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Jobs & Karriere: Der menschliche Faktor

Soziales Engagement kann nicht nur Spaß machen, sondern auch beruflich weiterbringen

Sie ist schon 28, doch Anfang des Jahres hat Carla Gellert noch eine kleine Schwester bekommen: Ilknur ist elf, kommt aus einer türkischen Familie und freut sich riesig, bei Carla endlich mal im Mittelpunkt zu stehen. Noch nie vorher war das Mädchen im Zoo, noch nie hat sie sich ein Buch in der Bibliothek ausgeliehen oder Federball gespielt. Mit ihrer großen Schwester Carla holt die Schülerin jetzt nach, was sie im Leben versäumt hat. Verwandt sind die beiden allerdings nur symbolisch: Das Mentorenprogramm „Big Brothers Big Sisters Deutschland“ hat die wissenschaftliche Angestellte und das türkische Mädchen zusammengebracht.

Auch für Carla Gellert ist die Situation neu: Zum ersten Mal engagiert sich die Diplom-Anglistin in einem Ehrenamt. Schon lange hatte sie mit dem Gedanken gespielt, ihrem Leben jenseits von Beruf und Freizeit einen Sinn zu geben: „Ich war – was Bildungschancen betrifft – immer privilegiert, hatte nie wirkliche Schwierigkeiten“, erinnert sie sich. „Aber ich weiß, dass es vielen Menschen anders geht. Denen wollte ich etwas zurückgeben.“

Damit liegt die Uni-Angestellte voll im Trend: Anders als landläufig vermutet, sinkt das soziale Engagement der Deutschen nicht, sondern ist laut Freiwilligen-Survey zwischen 1999 und 2004 von 34 auf 36 Prozent angestiegen. Vor allem junge Akademiker – Studierende wie Berufstätige – setzen sich überdurchschnittlich oft für die gute Sache ein. „Unter Studenten gilt es mittlerweile als Karrierevorteil, sich zu engagieren – so wie beim Auslandsstudium“, weiß Lars Fischer vom Hochschul-Informations-System (HIS), Autor einer Studie zu studentischem Engagement.

Nicht allen geht es jedoch um die reine Nächstenliebe: 47 Prozent der Ehrenamtler unter 30 Jahren verfolgen vor allem ihre eigenen Interessen. Was egoistisch klingt, ist ein Resultat der gestiegenen Anforderungen an Berufseinsteiger: Sie sollen soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit und Einfühlungsvermögen vorweisen. Gleichzeitig versprechen sie sich vom Ehrenamt Vorteile bei der Jobsuche oder neue Kontakte. Das ist an sich nichts Schlechtes, findet Jürgen Hesse, Karriereberater und Geschäftsführer der Telefonseelsorge Berlin: „In Amerika ist es seit Jahren gang und gäbe, dass sich Menschen, die beruflich etwas darstellen wollen, mit Ehrenämtern schmücken.“

Doch der Ehrenamts-Boom treibt auch faule Blüten: Weil soziales Engagement bei Unternehmen und an Hochschulen schick geworden ist, plustert so mancher Bewerber seinen Lebenslauf mit „außercurricularen Aktivitäten“ auf, die die Bezeichnung kaum verdienen: „Ich wollte mich eigentlich in Mannheim für BWL bewerben“, schreibt etwa ein angehender Student im Online-Forum uni-protokolle.de. „Doch nun las ich was von sozialem Engagement und dass es wichtig wäre. Was könnte ich machen, um in den Augen der Uni wenigstens ein Bissel als Mensch dazustehen?“ Die Antwort der User ist eindeutig: Lebenslaufkosmetik. Die Empfehlungen reichen von „zur Not bläst du eben irgendeine Episode deines Vereinslebens etwas auf“ über „fabulier vom Schulsprecheramt, das du mal hattest (prüft niemand wirklich nach)“ bis hin zu „ich hab gehört, dass eine Mitgliedschaft in der Jungen Union auch als soziales Engagement angerechnet wird“.

Was die Tippgeber nicht ahnen: Personaler kennen ihre Pappenheimer – und kriegen schnell heraus, ob ein Bewerber mit dem Herzen bei der Sache ist. Lutz Rachner, Partner bei der Personalberatung Kienbaum, hat ein Auge für solch aufgebauschte Angaben: „Oft steht da im Lebenslauf recht vollmundig, was jemand alles so getan hat. Dann frage ich nach: Was machen Sie da konkret? Da gerät so mancher ins Stottern.“

Doch nicht nur bei Kienbaum legt man Wert auf die soziale Ader der Mitarbeiter. In ihrer „High-Potential-Studie 2005“ hat die Beratung herausgefunden, dass für knapp 80 Prozent aller Unternehmen außercurriculares Engagement bei Top-Nachwuchskräften wichtig bis unabdingbar ist. Es sind vor allem Großunternehmen wie E.on, Kraft, Audi oder die Deutsche Bahn, die neben fachlicher Exzellenz auch auf den menschlichen Faktor achten. „Von den 6000 Bewerbungen, die wir jedes Jahr bekommen, erfüllt ein Großteil die Basiskriterien wie Praktika oder Auslandsaufenthalte“, sagt Miriam Kraneis, Recruiting Managerin bei der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton. „Da braucht es andere Pluspunkte, um aus der Masse hervorzustechen – zum Beispiel soziales Engagement.“

