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Fotobranche: Digitale Bilderflut

Die Fotobranche ist im Wandel: Die Profis leiden, ihnen fehlen Aufträge. Quereinsteiger und Amateure dagegen können im Internet Geld verdienen

Bei Jens Brüggemann ist die Hölle los. Der Fotograf steht auf einer Kölner Fachmesse und verwandelt sein Model in einen knapp bekleideten Männertraum. „Aufpassen! Da sind Falten am Hals“, ruft er dem Mädchen zu. „Schau mal mehr ins Licht.“ Das Publikum drängelt sich vor der Bühne, Junge und Alte, Männer mit Bierbäuchen und Frauen mit tiefen Dekolletés, Profifotografen und Hobbyknipser. „Mit Weitwinkel von unten, das lässt die Beine länger wirken“, erklärt er. Die Stimmung ist gelöst, der Künstler in seinem Element. Seine Botschaft: Was ich kann, könnt ihr auch. Und genau das ist das Problem.

Weil die Technik immer besser wird und immer mehr Menschen fotografieren, brechen Profis wie Jens Brüggemann die Aufträge weg. Die Stars verdienen zwar vierstellige Tagesgagen. Doch davon gibt es nicht viele. Ein freiberuflicher Werbefotograf verdient im Schnitt nur 1400 Euro im Monat.

Trotzdem hat das Image vom Traumjob bisher kaum Kratzer abbekommen. Klangvolle Spezialgebiete versprechen ein kreatives Berufsleben: Bildjournalismus, Mode-, Architektur-, Reportage-, Porträt- und freie Kunstfotografie, um nur einige zu nennen. Und die Unis, Fachhochschulen und Studios haben deutlich mehr Bewerber als Stellen.

Die klassische Ausbildung erfolgt über eine dreijährige Lehre. Das Anfangsgehalt liegt bei etwa 2000 Euro monatlich. Als Alternative bietet sich ein Studium an. Die Angebote variieren stark. An der renommierten Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig werden „Fotokünstler mit eigener Haltung und Bildsprache“ ausgebildet. In der Lazi Akademie in Esslingen bei Stuttgart bereitet das Aufbaustudium zum Foto- und Kommunikationsdesigner auf die Werbebranche vor. Beim Berliner Lette-Verein legt man Wert auf „projekt- und praxisorientiertes Arbeiten in Form von Kooperationen mit Magazinen, Agenturen und sozialen Einrichtungen“. Einen guten Ruf genießen auch die FHs in Dortmund, Bielefeld, Hannover und München.

Nach der Ausbildung stehen allerdings selbst hochtalentierte Fotografen vor einer unsicheren Zukunft. Nur noch 11 200 Fotografen sind in Deutschland fest angestellt, und diese Zahl wird weiter sinken. Als Selbstständiger hingegen ist es schwierig, sein Leben durchs Fotografieren zu finanzieren. „Ich habe in letzter Zeit immer weniger Reportage-Aufträge von Zeitschriften bekommen und verdiene mein Geld inzwischen als Dozentin oder mit dem Verkauf von Prints aus meinem Archiv“, sagt die bekannte US-Fotografin Mary Ellen Mark.

Ein Grund dafür ist auch die wachsende Zahl der Hobbyfotografen. Lange hatten sie keinen Zugang zum Bildermarkt. Das hat sich grundlegend geändert. Im Internet trumpfen so genannte Microstock-Agenturen wie Fotolia oder iStockphoto als globale Vermarktungsplattformen auf. Sie bieten jedem die Chance, seine Bilder ab einem Euro zu verkaufen. Diese Discountpreise lohnen sich nur, wenn Motive sehr oft runtergeladen werden. In Einzelfällen funktioniert das, so wie beim Dänen Yuri Arcurs: „Ich verkaufe schätzungsweise 650 000 Bilder pro Jahr. Microstock-Fotografie hat mich zum Millionär gemacht.“

