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Jobs & Karriere: Erleuchtung gefragt

Ideen braucht das Land: Kreativität wird für Firmen immer wichtiger. Jeder Mitarbeiter zählt, wenn es darum geht, eine Innovationskultur aufzubauen

Nehmen wir mal an, Sie wollten ein neuartiges Bügelbrett erfinden. Eines, auf dem sich besser bügeln lässt als auf allen anderen Bügelbrettern. Jetzt müssen Sie kreativ sein. Und zum Aufwärmen machen Sie folgende Übung: Bilden Sie mit allen Buchstaben des Alphabets der Reihe nach einen Satz, etwa so: „Alle Bochumer Chirurgen, die ein Fahrrad geklaut haben, ...“.

Dann überlegen Sie als Nächstes: Wie würde denn ein Bügelbrett aussehen, das ganz und gar unpraktisch ist und den bügelnden Kunden regelmäßig in den Wahnsinn treibt? Nach dieser Übung sollten Sie nun locker genug sein für eine kreative Brainstorming-Runde mit Ihren Kollegen. Und in einem halben Jahr freut sich die Nation über ein ganz neues Bügelgefühl, Ihre Firma wird Weltmarktführer und Sie bekommen einen dicken Bonus.

So glatt läuft es in der Wirklichkeit freilich selten. Dennoch: Kreativität ist für Unternehmen wichtiger denn je. Während einfache Arbeit und Material viel billiger im Ausland zu haben sind, liegt der Schlüssel zu Erfolg und wirtschaftlichem Überleben in den Köpfen der Kreativen zu Hause. Man muss sie nur dazu bringen, ihn herauszugeben.

Kreativ sind aber nicht nur die schrägen Klischeetypen aus der Designabteilung mit den dicken Hornbrillen oder die schnittigen Marketingleute, die sich ständig neue Kampagnen ausdenken. Auch die Sachbearbeiterin am Schreibtisch mit dem Stempel in der Hand oder der Monteur am Fließband können wertvolle Ideen haben. „Jeder einzelne Mensch ist kreativ“, sagt der US-Ökonom und Kreativitäts-Vordenker Richard Florida. Man müsse aber ein günstiges Umfeld schaffen, damit sich diese Kreativität frei entfalten kann.

Doch daran hapert es in Deutschland noch häufig. „Die Unternehmen haben zwar erkannt, wie wichtig Kreativität ist“, sagt Sibylle Hermann vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. „Wenn man die Firmen aber fragt, was sie konkret tun, dann wird es schon dünner.“ Oft gibt es einen Zettelkasten oder Verantwortliche, die Ideen entgegennehmen. Das war's dann aber auch. Die strategische Bedeutung des Themas werde unterschätzt, sagt die Psychologin, und man gebe sich mit halbherzigen Lösungen, etwa sporadischen Brainstormings, zufrieden. Doch: „Die Ressource Kreativität ist zu wichtig, als dass man ihre Förderung und Nutzung dem Zufall überlassen könnte.“

Unternehmen müssten den Angestellten die Chance geben, sich mit eigenen Ideen einzubringen. Es fehle laut Hermann an wirksamen Mechanismen und einem Betriebsklima, das die Mitarbeiter spüren lässt: Traut euch, jede Idee ist willkommen! Außerdem sollten Unternehmen nicht nur den einzelnen Kreativen fördern, sondern das große Ganze im Auge haben: „Wir schlagen vor, die gesamte Wertschöpfungskette dahingehend zu untersuchen, welche kreativen Leistungen dort möglich und erforderlich sind.“ Generell sollte man immer mit offenen Augen durchs Unternehmen laufen und sich Dinge, die man für verbesserungswürdig hält, aufschreiben. „Hilfreich ist ein kleines Ideenbüchlein, das haben auch große Denker schon so gehandhabt", rät Christiane Kerting vom Deutschen Institut für Betriebswirtschaft (DIB), das Firmen und Mitarbeiter in Innovationsfragen berät. Auch helfe es, sich mit seinen Kollegen zu besprechen. Das Allerwichtigste: „Erhalten Sie sich Ihren frischen Blick, werden Sie nicht betriebsblind.“

Wie man Innovationsprozesse gestaltet, zeigt ein Blick nach Baden-Württemberg. Nirgendwo ist die Innovationsdichte so groß wie hier. Auf der Landkarte der Weltmarktführer versammelt sich im Ländle die Ideenelite der deutschen Wirtschaft. Ein solcher Ort ist zum Beispiel das beschauliche Tumlingen, ein Dorf im tiefen Nordschwarzwald. Die nächste große Stadt ist weit entfernt, mehr als ein paar Vereine und eine Hand voll Kneipen bietet Tumlingen nicht.

