem IHK-Lehrgang zum Wirtschaftsmediator Kommunikations- und Gesprächstechniken, Mediation bei innerbetrieblichen und überbetrieblichen Konflikten, Konfliktmanagement sowie Methoden, um sicher zu verhandeln. Die berufsbegleitende Ausbildung umfasst 150 Unterrichtsstunden und 20 Stunden Gruppenarbeit. Der praxisnahe Unterricht mit Rollenspielen und Fallstudien wird jeweils von zwei Dozenten gemeinsam geleitet. Nach einer Präsentation und einer Projektarbeit mit anschließendem Fachgespräch schließen die Teilnehmer, unter denen Juristen, Steuerberater, Psychologen und Sozialpädagogen sind, die Fortbildung mit einem IHK-Zertifikat ab.

Doch Mediatoren sind nicht nur bei der Streitschlichtung zwischen Kommunen tätig. Sie beheben auch Konflikte zwischen Unternehmen. Wenn zum Beispiel ein Baugroßhandel mit den Materiallieferungen an einen Installateursbetrieb nicht hinterher kommt, steht nicht nur die Zusammenarbeit auf dem Spiel: Kostspielige Gerichtsprozesse können mitunter die Existenz eines kleinen und mittleren Unternehmens bedrohen. Deshalb bieten Gerichte den Parteien eines Rechtsstreits zunehmend die Möglichkeit an, ihre Konflikte durch eine gerichtliche Mediation einvernehmlich beizulegen. „Diese Möglichkeit wird langsam bekannter und immer mehr genutzt“, berichtet die Richterin und Mediatorin Annette Wischer.

Berufstätige mit Hochschulabschluss, die sich in diesem Bereich fortbilden möchten, können anstelle eines IHK-Abschlusses auch ein Master-Studium in Mediation absolvieren. Die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) bietet in Kooperation mit dem Institut für Anwaltsrecht an der Humboldt-Universität Berlin einen solchen Abschluss. Die Studenten können entscheiden, ob sie einen Schwerpunkt in den Bereichen Wirtschaft, Familie, Staat und Verwaltung sowie internationales Konfliktmanagement setzen möchten. Der Studiengang besteht aus Präsenz- und Fernmodulen, er dauert insgesamt drei Semester.

Wer sich auf Mediation im sozialen Umfeld spezialisiert, ist breit aufgestellt: Mediatoren vermitteln ebenfalls bei Scheidungen, Streitigkeiten in der Nachbarschaft sowie der Erbengemeinschaft. Nicht alle sozialen Streitfälle seien für eine Mediation geeignet, erklärt Lis Ripke, Leiterin des Heidelberger Instituts für Mediation. „Besonders vorteilhaft ist sie aber in Fällen, in denen man sich im weiteren Leben immer wieder begegnet.“ Also etwa, wenn ein Paar mit Kindern sich trennt oder eine Familie sich wegen eines Erbes entzweit. Auch in Schulen helfen Lehrer mit einer Weiterbildung zum Mediator, Konflikte zu lösen oder Schüler zu Konfliktlotsen auszubilden. Eine außeruniversitäre Weiterbildung in diesem Bereich bietet das Berliner Institut für Mediation. Neben einer zweijährigen Fortbildung in Familienmediation bietet das Institut seinen Teilnehmern offene Seminare, auf denen Kenntnisse vertieft werden können. Die Kurse richten sich an Beschäftigte aus psychosozialen und juristischen Berufen.

Die Dozentin Anja Köhler empfiehlt jedem, der Mediationen durchführen will, eine Grundausbildung abzuschließen und einzelne Bereiche mit kürzeren Lehrveranstaltungen aufzustocken. „Einzelne Kreativitätstechniken bringen nichts ohne Basis“, sagt die Mitinhaberin der Beraterfirma „Navigatur – Gesellschaft für Mediation und Konfliktmanagement“ in Berlin. Auch könne man sich Mediationsmethoden nicht anlesen. Um diese anzuwenden, müssten sowohl die Rolle des Mediators als auch die der Konfliktparteien praktisch geübt werden.

Eine Voraussetzung, um sich Mediator zu nennen, sind die Abschlüsse an Instituten und Unis nicht. Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Um die Qualität der Ausbildung und der Tätigkeit zu sichern, haben der Bundesverband Mediation, die Bundes-Arbeitsgemeinschaft für Familien-Mediation und der Bundesverband Mediation in Wirtschaft und Arbeitswelt einheitliche Ausbildungsstandards festgelegt. Ein Kriterium ist, dass die Ausbildung mindestens 200 Unterrichtsstunden umfasst. Wer mit seinem IHK-Zeugnis zusätzlich von den Berufsverbänden als Mediator anerkannt werden will, muss zusätzlich an mindestens 30 Unterrichtsstunden teilnehmen und vier Mediationen durchgeführt haben.

Der Jurist Roger Rabbe möchte seine Qualifikationen in Kommunikation, Konfliktmanagement und Mediation nicht mehr missen. Er wünscht sich, dass diese Methoden nicht unterschätzt, sondern viel häufiger eingesetzt werden.

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