Davon sind die meisten Fotografen weit entfernt. Wer diese Laufbahn wählt, legt meist mehr Wert darauf, sich kreativ zu verwirklichen. So sieht es auch Jens Brüggemann. Am Ende seines Kölner Shootings empfiehlt der Erotikspezialist seinen Zuschauern: „Fotografen brauchen Mut, um ihren eigenen Weg zu gehen. Wenn ich auf meine Mutter gehört hätte, würde ich heute Blümchen knipsen.“

CELLINA VON MANNSTEIN

Dekadenter Exzess, skurrile Szenen, viel nackte Haut: Cellina von Mannstein lässt sich von wilden Träumen inspirieren. Mit ihren Bildern will sie Geschichten erzählen, an den Details feilt sie nächtelang. Die gebürtige Düsseldorferin hat ein besonderes Auge für poppig-schmuddelige Erotik, mag heiße Körper, volle Lippen und den Sex-Appeal ihrer Models. Das alles hat ihr den Ruf eingetragen, ein „böses Mädchen“ zu sein: „Meine Fotos sehen zumindest öfter danach aus. Aber ich habe ein großes Herz. Ich bin ein gutes Wesen“, sagt sie.

Die 33-Jährige beweist, dass man sich für den Erfolg nicht verbiegen muss. Sie gilt als Ausnahmetalent. „Stern“ und „Spiegel“ haben ihre Bilder publiziert, für den Starfotografen Terry Richardson hat sie als Assistentin in New York gearbeitet. Richardson, der in der Vergangenheit mit seinem nackten Realismus immer gut für einen Skandal war, sieht sie als ihren Mentor an. Er wird stolz auf sie sein: Erst kürzlich sorgte Cellina von Mannstein mit ihrem provokanten Bildband „Imperfect“ für Furore.

Sie lebt in Mailand, wohin die Liebe sie verschlagen hat. Fotografie ist für sie mehr als ein Job: „Wenn ich mir vorstelle, ich müsste etwas anderes tun, wird mir oft schlecht, und ich bin glücklich, gleich wieder zu wissen, dass ich meine Fotografie habe.“ Ihren Weg will sie mit viel Fleiß, festem Willen und kreativem Talent fortsetzen und denkt wahrscheinlich nicht allzu oft an ihr „Ewig-in-den-Miesen-Konto“. Und ihr Ziel? „Ein guter Mensch sein.“ Wie bescheiden.

DIRK FELLENBERG

Fotografen haben ein spezielles Verhältnis zum Thema Zeit. „Ich beschäftige mich gerne länger mit meinem Motiv, bevor ich auslöse“, sagt Dirk Fellenberg, 35. Vielleicht strahlen viele seiner Motive deshalb ein Gefühl von kontemplativer Ruhe und majestätischer Weite aus.

Perfekte Momente entstehen bei ihm nicht selten am Rechner, zum Beispiel, indem er ein einzelnes Motiv aus vielen Aufnahmen zusammensetzt. An manchen Tagen mache es halt mehr Sinn, den Himmel auszutauschen, als auf besseres Wetter zu warten. „Ich bin weder technikverliebt, noch Workaholic. Ich versuche aber immer, sehr genau zu sein und achte auf die Details.“

Zu seinen Spezialgebieten zählen die Still-Life-, Architektur- und Landschaftsfotografie. Nach seiner Ausbildung jobbte Fellenberg als freier Fotoassistent, um über die Runden zu kommen. Seit einigen Jahren kann er von seinen Fotos leben, Agenturen wie Scholz & Friends und Jung von Matt buchen ihn. Der Bund Freischaffender Foto-Designer (BFF), Deutschlands renommierter Werbefotografen-Club, hat ihn 2003 als Junior aufgenommen. Ein Ritterschlag für einen jungen Fotografen.

Höhen und Tiefen bleiben dem Hamburger aber trotzdem nicht erspart. „Das finanzielle Wechselspiel ist manchmal anstrengend. Es gibt Zeiten, in denen ich Aufträge aus Zeitmangel ablehnen muss, der nächste Monat kann viel ruhiger verlaufen.“ Nette Nebeneffekte bringen solche Flauten aber auch mit: Der zweifache Vater kann mehr Zeit mit seiner Familie verbringen.

Beitrag aus dem Magazin „Junge Karriere“

Sebastian Arackal

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