Und dennoch hat hier in der schwäbischen Idylle der Weltmeister im Erfinden seine Heimat: die Fischer-Werke (Dübel, Spielzeuge, Autozubehör). Mehr als 2000 Patente und jährlich rund 40 neue Erfindungen kann das Unternehmen vorweisen.

Knut Maier ist sozusagen der Kreativdirektor des Unternehmens. Der 31-jährige Ingenieur leitet seit gut zwei Jahren den Bereich Vorentwicklung. Zusammen mit seinen fünf Mitstreitern sitzt er abseits des Tagesgeschäfts. „Wir sind die Scouts für neue Technologien“, sagt Maier. Dafür hat er ein interdisziplinäres Team um sich versammelt: junge Ingenieure mit Zusatzstudium entweder in Design oder Architektur.

„Innovativ müssen wir in der ganzen Prozesskette des Unternehmens sein“, sagt Firmenchef Klaus Fischer, „von der Entwicklung über die Produktion bis zum Vertrieb“. Dazu treibt er seine mehr als 3400 Mitarbeiter ständig an. Im Fischer Ideen Prozess, kurz FIP, entstehen jährlich rund 6000 Ideen für neue Arbeitsprozesse und Produkte. Die besten Ideen werden durch Incentives und Geld belohnt. Gemessen wird dies durch ein ausgetüfteltes Entlohnungssystem.

Das ist die verbreitetste Form von Ideenförderung: Wer innovativ ist, bekommt mehr Gehalt oder einen Bonus. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Betriebswirtschaft (DIB) haben sich die befragten Unternehmen die Ideen ihrer Mitarbeiter im vergangenen Jahr rund 163 Millionen Euro kosten lassen. Ein lohnendes Geschäft, denn der Ertrag ist fast zehn Mal höher: Die Einsparungen und der geschätzte Nutzen für die Firmen belaufen sich auf knapp 1,5 Milliarden Euro. Allein die Deutsche Post freut sich über einen Nutzen von 271 Millionen Euro, Volkswagen über 168 und Siemens über 158 Millionen. Dagegen kommt die durchschnittliche Prämienhöhe von 183 Euro recht mager daher. Immerhin: Der höchste gezahlte Einzelbonus betrug 440 000 Euro.

„Was es braucht, ist gelebtes Ideenmanagement“, sagt Christiane Kersting vom DIB. Menschen brächten sich vor allem deshalb ein, weil sie mitgestalten wollten und Anerkennung wünschten. „Jeder ist kreativ“, sagt Kersting, „aber nicht jeder bringt seine Ideen zu Papier.“ Ein ideales Ideenmanagement sieht deshalb im Groben so aus: Jeder kann einen Vorschlag machen, egal, ob er Manager ist, in der Kreativabteilung arbeitet oder am Fließband steht. Der Vorstand muss dahinterstehen, alle Mitarbeiter ständig ermutigen und auch loben.

Andere Länder sind mit der systematischen Ideenförderung schon weiter. Beim japanischen Autohersteller Toyota etwa macht jeder Mitarbeiter im Schnitt 63 Verbesserungsvorschläge pro Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland bringen 100 Mitarbeiter etwa 60 Ideen vor. Toyota macht jeden Mitarbeiter zum hochqualifizierten Experten für seinen eigenen, kleinen Bereich. So soll der Mitarbeiter, der etwa das Radio ins Armaturenbrett einbaut, nach Verbesserungsmöglichkeiten suchen, wie man das Radio schneller und besser montieren kann. Und nicht nur der vorgesetzte Ingenieur, der den Arbeitsplatz einmal geplant hat. Unter anderem dieses System, Kaizen genannt, bringt Toyota eine geringe Rücklaufquote und eine hohe Innovationsfähigkeit.

Auch Unternehmen wie der Technologiekonzern 3M oder der Internet-Gigant Google sind durch und durch auf Kreativität getrimmt und bekannt für ihre Bereitschaft zum ständigen Wandel.

Bei 3M können Mitarbeiter rund sechs Stunden ihrer Arbeitszeit pro Woche dazu verwenden, sich eigenen Projekten zuzuwenden – bei voller Bezahlung. Das gilt auch für die deutschen Angestellten. Ähnlich ist es bei Google. Auch hier hat jeder Mitarbeiter 20 Prozent seiner Arbeitszeit zur freien Forschung zur Verfügung. „In angelsächsischen Ländern haben es Mitarbeiter mit ihren Ideen leichter“, sagt Pascal Soboll von der internationalen Innovations-Beratungsfirma Ideo mit Sitz in den USA. „Deutsche Unternehmen sind scheuer, und das Risiko zu scheitern wird oft als höher angesehen als die Chancen, die in einer Idee stecken.“ Soboll rät Managern, eine Kultur zu etablieren, die Fehler toleriert und auch das Risiko als rentabel darstellt.