Zwar fördert Booz Allen gezielt Pro-Bono-Projekte, also kostenlose soziale Dienstleistungen, seiner Mitarbeiter und ermutigt sie zu ehrenamtlicher Arbeit. Das heißt aber nicht, dass Nicht-Engagierte automatisch aus dem Rennen sind. Kraneis: „Letztlich sind für uns die Persönlichkeit und die Leistungen des Bewerbers entscheidend.“ Auch bei E.on legt man Bewerbungen ohne Ehrenamt nicht gleich auf den „Zurücksenden“-Stapel: „Soziales Engagement ist bei uns kein zwingendes Kriterium, nur ein Nice-to-have“, betont Beate Meyer-Hentschel, verantwortlich für das Personalmarketing. Aber der soziale Einsatz könne andere Defizite ausgleichen: Wenn jemand länger als üblich studiert habe, aber nebenbei etwa beim Roten Kreuz aktiv war, „dann schauen wir auch mal über die lange Studienzeit hinweg“.

Am liebsten sind den Unternehmen aber Kandidaten wie Julia Thimm: Die 24-Jährige hat flott studiert und eine Hand voll Praktika absolviert. Doch während andere Studenten über zu volle Stundenpläne klagen, listet der Lebenslauf der Staats- und Kommunikationswissenschaftlerin gleich elf Ehrenämter auf – von Greenpeace über den Fachschaftsrat bis hin zur Hilfe für Kinder in Guatemala.

Gerade macht die Berlinerin ein Praktikum in der Pressestelle von Amnesty International. „Mich musste man nie darauf hinweisen, dass soziales Engagement im Lebenslauf gut ankommt“, lacht die angehende Master-Studentin. „Ich habe es einfach gemacht.“ Schließlich waren schon ihre Großeltern bei Amnesty engagiert. Bei Bewerbungen für Praktika und Stipendien sorgt Julias Einsatz regelmäßig für Erstaunen. „Klar, da werde ich immer drauf angesprochen“, sagt die Einser-Absolventin. Dass sie mit einem Erasmus-Stipendium nach Spanien ging und jetzt Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes ist, hat sicher auch mit ihren Ehrenämtern zu tun. Schließlich geht bei den meisten Stipendien kaum etwas ohne soziales Engagement. Auf Freizeit muss Julia Thimm dennoch nicht verzichten: „Ich gehe trotzdem regelmäßig ins Theater, ins Kino und zum Sport.“

Doch nicht alle Studenten wollen oder können viel Zeit für ein Ehrenamt aufbringen. 64 Prozent der nicht aktiven Studierenden gaben in der HIS-Studie an: „Mein Studium ist so zeitintensiv, dass nebenbei keine freie Zeit bleibt.“ Berufstätigen geht es ganz ähnlich: Wer für den Job dauernd unterwegs ist, der kann sich einfach nicht bei der Freiwilligen Feuerwehr verpflichten. Deshalb geht der Trend bei Freiwilligenorganisationen zum Kurzzeit-Engagement. So vermittelt die Berlin-Münchener Initiative „Heute ein Engel“ Einsätze, die nur ein paar Stunden dauern. Auch die Idee des Online-Volunteerings – hier braucht man für das Ehrenamt nur einen Computer – fasst seit kurzem auch in Deutschland Fuß. Das ist ideal für Berufstätige. Und auch für jene Studenten, denen die stark verschulten Bachelor- und Masterstudiengänge nur noch wenig Freiraum lassen.

„Ich glaube nicht, dass Studenten in Zukunft weniger Ehrenämter übernehmen“, beruhigt Karriereberater Jürgen Hesse all jene, die durch den Bologna-Prozess schon einen Notstand beim Ehrenamt befürchten. „Die Karriereorientierten unter ihnen spüren, dass ihre Studienleistung und eine kurze Studienzeit allein nicht ausreichen.“ Deshalb sollten sie schon bei der Wahl ihres Ehrenamtes gezielt vorgehen: Soziales Engagement und alles, was mit Menschen zu tun hat, kommt bei Personalern mit Abstand am besten an, weiß Jürgen Hesse. Politische Ehrenämter dagegen sind je nach Weltsicht des Unternehmens mit Vorsicht zu genießen. Wer schon weiß, wo es für ihn beruflich hingehen wird, dem empfiehlt Hesse: „Im weitesten Sinne sollte das Engagement etwas mit dem eigenen Beruf zu tun haben. Eine angehende PR-Referentin könnte zum Beispiel das Pressebüro einer sozialen Initiative leiten.“

Carla Gellert hat es also genau richtig gemacht: Auch ihr Chef findet es klasse, dass sie sich als „große Schwester“ der kleinen Ilknur engagiert. Schließlich ist sie an der Uni Mannheim für das Service Learning zuständig, bei dem Studenten ihr Wissen in gemeinnützigen Projekten anwenden. Doch der Kontakt zu Ilknur ist für Carla Gellert längst viel mehr geworden als nur irgendein Ehrenamt: Schon jetzt steht für sie fest, dass sie sich auch nach dem einen „Pflicht“-Jahr weiter mit ihr treffen wird: „Ich habe das Gefühl, für sie Verantwortung übernommen zu haben. Und das fühlt sich gut an.“ Karriere-Magazin

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