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Jobs & Karriere: Hinter dem Horizont

Für Studenten ist der Aufenthalt im Ausland heute selbstverständlich. Doch viele Firmen schicken inzwischen auch ihre Lehrlinge in die Welt. Die besten Chancen haben die mit den besten Noten

Hardy Ulbrich lehnt lässig in seinem Stuhl. Die Stimme klingt kräftig, der Händedruck ist fest. Der angehende IT-System-Kaufmann strahlt Selbstbewusstsein aus — das er auch aus seinen Erfahrungen in Irland zieht. Fast zwei Monate war der Azubi in Dublin, hat dort ein Praktikum gemacht. Das erste Mal länger von zu Hause weg, und dann auch noch im Ausland. „Mein Selbstbewusstsein ist definitiv während des Praktikums gewachsen“, sagt der 25-Jährige. Man werde in einer fremden Firma anerkannt und verliere die Angst, eine andere Sprache zu sprechen. „Mit dem Chef auf Englisch zu reden – das ist schon was anderes.“

Ulbrich ist bei dem Webseitendienstleister Strato beschäftigt. Bei der Firma in Dublin war er unter anderem für das Controlling von Webseiten zuständig und erstellte Marketingkampagnen.

Ulbrichs Weg ins Ausland begann mit einer Erkenntnis in der Chefetage von Strato. Die AG beschäftigt 500 Mitarbeiter, ist laut eigenen Angaben der zweitgrößte Webhoster Europas und will sich für internationale Märkte fit machen. „Da ist es für unsere Mitarbeiter wichtig, kulturell aufgeschlossen zu sein“, sagt Sprecherin Annette Hoxtell. Deshalb schickt Strato den Nachwuchs fort. Und macht es damit wie viele andere Firmen auch.

Nicht mehr nur Studenten und angehende Führungskräfte sollen Auslandserfahrung sammeln. Auch Azubis werden inzwischen ins Ausland geschickt, um sich beruflich – und auch persönlich – weiterzubilden. Grundsätzlich biete sich das für alle Berufe an, sagt Sabine de Günther von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. Praktiziert werde ein solcher Austausch aber besonders in der Tourismusbranche und im IT-Bereich.

Auch Ulbrich lernte nicht nur im Job dazu. Er lebte in Dublin in einer Wohngemeinschaft mit deutschen Azubis. Im Geschoss darüber wohnten Franzosen, darunter Spanier. „Das war eine große Erfahrung“, sagt er im Rückblick. Eine, die verbindet. Gemeinsam feiern und reden. Gemeinsam in einer fremden Stadt auf sich selbst gestellt sein.

„Die persönliche Entwicklung ist das Wichtigste, das man bei einem Auslandsaufenthalt erwirbt“, sagt Monique Nijsten von der Nationalen Agentur Bildung für Europa, die beim Bundesinstitut für Berufsbildung angesiedelt ist. Die Agentur nimmt Anträge für das EU-Programm Leonardo entgegen, mit dem der Auslandsaufenthalt von Azubis gefördert wird.

Immer mehr junge Leute scheinen zu erkennen, dass internationale Erfahrung auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich verbessert. Die Nachfrage nach Praktika in der Ferne steigt – und auch die Chancen, finanziell unterstützt zu werden: 1998 bewarben sich über 4000 Auszubildende für die Förderung, etwa die Hälfte bekam sie bewilligt. 2008 gab es über 11 000 Anträge und mehr als 8000 Bewilligungen.

Großbritannien ist im Leonardo-Programm das begehrteste Ziel, „weil alle meinen, die Sprache zu beherrschen“, sagt Nijsten. Danach folgen Spanien, Italien und Frankreich. Nicht immer sind Sprachkenntnisse für einen Aufenthalt gleich wichtig. „Das hängt vom Konzept ab“, so Nijsten. „Bei Projekten, die länger dauern, ist der Inhalt oft abstrakter. Da braucht man bessere Sprachkenntnisse.“

Hardy Ulbrich hat nicht an dem Leonardo-Programm teilgenommen. Sein Ausbildungsbetrieb schloss sich mit Partnern, unter anderem der Telekom und dem Oberstufenzentrum Informations- und Medizintechnik, zusammen. Gemeinsam beauftragten sie das Institut für Lebenslanges Lernen der Unesco damit, einen Auslandsaufenthalt für Azubis zu organisieren. Ulbrich musste sich mit einem Motivationsschreiben für das Programm bewerben. Dann ging es los: Im Telekomausbildungszentrum erhielt er gemeinsam mit anderen in die Welt ziehenden Lehrlingen Kurse für interkulturelle Kompetenz. Zwei Monate zuvor begann der künftige IT-Experte mit einem Englischlehrer zu büffeln. Der half ihm auch, seine Bewerbung auf Englisch zu verfassen.

So viel Hilfe erhält nicht jeder. Will ein Auszubildender ins Ausland gehen, dann muss er sich zunächst an seine Berufsschule oder an seinen Ausbilder wenden. Über sie läuft in der Regel alles Weitere. Erleichtert wird der Schritt seit 2005 durch eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes. Seitdem werden Auslandsaufenthalte für die Ausbildung anerkannt. Dennoch hat nicht jeder Azubi die Möglichkeit. „Oft ist der Aufenthalt so etwas wie ein Bonus für leistungsstarke Azubis“, sagt de Günther von der IHK. Sie müssen auch in der Lage sein, den verpassten Stoff in der Berufsschule eigenständig nachzuholen. Leistungsorientierten Azubis empfiehlt sie grundsätzlich, ins Ausland zu gehen. Manche Berufsschulen bieten inzwischen E-Learning an, um das zu vereinfachen.

Nicht jedes Unternehmen kann es sich indes leisten, Azubis in die Ferne zu schicken. Vor allem kleinere Betriebe haben in der Regel weder eine Niederlassung im Ausland noch die Zeit und Expertise, um Förderanträge zu stellen. „So ein Einzelauftrag ist relativ aufwändig“, weiß de Günther. Die beste Möglichkeit für diese Firmen ist es, sich einem Poolauftrag anzuschließen (siehe Kasten). Das spart Zeit und Energie. Die Organisation liegt dann bei dem Träger, der Azubis mit Fernweh sammelt und einen gemeinsamen Antrag auf Förderung verfasst.

Im Wettbewerb um die besten Azubis kann es für Firmen in Zukunft von Vorteil sein, einen Auslandsaufenthalt möglich zu machen. „Für unser Personalmarketing ist das sehr wichtig“, betont Hoxtell. Und auch Ulbrich findet: „Das ist ein Qualitätsmerkmal der Ausbildung.“

Er jedenfalls ist auf den Geschmack gekommen. „Ich kann mir vorstellen, später im Ausland zu arbeiten“, sagt er. Gerne in Kalifornien oder Australien. Irland kommt für ihn nicht noch einmal in Frage. „Da ist das Wetter nicht so angenehm.“

Matthias Jekosch

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