„Kreativität blüht in Beziehungen auf, bei Personen, die schon lange zusammen gearbeitet haben“, sagt Kreativitäts-Guru Richard Florida, der mit seinem Standardwerk „Der Aufstieg der Kreativen Klasse“ Aufsehen erregte. Grundsätzlich aber gelte: „Kreativität ist nicht planbar. Sie müssen ihr Raum geben und ihr erlauben zu wachsen.“ Um kreativ sein zu können, brauche es Intelligenz, Neugier, Vorstellungsvermögen, Flexibilität und Mut. Es sei Sache des Unternehmens, das zuzulassen und zu fördern.

So sollten Firmen die Kreativität ihrer Mitarbeiter gezielt schulen, fordert Fraunhofer-Expertin Hermann. Etwa durch regelmäßige Übung von Kreativitätstechniken. Eine ihrer Lieblingsmethoden: Um ein bestehendes Produkt, etwa eine Bierflasche, weiterzuentwickeln, pickt sich der Mitarbeiter mit dem Finger ein zufälliges Wort aus dem Lexikon heraus. Obst, zum Beispiel. Jetzt gilt es, dazu Assoziationen zu finden: Gesund, Apfel, Orange, frisch, und so weiter. Dann müssen die Assoziationen wieder mit dem Produkt, der Bierflasche zusammengebracht werden. So könnte dann etwa ein gesundes Getränk oder einfach ein neues, frisches Etikett dabei herauskommen.

„Es geht immer darum, zunächst vom eigentlichen Problem wegzulenken und so einen neuen Blick zu bekommen“, sagt Hermann. Eine weitere, einfache Methode, die Kreativität der Mitarbeiter zu fördern, seien Workshops. „Dort können Teams, am besten angeleitet von einem externen Moderator, neue Ideen entwickeln."

Zu Ablenkungen rät auch Jochen Mai, Redakteur der Wirtschaftswoche und Autor des gerade erschienenen Buches „Karrierebibel“. „Oft sorgt schon ein einfacher Tapetenwechsel dafür, dass der Strom der Ideen nicht versiegt“, sagt Mai. „Ein Spaziergang durch einen unbekannten Stadtteil, der Besuch einer entfernten Abteilung im Betrieb, ein neuer Weg zur Arbeit – all das kann helfen, die Welt mit neuen Augen zu sehen.“ Das allein reiche allerdings nicht: Es brauche zudem einen „großen Wissensschatz“, und keinesfalls sollte man sich krampfhaft auf eine Idee konzentrieren.

Für Leute, denen Ideen selten einfach so kommen, gibt es eine gute Nachricht: Man kann Kreativität zu einem gewissen Grad lernen. Dazu gibt es eine Menge Techniken, die das Querdenken schulen. Sie haben so klangvolle Namen wie Mind-Mapping, Bisoziation oder 6-3-5-Methode. Oder ganz klassisch: Brainstorming.

Danny Baarz kennt das. Der 28-jährige Art Director bei der Berliner Werbeagentur Heimat ist schon von Berufs wegen dazu verdammt, ständig etwas Neues zu erfinden. „Was ich brauche, ist eine weiße Wand", sagt Baarz. Und, ganz wichtig: ein Team. Ideen finden in der Gruppe – darauf schwören auch viele Kreativitätstrainer. Am besten ist es dabei, wenn sich die Gruppe möglichst vielfältig zusammensetzt, möglichst gemischt aus internen Mitarbeitern, Kunden, externen Beratern oder gar Konkurrenten. Interdisziplinäre Vernetzung heißt das dann im Management-Sprech.

Darauf beruht auch ein neuartiger Studiengang, den es seit dem Wintersemester am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam gibt: „Design Thinking“, etwa „Erfinderisches Entwickeln“. Vorbild ist die so genannte d.school an der Stanford University in Kalifornien. In dieser einjährigen Zusatzausbildung lernen Studenten aus verschiedenen Fachrichtungen, in interdisziplinären Teams benutzerfreundliche Produkte und Dienstleistungen aus der IT-Welt zu entwickeln. „Geniale Ideen hat man zwar oft beim Joggen oder unter der Dusche“, sagt Ulrich Weinberg, Leiter der School of Design Thinking. „Doch im Team geht es schneller. Wir wollen hier zeigen, wie viele Ideen man im Team generieren kann. Das sprudelt dann nur so raus.“ Voraussetzung seien, wie der Professor es nennt, „T-shaped people“: „Exzellent auf ihrem Fachgebiet, aber in der Lage, sich mit anderen querzuschalten.“ Beitrag aus „Junge Karriere“

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