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Freiwillige Jahre: Ungarisch für Anfänger

Von Sport über Kultur bis zu Entwicklungspolitik: Freiwillige Jahre sind längst nicht nur für Zivildienstleistende interessant. Sie bieten auch wertvolle Einblicke in die Berufswelt.

Wer heute Karriere machen will, muss nicht nur zielstrebig sein, durchsetzungsstark und sehr gute Noten vorweisen. Immer wichtiger wird auch, dass Schüler und Studenten gesellschaftliches Engagement vorweisen.

Im Lebenslauf von Alice Trinkle werden künftige Arbeitgeber mindestens letzteres finden. Über den Freiwilligendienst des Auswärtigen Amtes „Kulturweit“ hat die 19-jährige Berlinerin in den vergangenen sechs Monaten ein freiwilliges halbes Jahr in Ungarn verbracht. In einer Schule in Pécs unterrichtete sie in einer zehnten Klasse Deutsch. Weil die Lehrer dort überlastet waren, stand sie schon am dritten Tag allein vor den Schülern.

„Ich habe mit der Klasse die mündliche Prüfung für das deutsche Sprachdiplom vorbereitet und im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres einen Film gedreht“, erzählt sie. Sie war kaum älter als ihre Schüler, musste schnell lernen, sich durchzusetzen – und selbstständig und mit wenig Geld zurechtzukommen. 150 Euro Taschen- und 200 Euro Wohngeld bekam sie im Monat. Doch Trinkle wusste, worauf sie sich einließ. „Ich wollte unbedingt ins Ausland und sehen, wie es sich anfühlt, zu arbeiten“, sagt sie. Und darum geht es beim Freiwilligendienst.

Was vor über vierzig Jahren im sozialen Gedanken begann und lange Zeit auf die Arbeit in Einrichtungen wie Altenheime und Kindergärten beschränkt war, ist heute zu einem vielfältigen Angebot an Möglichkeiten geworden, die Arbeitswelt kennenzulernen. Schulabsolventen und Studenten bis 28 Jahre können sich um sechs- bis 18-monatige Freiwilligendienste im sozialen, politischen, sportorientierten, ökologischen, denkmalpflegerischen oder kulturellen Bereich bewerben. Manche Stellen setzen Abitur voraus, meist aber haben auch Haupt- und Realschulabsolventen gute Chancen, vor allem, wenn sie bereits eine Berufsausbildung vorweisen.

Das sind auch die Voraussetzungen für ein freiwilliges Jahr bei der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung, die das FSJ Kultur anbietet. Bewerber müssen Interesse an Kulturarbeit belegen, sagt Dana Hieronimus, die das FSJ Kultur in Berlin und Brandenburg betreut. „Sie sollten sich schon vorher engagiert und etwa in der Schultheater-AG oder im Chor mitgemacht haben.“

Wer einen der begehrten Plätze ergattert, arbeitet in einem Theater oder Konzerthaus, in einem Stadtarchiv oder Kulturzentrum ist im Kulturmanagement tätig, im pädagogischen Bereich oder macht PR. Von Regieassistenz bis Hausaufgabenhilfe ist alles drin. Neben der Arbeit nehmen die Freiwilligen an Workshops teil, an Schauspielunterricht oder Kommunikationstrainings. 25 Bildungstage sind gesetzlich für das Jahr vorgeschrieben.

Solche Angebote helfen auch, die Sozialkompetenz zu steigern. „Viele wollen etwa selbstbewusster werden, Teamarbeit lernen oder erfahren, wie eine bestimmte Einrichtung funktioniert“, sagt Arne Mensching, der für das Freiwillige Ökologische Jahr bei der Stiftung Naturschutz zuständig ist.

Das war auch für Alexander Winckelmann der Grund, nach dem Abi ein freiwilliges Jahr einzuschieben. Er wollte wissen, wie die Arbeit in einem Chemielabor abläuft, auch um zu testen, ob ein Chemie-Studium für ihn in Frage kommt. Der 19-Jährige bewarb sich bei der Stiftung Naturschutz, wurde genommen und konnte gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: sich beruflich orientieren – und gleichzeitig Zivildienst leisten.

Seit September 2009 arbeitet Winckelmann in dem Umweltlabor Bega.tec in Schöneberg. „Es macht sehr viel Spaß, denn ich bin dort ein vollwertiges Teammitglied“, sagt er. Er nimmt etwa auf Baustellen Boden- und Wasserproben und bereitet sie im Labor für Tests vor.

355 Euro erhalten die FÖJ-ler im Monat an Unterstützung zur sozialen Absicherung. Das Kindergeld wird weiter gezahlt und Wohngeld kann beantragt werden. Die Stiftung übernimmt Sozial- und Unfallversicherung. Damit kommen die FÖJ-ler im Vergleich zu anderen Trägern ganz gut weg. Das Jugendwerk Aufbau Ost in Berlin etwa zahlt ein Taschengeld und eine Pauschale für Unterkunft und Verpflegung von insgesamt 240 Euro.

Alexander Winckelmann ist Ende August mit dem FÖJ fertig. Für ihn steht schon jetzt fest, dass er sich für ein Chemiestudium einschreiben wird. Das freiwillige Jahr kann ihm dabei nützen. Denn: Gesellschaftliches Engagement verbessert oft die Aussichten auf einen Studienplatz – oder auf ein Stipendium.

Bei der Studienförderung der Stiftung der Deutschen Wirtschaft zum Beispiel hat man ohne das gar keine Chance, sagt Stiftungssprecher Christian Lange. Studenten und Doktoranden, die sich bei der Organisation bewerben, müssen neben überdurchschnittlicher Fachkompetenz auch soziales Engagement vorweisen, etwa durch Freiwilligendienste oder Ehrenämter. „Wir suchen junge Menschen, die nach dem Studium verantwortungsvolle Positionen übernehmen wollen“ sagt Lange. „Sie sollen dann unternehmerisches Denken und Handeln mit gesellschaftlicher Verantwortung verbinden.“

Damit der Freiwilligendienst im Vorstellungsgespräch gut ankommt, sollten Absolventen auf ein aussagekräftiges Zeugnis achten. Die Einsatzstelle wie Tätigkeit und Seminare sollten konkret beschrieben sein, rät Dana Hieronimus vom FSJ Kultur. „Wichtig ist auch, dass die Kompetenzen beschrieben werden, die gezeigt oder entwickelt wurden.“

Alice Trinkle ist vor zwei Wochen aus Ungarn zurückgekehrt. Was ihr die Zeit gebracht hat, werde sie erst mit etwas Abstand wissen, sagt sie. Zwei Dinge aber sind ihr schon jetzt klar: Lehrerin will sie nicht werden – aber auch in Zukunft im Kulturbereich tätig sein.

Tina-Marlu Kramhöller

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